piwik no script img

Debatte zur FinanzkriseFinanzkapital rettet die Banken

Kommentar von Gerhard Scherhorn

Es gibt realistische Möglichkeiten, das Finanzwesen gesunden zu lassen, ohne allein den Steuerzahlern die Zeche aufzubürden. Gerhard Scherhorn listet Vorschlägen auf.

H ausgemacht sind beide Krisen, und ihre Ursachen sind von gleicher Art: Die Klimakrise ist aus der Übernutzung des Gemeinguts "fossile Energiequellen" seit den 1950er Jahren entstanden, die Finanzkrise aus der Übernutzung des Gemeinguts "Finanzmärkte" seit den 1980er Jahren.

Die Finanzkrise wird den Klimawandel noch weiter verstärken, wenn die zur Belebung des Kreditverkehrs mobilisierten staatlichen Gelder im Verlustausgleich für das Finanzkapital enden. Eine Chance für nachhaltige Entwicklung entsteht nur, wenn die insolventen Banken vom Finanzkapital saniert werden und nicht vom Steuerzahler. Dann können die neuen Staatsschulden zur Eindämmung des Klimawandels eingesetzt werden.

privat

Gerhard Scherhorn, 79, ist emeritierter Professor für Konsumökonomik an der Universität Hohenheim, Stuttgart. Er war Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und leitete die Arbeitsgruppe Neue Wohlstandsmodelle im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Anfang 2009 erschien sein Buch "Geld soll dienen, nicht herrschen. Die aufhaltsame Expansion des Finanzkapitals" im Picus Verlag.

BEITRÄGE ZUR DEBATTE:

BARBARA DRIBBUSCH (V):

Schwarzer Schwan

ANKE DOMSCHEIT (IV):

Die neuen Trümmerfrauen

RUDOLF WALTHER (III):

Innenausstatter mit Ethik gefragt

ULRIKE HERRMANN (II):

Wie schrumpft man eine Bank?

SASKIA SASSEN (I):

Primitive Akkumulation

Was die Welt in die Finanzkrise geführt hat, war eine Aufblähung des Geldschöpfungspotentials der Banken. Sie wurde möglich durch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs ab Ende der 1970er Jahre. Man verzichtete auf nationale Genehmigungspflichten und Qualitätskontrollen für neue Anlageprodukte (Derivate) und neue Akteure (Hedgefonds, Private Equity Fonds), ohne sie durch internationale Vorschriften und Kontrollen zu ersetzen. Finanzgeschäfte außerhalb der Börsen und Bankgeschäfte außerhalb der Bilanzen wurden leichter möglich, Veräußerungsgewinne wurden steuerbefreit, Mehrfach- und Höchststimmrechte abgeschafft, Spielräume für Aktienrückkauf und variable Managervergütungen erweitert.

Das Ergebnis war, dass sich von 1983 bis 2001 der Tagesumsatz auf den internationalen Finanzmärkten von 2,3 Mrd. auf 130 Mrd. $ erhöhte, auf mehr als das 50fache. 2001 wurden von den 130 Mrd. weniger als 3 Mrd. $ gebraucht, um den internationalen Handel und die Investitionen in die reale Produktion abzuwickeln. Alles andere waren reine Finanztransaktionen, Spekulationen mit Devisen und Derivaten vor allem, Wetten auf die Zukunft also, in der Gegenwart aber überwiegend auf Kredit abgeschlossen. Man darf diesen Hergang nicht vergessen, denn er zeigt, wer für die Finanzkrise die Verantwortung trägt: Die Regierungen. Sie haben die Kontrollen gelockert und die Gier der Akteure in Banken und Fonds freigesetzt. Hinzu kommen die Think Tanks der Neoliberalen und der Wirtschaftselite. Denn sie haben den Regierungen und der Öffentlichkeit das Argument von der wirtschaftlichen Unfähigkeit des Staates geliefert. Das gilt nicht nur für UK und USA, und nicht nur für die Finanzmärkte; auch auf die Vorspiegelungen der Public Private Partnership und des Cross Border Leasing sind so gut wie alle Industrieländer hereingefallen, und alle haben sich am Standortwettbewerb beteiligt, der mit hohen Steuerprivilegien für hohe Einkommen dafür gesorgt hat, dass die meisten Staaten schon vor der Finanzkrise in die Überschuldung steuerten.

Die ausufernden Renditeforderungen des Finanzkapitals haben die real produzierenden Unternehmen zu verstärkter Externalisierung von Kosten gezwungen und so die nachhaltige Entwicklung ausgebremst; sie haben eine Vermögensinflation verursacht, die Schere zwischen den oberen und unteren Einkommen weit geöffnet, den Anteil marginalisierter Arbeitskräfte erhöht, die Überschuldung der Staaten gesteigert - und all das im Glauben an die Selbstregulierungskraft der Märkte.

Die Finanzkrise aber beweist, dass Märkte nur funktionsfähig sein können, wenn die Marktteilnehmer durch Regeln und Kontrollen daran gehindert werden, den Gemeingutcharakter des jeweiligen Marktes zu missbrauchen. Ähnlich wie die sprichwörtlichen Gemeindewiesen, auf die die einzelnen Nutzer insgesamt zu viele Kühe treiben, werden Finanzmärkte "übernutzt," wenn es Finanzakteuren möglich ist, sich in einer Weise zu bereichern, die die gesamtwirtschaftliche Funktion dieser Märkte beschädigt.

