Herthas Hinrundenbilanz: Die Kurve zeigt nach oben
Mit dem 4:0-Erfolg gegen Karlsruhe knackt Hertha BSC eine Bestmarke: Der Club spielt mit 33 Punkten die erfolgreichste Hinrunde seiner Vereinsgeschichte. Wie hat Hertha es nur auf Tabellenplatz 3 geschafft? Droht jetzt wieder der Größenwahn?
Warum ist Hertha so gut wie noch nie?
Eine heikle Frage. Kapitän Arne Friedrich gestand am Samstag nach dem 4:0-Erfolg gegen den Karlsruher SC: "Wir haben schon einige Spiele gewonnen, bei denen wir nicht gewusst haben, warum wir sie gewonnen haben."
Es gibt einige, die das Glück für den stärksten Hertha-Neuzugang in dieser Saison halten. Eine Interpretation, die Manager Dieter Hoeneß zum Rumpelstilzchen werden lässt: "Mit Glück hat das nichts zu tun. Wir haben uns das alles hart erarbeitet. Wir stehen zu Recht da oben."
Wie ein Champions-League-Aspirant hat Hertha jedoch selten gespielt. Auch beim Aufeinandertreffen gegen den Abstiegskandidaten KSC waren über weite Strecken zwischen den Mannschaften keine grundsätzlichen Qualitätsunterschiede zu erkennen. Die Bundesliga ist sehr ausgeglichen besetzt. Deshalb hat seit einigen Jahren das Wort "Schneckenrennen" Konjunktur: Die Distanzen zwischen den Schnecken sind nicht so groß, wie es die Platzierungen vermuten lassen.
Mit Glück allein lässt sich aber das imposante Punktekonto aber nicht erklären. Trainer Lucien Favre hat Hertha zu einer Einheit geformt, die sich nach einem erkennbaren System bewegt. Zudem hat er bei der Zusammenstellung seines Kaders ein glückliches Händchen bewiesen. Die Neuen, Andrej Voronin, Maximilian Nicu und Cicero, bewährten sich schon nach kurzer Eingewöhnungszeit in der Stammelf. Favre hat wesentlich mehr Variationsmöglichkeiten als in der vergangenen Saison. Die Bank ist stärker besetzt. Dass gegen den KSC die drei eingewechselten Spieler (Valeri Domovchisyski, Fabian Lustenberger und Raffael) drei Tore erzielten, unterstreicht dies eindrucksvoll.
Was hat sich bei Hertha durch den Erfolg verändert?
Lucien Favre hat die Skeptiker überzeugt und dadurch seine Machtposition ausgebaut. Am deutlichsten bekam dies Publikumsliebling Marko Pantelic zu spüren, der vor dieser Saison noch als unersetzlich galt. Wegen seiner Extravaganzen - er erschien einmal nicht zum Training, weil er zu müde war - musste er öfter auf der Ersatzbank Platz nehmen. Am Samstag wurde sogar darüber spekuliert, dass der erfolgreichste Hertha-Torschütze der letzten Jahre bald verkauft wird. Das Desinteresse an Hertha ist jedoch konstant geblieben. Trotz des guten Tabellenranges blieb das Olympiastadion meist halb leer.
In der Führungsebene hat der Erfolg überraschenderweise zu Zerrüttungen geführt. Präsident Werner Gegenbauer warf seinem Freund Hoeneß vor, aus dem Erfolg von Hertha "Dieter-Hoeneß-Festspiele" gemacht zu haben. Der Grund für die öffentliche Schelte hat wahrscheinlich mehr mit der nächsten Frage als mit der Selbstbeweihräucherung von Hoeneß zu tun.
Muss Hertha jetzt nicht Deutscher Meister werden?
Öffentlich traut sich niemand mehr, wie früher wahnwitzige Ziele auszugeben. Aber intern wird gemunkelt, Hoeneß wolle die Gunst der Stunde nutzen. Er möchte, so heißt es, ein Jahr früher als vorgesehen mit Hertha einen Champions-League-Platz belegen. Dafür soll im Winter noch mal ordentlich Geld für neue Profis fließen. Und da es gerade so gut läuft, fällt ihm der angekündigte Abschied immer schwerer. Prinzipiell, sagte er neulich, könne er sich vorstellen, nach einem halben Jahr Pause bei Hertha wieder einzusteigen. Träumt er noch von der Meisterschaft? Nach dem Geschmack des ansonsten so zurückhaltenden Präsidenten läuft da zu viel aus dem Ruder. Anders kann man sich seinen Gang an die Öffentlichkeit nicht erklären.
Auch im Team herrscht Uneinigkeit, wie man mit dem Erfolg umgehen soll. Friedrich sagte am Samstag mutig: "Ich traue es der Mannschaft zu, dass sie in der Rückrunde den momentanen Tabellenplatz halten kann." Maximilian Nicu warnte hingegen: "Wir dürfen uns nicht zu sehr unter Druck setzen. Von der Champions League zu reden, wäre ein großer Fehler."
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