Hilfe für Eltern: Heike Villa ersetzt Oma und Opa

Früher halfen die Großeltern aus, wenn Not an der Erziehung der Kleinen war. Weil das nicht mehr selbstverständlich ist, gibt es das Projekt "Wellcome". Ehrenamtliche wie Heike Villa unterstützen junge Eltern. Die Nachfrage ist groß, die Familien stehen Schlange. In manchen Bezirken gibt es Wartelisten.

Nicht immer stressfrei: Das Leben mit Kindern. : AP

Das ist keine Familienhelferin : AP

Manchmal ist es so ruhig, dass sie dem Frieden kaum traut. Während ihre Ältesten, die beiden Jungs, in der Küche Plätzchen backen, hat sich Mutter Anne still und leise ins Wohnzimmer geschlichen. Hat die Schuhe ausgezogen, die Beine auf dem Sofa ausgestreckt, sich ein Kissen in den Rücken geschoben und beginnt, sich in den Roman zu vertiefen, der viel zu lange mit der aufgeschlagenen Seite nach unten lag. Ab und an hebt sie skeptisch den Blick - es ist wirklich unheimlich still. Nicht einmal das Baby Paula schreit.

Dass die Studentin und Mutter Anne sich einmal in der Woche ein paar Stunden Auszeit von ihren drei Kindern nehmen kann, verdankt sie Heike Villa. Villa engagiert sich als ehrenamtliche Familienunterstützerin in dem Projekt "Wellcome". Das Projekt, das vor fast zwei Jahren in Berlin aufgebaut wurde, vermittelt Ehrenamtliche an Familien, die ein Kind unter einem Jahr haben. "Wir wollen Familien in der schwierigen Zeit direkt nach der Geburt helfen", erklärt Projektkoordinatorin Katja Brendel. Paula ist vier Monate alt.

Zwei Stunden früher. Vor allem die Wege sind ein Kampf. Der fast dreijährige Jakob bleibt auf dem untersten Treppenabsatz sitzen, weigert sich, die Stufen alleine weiter hochzusteigen, Anne hat aber mit Paula in der Tragetasche und einer großen Tüte Mandarinen schon genug auf den Armen. Gutes Zureden hilft nicht. Logisches Argumentieren auch nicht. Jakob will getragen werden, etwas anderes kommt für ihn nicht in Frage. Daher muss er warten, bis Anne Paula und die Mandarinen in der Wohnung verstaut hat, dann läuft sie die Treppen wieder hinunter und trägt den Jungen auch noch in die Wohnung. Jakob grinst zufrieden. Bis es darum geht, die Winterstiefel gegen Hausschuhe einzutauschen.

"Es ist schon anstrengend, wenn ich einen kompletten Nachmittag mit allen drei Kindern alleine bin", erzählt Anne. Die Studentin kann sich ihre Zeit freier einteilen und bleibt daher zu Hause, ihr Freund ist selbständig und viel unterwegs. Die Kinder, mit vier Monaten, fast drei und sieben Jahren lassen sich kaum mit einer Beschäftigung unter einen Hut bringen. "Ganz zu schweigen von den Sachen, die liegen bleiben, Wäsche falten, Schreibtisch aufräumen. Das muss unter normalen Bedingungen warten."

Der Schreibtisch muss auch diese Woche warten. Heute werden Plätzchen gebacken. Heike Villa hat ein Mini-Nudelholz und Ausstech-Formen mitgebracht, Jakob versucht sich mit den Vokabeln. "Glocke, Tannenbaum, Mond, kenn ich nicht". - "Sternschnuppe", hilft Villa aus.

Für die ausgebildete Erzieherin, selbst Mutter eines erwachsenen Kindes, ist der Nachmittag mit den beiden Jungs ein Kinderspiel. Routiniert hält sie Jakob mit einem Arm vom heißen Ofen fern, gleichzeitig rückt sie das Saftglas vom Tischrand in die Mitte, um eine mittlere Katastrophe zu verhindern und schaut nach, ob die Plätzchen schon zu dunkel sind. Das alles mit fast unverschämt guter Laune und endlosem Verständnis, nachdem sie selbst einen achtstündigen Arbeitstag in der Verwaltung hinter sich hat.

"Ich sehe meine Hilfe nicht als Belastung für mich, sondern als Bereicherung", erklärt Villa ihre Motivation. "Mit Kindern sieht man immer einen Fortschritt, sie entwickeln sich." Auch die Reaktion der Familien würde für den Aufwand entschädigen. "Ich erfahre unheimlich viel Zuspruch, Dank und Bewunderung, das hätte ich nicht gedacht."

Geld bekommt Villa keines. Die Familien zahlen zwar etwas für die Unterstützung - normalerweise vier Euro die Stunde - doch das Geld fließt in die Organisation, die Versicherung und Fortbildung der Ehrenamtlichen. "Am Geld soll es aber nicht scheitern", sagt Projektkoordinatorin Brendel. Soll heißen: Wenn die vier Euro unbezahlbar sind, gibt es die Unterstützung auch für weniger. Ganz kostenlos soll es aber nicht sein. "Die Beziehung funktioniert mit Geld besser, Termine werden zuverlässiger eingehalten und die Familien fühlen sich nicht als nichtsgebende Hilfe-Empfänger."

Auch Anne gibt zu, dass es ihr schwer fiel, überhaupt Hilfe anzunehmen. "Wir schaffen das doch alleine", entgegnete sie ihrem Freund, als der von "Wellcome" erzählte. "Er ist ein bisschen offener gegenüber solchen Projekten. Ich hatte erst Bedenken." Dann hat sie vor allem eines überzeugt: Wer die Hilfe in Anspruch nehmen will, muss keine Formulare ausfüllen oder seine finanziellen Verhältnisse offen legen. Wichtig für sie auch: Ein gutes Verhältnis zu der Ehrenamtlichen. "Man muss zumindest ähnliche Vorstellungen von Erziehung haben. Und ich muss ihr Vertrauen können. Wenn ich aus dem Zimmer gehe, will ich mir keine Sorgen machen müssen." Fast noch wichtiger: die Meinung der Kinder. Spätestens, wenn Jakob begeistert "Heike!" kreischend zur Tür stürmt, wenn sie klingelt, weiß Anne, dass sie sich darum keine Sorgen machen muss.

Doch die Hilfe gibt es nicht für jeden. Jeden zweiten Anruf, so Brendel, verweisen ihre Mitarbeiter an andere Stellen. "Wenn eine Mutter unter postnataler Depression leidet oder es Stillprobleme gibt, wären die Freiwilligen überfordert", sagt sie. Dann würden außerdem andere Einrichtungen wie die Familienpflege weiter helfen. "Wir wollen die Lücke besetzten, die vor ein paar Jahrzehnten noch die Familie gefüllt hat", sagt Brendel. Ein Netzwerk, auf das junge Eltern immer seltener zurückgreifen könnten durch den zunehmenden Druck, für einen Arbeitsplatz die Stadt zu wechseln und den Wunsch, in Fragen der Kindererziehung unabhängig zu sein.

Die Plätzchen sind im Ofen, den übrigen Teig hat Jakob sich schnell in den Mund gesteckt. Jetzt ist noch ein bisschen Zeit, um vorzulesen. Die Kinder sitzen ruhig auf dem Sessel, der Nachmittag war aufregend genug. Gleich wird Anne das Abendbrot vorbereiten und Heike verabschieden. "Das Schöne, nachdem Heike da war", verrät sie "ist, dass die Kinder sich ausgetobt haben. Im Gegensatz zu mir. Ich bin dann noch frisch."

www.wellcome-online.de

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