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Chinas Wirtschaft stagniertDie Riesen-Krise

Am Anfang der globalen Finanzturbulenzen schien Chinas Wirtschaft fit. Doch nun beginnt die riesige Volkswirtschaft zu straucheln: Weniger Wachstum und Exporte, Millionen bangen um ihre Jobs.

Jeder siebte Wanderarbeiter ist jetzt ohne Job, so Schätzungen. : dpa

Eine Woche nach dem Frühlingsfest in China ist der Kampf gegen die bösen Geister noch immer voll im Gange: Über den Städten und Dörfern der Volksrepublik grollt es allabendlich am Himmel. Die Bewohner scheuen keine Kosten und zünden Millionen Kracher und Leuchtraketen, um das Unglück zu vertreiben.

Das ist wohl auch nötig, denn die Voraussagen für das Jahr des Ochsen, das am 26. Januar begonnen hat, sind bedrückend: 2009 wird für China das "schwerste Jahr seit der Jahrtausendwende", warnten jetzt Regierung und KP-Zentralkomitee in einer gemeinsamen Erklärung. Die Pekinger Funktionäre machen sich vor allem Sorgen über die Lage auf dem Lande: Die lokalen Behörden müssten sich, so heißt es in dem Dokument, "völlig der Krise und der Schwierigkeiten" bewusst sein, die "uns bevorstehen". Es gelte vor allem zu verhindern, dass die Bauern weniger Geld verdienen und weniger Getreide produzieren.

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ist in China angekommen. Vorbei scheinen vorerst die Boomjahre, die Zeiten, in denen es ständig aufwärtsging. Das Wachstum sackte im letzten Quartal auf 6,8 Prozent ab - eine immer noch stolze Zahl. Aber sie ist zu klein, um genug Arbeiter in Lohn und Brot zu halten. Schul- und Universitätsabgänger sind in Gefahr, keinen Job zu finden. Nach allgemeiner Ansicht sind jedes Jahr mindestens 8 Prozent Wachstum nötig, um ausreichend viele Arbeitsplätze zu schaffen und damit soziale Unruhen zu verhindern.

Hiobsbotschaften allenthalben: Internationale Reedereien kündigen Aufträge in den chinesischen Werften, die Steuereinnahmen des Staates schrumpfen, und die Kasinos in der Spielermetropole Macau kassierten im Januar um ein Drittel geringere Gewinne als im Vorjahr.

Schlimmer noch: 26 Millionen Wanderarbeiter haben bereits ihren Arbeitsplatz verloren oder erst gar keinen gefunden, schätzte am Montag der Direktor des Amts für ländliche Entwicklung, Chen Xiwen. Damit hätte jeder siebte der 130 Millionen Männer und Frauen vom Land keine Arbeit mehr: Bislang verdienten sie ihre Geld in Fabriken und Restaurants, auf Baustellen und Märkten.

Allerdings sind, wie so häufig in China, derzeit nur unpräzise wirtschaftliche Statistiken zu erhalten. Bereits die Zahl der Wanderarbeiter ist umstritten: Manche Behörden schätzen, dass sogar über 200 Millionen Männer und Frauen ihr Stück Land nicht mehr bepflanzen, sondern ihr Geld in der Stadt verdienen.

Entsprechend steigt die Spannung in den kommenden Tagen: Wanderarbeiter werden sich nach dem Frühlingsfest wieder auf den Weg in die Industrieregionen des Landes machen, um einen Job zu finden. Dann wird sich herausstellen, wie viele Arbeiter zwischen Kanton im Süden und dem Rostgürtel mit seinen Schwerindustrien im Nordosten vor verschlossenen Fabriktoren stehen werden. Womöglich werden es bis Ende des Jahres 50 Millionen Menschen sein. Kaum auszudenken, wenn sie nicht mehr die Schule für ihre Kinder bezahlen können.

"In einem Land, das noch keine Rechtssicherheit kennt, werden die Schwächsten in der Gesellschaft am stärksten der Ausbeutung ausgesetzt sein", warnte Brad Adams von Human Rights Watch. Die chinesische Regierung sollte vor allem auf das Sozialwesen und auf Beschäftigungsprogramme für Wanderarbeiter setzen. Weiter sagte er, dürfe die Führung des Landes nicht zulassen, dass skrupellose Unternehmer in Zeiten der Krise die arbeitslosen Wanderarbeiter ausnutzten.

