Debatte Postkapitalismus (IV): Die neuen Trümmerfrauen

Die Krise ist eine Kampfansage an rein männlich besetzte Führungsetagen. Künftig wird man ihre Inkompetenz nicht mehr einfach akzeptieren

Er ist in aller Munde, der Ruf nach den Trümmerfrauen der Nation. Nachdem die überwiegend männliche Führungselite der Weltwirtschaft ganz offensichtlich in der Breite versagt hat, gewinnt die alte Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen ein neues Gewicht und eine ganz andere Bedeutung. Bisher kamen diese Forderungen aus der Frauenrechtsbewegung und immer wieder auch aus den Kreisen der Bündnisgrünen. Auf Initiative von Irmingard Schewe-Gerigk brachten sie entsprechende Gesetzesvorschläge im Bundestag ein und scheiterten damit. Seit der Krise ist das anders.

GERHARD SCHERHORN (VI):

Finanzkapital rettet die Banken

BARBARA DRIBBUSCH (V):

Schwarzer Schwan

RUDOLF WALTHER (III):

Innenausstatter mit Ethik gefragt

ULRIKE HERRMANN (II):

Wie schrumpft man eine Bank?

SASKIA SASSEN (I):

Primitive Akkumulation

Jetzt gehts um das nackte Überleben, um den Kampf raus aus der Krise. Da sind auch ungewöhnliche Methoden recht. Niemand lächelt mehr über Ansgar Gabrielsen, Norwegens früheren konservativen Wirtschaftsminister und Urheber des weltweit ersten Gesetzes, das Quoten für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen vorschreibt. Seine Begründung: Norwegens Wirtschaft kann sich so viel Inkompetenz in den Führungsetagen nicht mehr länger leisten. Bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag fügt er hinzu, er glaube nicht, dass Deutschland sich das leisten könne. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu stärken, will Siemens-Chef Löscher jetzt unter Verweis auf die "weiße, männliche Lehmschicht im mittleren Management" Stellen abbauen sowie mehr Frauen befördern und holt auch gleich die nunmehr zweite Frau in einem DAX-30-Vorstand in seine Führungsriege.

Seit dem 17. März sind Frauen in Führung auch ein Wahlkampfthema - Franz Müntefering verkündete öffentlich seine Unterstützung für die Forderungen der Nürnberger Resolution. Um genau zu sein, er fordert wie diese ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, eine 40-Prozent-Quote für Frauen in Aufsichtsräten bis 2013, eine Datenbank mit Kandidatinnen und Qualitätskriterien für die Besetzung von Aufsichtsratsposten. Auch bei ihm spielen nicht nur die über 50 Prozent weiblichen Wähler eine Rolle, sondern vor allem ökonomische Aspekte.

Was ist dran an der These, dass Frauen die besseren Manager sind? Um es kurz zu sagen: Frauen sind nicht besser, sie sind anders. Dass gemischte Teams bessere Ergebnisse erbringen, ist kein Novum. Dass man dies getrost auch auf die Top-Führungs-Etagen übertragen kann, ist auch nicht neu - aber weniger bekannt. Seit Jahren gibt es seriöse Studien, etwa von McKinsey, die sauber nachweisen, dass in Unternehmen mit einem überdurchschnittlichen Frauenanteil im Topmanagement operative und finanzielle Betriebsergebnisse deutlich über denen des jeweiligen Branchendurchschnitts liegen. Bisher war man dafür in der Wirtschaft blind. Da führte auch der erhebliche "Discount" für Managerinnen - der Gehaltsunterschied beträgt in Deutschland 23 Prozent - nicht zu einem rationalen wirtschaftlichen Verhalten, demzufolge man bei diesem Preisvorteil vermehrt Frauen in Führungspositionen hätte befördern müssen. Stattdessen zeigt die Hoppenstedt Datenbank für 2008 erstmals einen Rückgang von Frauen in Top-Führungs-Positionen.