Um das für die Zukunft zu verhindern, müssen die Zentralbanken bei der Geldmengensteuerung die Inflation der Preise und die Inflation der Vermögen verhindern. Im Klartext heißt das:

­Das Geldschöpfungspotential der Banken muss wirksamer eingegrenzt werden.

­Die Banken- und Börsenaufsicht muss erweitert werden. Solange keine internationale Aufsicht besteht, muss die nationale Bankenaufsicht Geschäfte außerhalb der Bilanz und Geschäfte mit "offshore" residierenden Akteuren beaufsichtigen und untersagen können.

­Banken, Pensionsfonds, Hedgefonds, Staatsfonds, Private Equity-Gesellschaften etc. müssen zur Transparenz aller eingegangenen Risiken verpflichtet werden. Die Gewinnminderung durch konzerninterne Verrechnungspreise und Kreditzinsen muss strengen Regeln unterliegen.

­Finanzmarktakteure müssen für ihre Fehler haften, auch Manager. Wenn Boni ausgezahlt werden, so erst nach der vollständigen Abwicklung des Geschäfts. Kurzfristige spekulative Finanztransaktionen müssen durch eine Finanztransaktionssteuer erschwert werden.

­Vor allem dürfen die Bezieher hoher und höchster Einkommen nicht länger durch Absenkung der Steuerprogression entlastet werden; ebenso muss ihre Tendenz zur Verlagerung von Vermögen in Länder mit Steuerprivilegien wirksam vereitelt werden. In Europa erfordert dies politische Abmachungen mit Ländern wie Belgien, Luxemburg, Liechtenstein, Österreich, Irland, Schweiz und vor allem dem UK, dessen privilegierte Behandlung von non-domiciled residents mit Briefkästen auf Steuervermeidungsinseln den Bankplatz London zum größten "Steuerparadies" der Welt gemacht hat.

­Die Aufblähung der Geldmenge muss rückgängig gemacht werden, ohne dass man die Blase platzen lässt. Die dubiosen Immobilienkäufer in USA haben immerhin ihre Arbeitskraft investiert, die leichtfertigen Kreditgeber sind nicht weniger verantwortlich für die drohende Insolvenz wie sie.

Wenn der Staat den Banken die faulen Schuldverschreibungen abkauft oder das Ausfallrisiko abnimmt, läuft das auf eine Entlastung des Finanzkapitals hinaus. Es darf auf der Ersatzbank Platz nehmen, bis die Staatsfinanzen das Spiel gewendet haben, und braucht sich erst wieder zu beteiligen, wenn keine Verluste mehr drohen. Das legt die Saat für die nächste Krise, weil es die Erwartung bestätigt, dass der Staat im Krisenfall einspringen wird.

Es gibt bessere Wege, doch werden sie anscheinend von der Politik nicht zur Kenntnis genommen. Luigi Zingales von der University of Chicago hat etwa vorgeschlagen, der Gesetzgeber möge die Verluste der Main Street minimieren, indem er für die gefährdeten Immobilienkredite ein Zeitfenster zu Neuverhandlungen öffnet, in denen die Kreditgeber verpflichtet werden, die Kreditsummen um den Prozentsatz zu ermäßigen, in dem die Immobilienpreise gesunken sind. Durch diesen Schuldenerlass ginge ein kleinerer Teil der Hypothekenschuld in das Eigenkapital der Schuldner über und die Gläubiger könnten den Verlust des größeren Teils vermeiden (bei einer Zwangsversteigerung würden sie mehr verlieren).

Nach dem Prinzip des Transfers von Schulden in Kapital können auch die Finanzen der Wall Street gesunden, ohne dass die Steuerzahler die Zeche begleichen müssen. Der Gesetzgeber müsste insolvente Banken veranlassen, auf der Passivseite ihrer Bilanz die bisherigen Aktien abzuwerten und stattdessen eine Anzahl von Anleihen und Einlagen in Eigenkapital umzuwandeln. Zugleich erhielten die bisherigen Aktionäre eine befristete Option, den Anleihe- bzw. Einlagengläubigern die zu transformierenden Schuldverschreibungen abzukaufen, wenn sie im Spiel bleiben wollen. So würde das Finanzkapital selbst den Banken das neue Eigenkapital zur Verfügung stellen, das für künftige Kreditvergabe notwendig ist. Wenn die Regierung dennoch einspringen muss, so nicht um die Investoren zu subventionieren, sondern allein um das Kreditgeschäft anzukurbeln.

Das wäre marktkonform, und besser als das Verteilen riesiger Geldsummen an diejenigen, die die Verluste der Banken und Fonds bewirkt haben. Es würde die Steuerzahler weniger belasten, das Bankensystem schneller wieder in die Funktionsfähigkeit zurück bringen, und vor allem das richtige Signal setzen: Für Verluste am Markt haften die Marktpartner auch künftig selbst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • WW
    Winfried Waidelich

    Der Vorschlag, Schulden in Kapital zu transferieren ist einleuchtend vernünftig. Die Einleger (= Gläubiger) werden so zu Eigentümern der Bank Am besten, die Abgeordneten des Landtags in SH stoppen gleich am Freitag das staatliche Rettungspaket für die HSH-Nordbank und ermöglichen statt dessen den Einlegern, die Bank zu übernehmen. Darauf liefe die Umsetzung des Vorschlags von Scherhorn hinaus. Wer weiß, vielleicht sind die bisherigen Anteilseigener über eine solche Lösung gar nicht unglücklich. Sie würden in eine marginale Rolle kommen, ihnen drohte aber nicht mehr, ein Faß ohne Boden füllen zu müssen.