piwik no script img

Kommentar Bahn-Chef MehdornEine Frage der Hygiene

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Bahn-Chef Mehdorn nennt die Rücktrittsforderungen Teil einer linken Verschwörung. Seine Entlassung ist nur noch eine Frage der politischen Hygiene.

M angelndes Selbstbewusstsein konnte man Hartmut Mehdorn noch nie vorwerfen. Doch inzwischen leidet der Chef der Deutschen Bahn offenbar unter Bewusstseinstrübung. Nicht anders ist es zu erklären, dass Mehdorn die Stasimethoden in seinem Unternehmen auch noch verteidigt und nichts Ungesetzliches daran entdecken mag. Das Management hat hunderttausende E-Mails der Mitarbeiter auf Kontakte zu Journalisten, Experten und Bundestagsabgeordneten überprüft und Nachrichten der Lokführergewerkschaft gelesen und gelöscht. Und was fällt Mehdorn dazu ein? Das Ganze sei ein wenig übertrieben worden, lautet seine Auffassung, und im Übrigen nennt er die Rücktrittsforderungen Teil einer linken Verschwörung. Gehts noch?

Damit wird der Bahn-Chef zum Problem für die Politik. Über Jahre waren sich beide Seiten gegenseitig nützlich und hilfreich. Mehdorn sanierte den angestaubten Betrieb, verkleinerte die Belegschaft, ohne Kündigungen auszusprechen, sorgte für schwarze Zahlen und hielt der Bundesregierung so den Rücken frei. Gemeinsam bereitete man die Privatisierung des Unternehmens vor. Eine, um es vorsichtig zu formulieren, gewisse Hemdsärmeligkeit im Umgang mit seinen Kritikern und Fehler Mehdorns bei der Tarifgestaltung nahmen die Kanzler Schröder wie Merkel dabei notgedrungen hin.

Das gemeinsame Ziel Privatisierung ist angesichts der Krise auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden. Damit fehlt dem Bündnis zwischen Mehdorn und der Bundesregierung die Grundlage. Der Mann ist eigentlich nicht mehr nötig. Seine Eskapaden erscheinen da in einem anderen Licht. Über das Wochenende fand sich denn auch kein einziger Politiker, der den Bahn-Chef verteidigte. Aus dem Kanzleramt kam nur beredtes Schweigen.

Es ist mehr als müßig, einen Rücktritt Mehdorns zu verlangen. Der Mann hätte in den vergangenen Jahren schon ein Dutzend Mal seinen Stuhl räumen müssen, wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre. Ob er jetzt noch entlassen wird, ist eine Frage der politischen Hygiene, mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • PD
    Peter Dobrindt, 32120 Hiddenhausen

    Herr Mehdorn wollte die Bahn zu einem internationalen Konzern machen und hat dies teilweise auch erreicht. Er hat sie aber nicht beliebter und bürgerfreundlicher gemacht.

    Meine Erfahrung, ganz frisch von heute morgen:

    Seit langen Jahren habe ich eine BahnCard 50 für 225 Euro im Jahr. Man muss sie 6 Wochen vor Ablauf kündigen, sonst verlängert sie sich automatisch um ein weiteres Jahr. Jetzt im März habe ich wieder eine Rechnung bekommen, knapp 6 Wochen vor Ablauf, zu spät zum Kündigen. Warum wird die Rechnung nicht 8 Wochen vorher geschickt, damit man, falls gewünscht, noch rechtzeitig kündigen kann?

    Noch besser: Im Januar bin ich 60 geworden.

    Zufällig, wirklich zufällig, lese ich auf der Rückseite der Rechnung (ganz klein gedruckt), dass ab 60 Jahren eine ermäßigte Seniorenversion der BC 50 erhältlich ist, zum Preis von nur 115 Euro. Die 225 Euro hatte ich aber schon bezahlt.

    Meine Anfrage beim BahnCard Service ergibt:

    Die Seniorenkarte ist eine andere Karte und muss extra beantragt werden. Die Normale Karte kann nicht umgewandelt werden und läuft bis April 2010.

    Die Bahn aber kennt mein Alter. Zum 60. hat mir Frau Bettina Marchl, Leiterin "Kundenbindung", einen Geburtstagsgruß geschickt, mit nettem Schnickschnack, aber ohne den Hinweis, dass ich jetzt eine Seniorenbahncard erhalten kann.

    Immerhin hat mir der BahncardService nach meiner Beschwerde einen 80-Euro Gutschein als Trost angeboten.

     

    Zurück zu Herrn Mehdorn. Er hat die Bahn zu einem äußerlich attraktiven und börsenfähigen Konzern aufpoliert, der jetzt auch BahnBonus Punkte verteilt, aber echte Kundenfreundlichkeit und Service sind nicht sein Ding.

  • T
    Thomas

    Falls er gehen sollte bekommt er sicher noch eine fette (Abwrack-) Prämie dazu. Wie viele 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat der Mann mit der weißen Weste in den letzten Jahren aus dem Unternehmen gemobbt? Ich zähle mich dazu. Jetzt bettelt man auf den Ämtern um ein paar Cent dazu, weil man vom "Lohn" seiner Arbeit nicht existieren kann und darf sich dafür von den Herren Politikern auch noch als "Sozialschmarotzer" beschimpfen lassen. Denk ich an Deutschland in der Nacht...