Untersuchungen im von der Finanzkrise europaweit am stärksten gebeutelten Island zeigen, dass in den letzten Jahren der Frauenanteil in den Banken sank und ein Ersatz vor allem durch junge und unerfahrene Männer erfolgte. Nach Professorin und Wirtschaftsberaterin Gertrud Höhler aber verfügen Frauen über besondere Sensoren für Risiken, man könnte auch sagen, sie sind risikoscheuer und legen daher großen Wert darauf, Sachverhalte zu durchschauen. Dies sind alles Kompetenzen, die ganz offensichtlich in den Steuerungs- und Kontrollgremien der Weltwirtschaft unzureichend vorhanden waren - erst dadurch wurde eine Krise derartigen Ausmaßes möglich.

Studien von Catalyst haben schon vor Jahren gezeigt, dass die Führungsqualitäten gemischtgeschlechtlicher Kontrollgremien besser ist. Trotzdem gibt es keinerlei Anzeichen aus der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Codex, Gender Diversity als Qualitätskriterium in die Empfehlungen des Kodexes aufzunehmen. Es ist auch hinlänglich bekannt, dass Postenhäufung ein verbreitetes Phänomen ist, nicht nur in Deutschland. Gleich und gleich gesellt sich gern - das Old Boys Network funktioniert zuverlässig, wenn mal wieder ein Pöstchen zu besetzen ist. Die Abwesenheit von Frauen führt dazu, dass die Männer unter sich bleiben; verbunden mit der Ämterhäufung führt das dazu, dass sie in großem Maßstab miteinander verflochten und verwoben sind - in einem gigantischen Netzwerk, in dem Risikokontrolle ersetzt wird durch den Grundsatz: "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus".

Aufsichtsrätinnen großer Unternehmen berichten, wie sie immer wieder die Einzigen sind, die unbequeme Fragen stellen und Gutachten und Nachweise fordern, bevor sie einem Vorschlag zustimmen, der ohne sie einfach durchgewunken worden wäre. Es ist wohl auch kein Zufall, dass Skandale wie die von Enron oder Worldcom von Frauen aufgedeckt wurden. Aber so, wie eine Schwalbe noch keinen Frühling macht, so kann eine einzelne Frau nicht das Abstimmungsverhalten in Aufsichtsgremien verändern. Auch die Studie von McKinsey zeigt, dass eine Mindestanzahl von drei Frauen notwendig ist, um die dramatisch positiven Effekte in den wirtschaftlichen Ergebnissen zu erreichen. Hier kommt die Quote ins Spiel. Macht wird nicht freiwillig geteilt. Die auf Freiwilligkeit basierende Vereinbarung zwischen den Spitzenverbänden der Wirtschaft und der Bundesregierung bilanziert folgerichtig Jahr für Jahr die ausbleibende Veränderung in Deutschlands Führungsetagen. Microsoft - mit vier Müttern in der deutschen Geschäftsleitung - bleibt eine einsame Ausnahme.

Jede Krise birgt eine Chance auf systemische Veränderungen. Die Wirtschaftskrise schafft ein Zeitfenster, das wir nutzen können, um die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf ein neues Niveau zu heben. Wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und eine Geschlechterquote für Aufsichtsräte. Da Aufsichtsräte wiederum Vorstände berufen, bringen mehr weibliche Aufsichtsräte mittelfristig auch mehr Frauen in die Vorstände - auch hier hält Deutschland einen traurigen Negativrekord. Es ist anzunehmen, dass außerdem ein weiterer Schandfleck blasser werden wird - der Gehaltsunterschied von 23 Prozent zwischen Männern und Frauen.

Um die Quote bis 2013 umsetzen zu können, brauchen wir jedoch auch mehr Transparenz, in erster Linie Qualitätsstandards für die Besetzung derartiger Positionen. Weiterhin braucht es eine nationale Datenbank mit geeigneten Kandidatinnen, die diesen Qualitätsstandards entsprechen - damit sich kein Vorstand mehr herausreden kann, es hätte ja keine qualifizierte Frau gegeben. Last but not least können deutschlandweite Qualifikationsprogramme nach norwegischem Vorbild dazu beitragen, dass wir dieses Ziel genauso problemlos erreichen wie Norwegen - dort gibt es aktuell 44 Prozent Frauen in Aufsichtsräten, eine freiwillige Übererfüllung der Quote.

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