Längst vorbei sind die Zeiten, als chinesische Politiker und Geschäftsleute glaubten, halbwegs ungeschoren aus der internationalen Finanzkrise herauskommen zu können. Die renommierte Pekinger Finanzzeitung Caijing spricht bereits von einer "wirtschaftlichen Eruption vulkanischen Ausmaßes", mit der die Unternehmen in wichtigen Industrieregionen des Landes - etwa am Perlfluss und am Yangtse - fertig werden müssen.

Chinas Premierminister Wen Jiabao dürfte dem zustimmen. Er und andere hohe KP-Funktionäre sind in den vergangenen Wochen durch die Provinzen gezogen, um den örtlichen Politikern Dampf zu machen, die Geschäfte so schnell wie möglich anzukurbeln. Dafür sollen enorme Summen ausgegeben werden: Bereits im November hatte die Regierung ein Konjunkturpaket von 4.000 Milliarden Yuan (rund 450 Milliarden Euro) angekündigt, das überwiegend von den Provinzen, Staatsunternehmen und großen Banken geschnürt werden soll. Details blieben zunächst offen. Ein großer Teil der Summe war offenbar schon zuvor in den Wirtschaftsplänen vorgesehen. Zudem spendierte Peking jetzt für jeden der über 70 Millionen der Ärmsten zwischen 100 und 150 Yuan (zwischen 11,50 und 17 Euro) in bar. Einige bekamen ein paar Säcke Reis, Speiseöl und Fisch dazu.

Auf dem Lande, das spürt die Regierung, braut sich Gefahr zusammen. Nicht Studenten, nicht Schüler, nicht die Intellektuellen in den Städten könnten das System zum Wanken bringen, sondern die Ärmsten der Armen, die Vernachlässigten, die Rechtlosen in den Dörfern. Nun müssen die Bauern und Wanderarbeiter, Stütze und Motor des bisherigen Aufschwungs, beruhigt werden. Dazu sind bessere Krankenversicherungen nötig, Schulprogramme, bessere Straßen. Das neue Dokument warnt gleichzeitig vor "sozialen Konflikten", die durch Umweltverschmutzung und "Landnahmen" ausgelöst werden könnten. "Wir müssen das Netz der öffentlichen Sicherheit stärken und verhindern, dass feindliche Kräfte ihre Religion benutzen, um die Landgemeinden zu infiltrieren", postuliert das Papier.

Jetzt rächt sich, dass die Regierung die Dörfer und die Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten stark vernachlässigt hat und stattdessen in die Städte und Industriezonen investierte. Denn die Wanderarbeiter, die in den kommenden Wochen vergeblich nach einem Job in der Stadt suchen werden, sind zumeist vom Land geflohen, weil sie auf den häufig winzigen Parzellen ihrer Familie nicht genug erwirtschaften.

Ihre Einkommen sind viel geringer als die der Stadtbewohner. So verdienten die Einwohner der Metropolen 2008 durchschnittlich 15.800 Yuan pro Jahr (etwa 1.800 Euro). Die Bauern kamen im Schnitt auf nur 4.700 Yuan (rund 537 Euro).

Was die Situation noch brisanter macht und die Gefahr von Unruhen noch steigert, ist ein noch aus Maos Zeiten stammendes System, das den Dorfbewohnern und den Städtern unterschiedliche Bürgerrechte verleiht: Nur registrierte "Städter" besitzen Anrecht auf eine Rente und auf medizinische Versorgung in städtischen Kliniken.

Dafür dürfen die Landbewohner Äcker und Felder bestellen, lautet die Begründung. Wer arbeitslos werde, könne zurück aufs Dorf. Doch nicht selten gibt das Land gar nichts her. "Dorthin kann ich nicht zurück", sagt Wanderarbeiter Wang Chao aus der Provinz Anhui. "Davon können wir nicht leben."

Mehr als 40 Millionen Bauern verloren in den vergangenen Jahren zudem ihr Land, weil die Dorfbehörden es in Industriezonen umgewandelt haben. Der Streit über die Enteignungen und über die - nach Ansicht der Bauern - zu geringen Entschädigungen gehört zu den wichtigsten Gründen für die gewaltsamen Proteste, die immer wieder an verschiedenen Orten Chinas aufflammten.

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