Armenien-Frage: Obama spricht nicht von Genozid
In seiner Ansprache zum Jahrestag des Völkermords an den Armeniern vermeidet der US-Präsident klare Worte. Ankara protestiert dennoch.
US-Präsident Barack Obama bleibt in der heiklen Armenienfrage auf Kurs. In seiner Erklärung zum Jahrestag der Massaker an der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich vermied er zwar, explizit von Völkermord zu sprechen, machte aber dennoch deutlich, dass er persönlich überzeugt sei, dass die Armenier 1915 Opfer eines Genozids wurden. Wörtlich sprach er von "dem großen Unglück" und verwendete den armenischen Begriff "Meds Yeghern", eine feststehende Wendung für den Völkermord.
Eher pflichtgemäß protestierte daraufhin am Wochenende das türkische Außenministerium, weil es "ausschließlich Historikern vorbehalten bleiben sollte, die Geschichte zu beurteilen". Auch der türkische Staatspräsident Abdullah Gül beschwerte sich bei einem Besuch in der bulgarischen Hauptstadt Sofia am Samstag, dass Obama die Leiden auf türkischer Seite nicht erwähnt hätte. In Eriwan gab es auf die Obama-Stellungnahme keine offiziellen Reaktionen, in Internet-Foren zeigten sich viele Diaspora-Armenier allerdings enttäuscht, dass der US-Präsident nicht deutlich vom "Völkermord" gesprochen habe.
Doch Obama geht es weniger um Symbole, als um echte Fortschritte im Verhältnis zwischen der Türkei und Armenien. Erneut betonte er, er unterstütze die Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen den Nachbarn. Die USA würden alles tun, damit die Gespräche zwischen der Türkei und Armenien zu einem Erfolg würden.
Um zu zeigen, dass dies nicht nur eine Wunschvorstellung Obamas ist, hatte Ankara in der vergangenen Woche offiziell erklärt, man habe sich mit der armenischen Regierung auf eine "Roadmap" zur Wiederherstellung gut nachbarschaftlicher Beziehungen geeinigt. Der erste Schritt soll die Öffnung der Grenze zwischen den Ländern sein, die seit 1993 geschlossen ist.
Wie schwer dieses Projekt nach wie vor durchzusetzen ist, zeigen die Reaktionen der Opposition in der Türkei und Armenien, aber auch in Aserbaidschan, die als unsichtbare Dritte praktisch mit am Tisch sitzt. Die türkischen Nationalisten werfen der Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan und Staatspräsident Gül vor, die aserbaidschanischen Verbündeten zu verraten und die türkischen Opfer des Krieges zu verhöhnen.
In Eriwan zogen während der Gedenkkundgebungen am Freitag tausende Demonstranten durch die Straßen. Sie verbrannten türkische Fahnen und forderten die Regierung von Präsident Serge Sarkisjan auf, mit der Türkei keine Gespräche zu führen, solange diese den Völkermord nicht anerkenne.
Auch Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew ist erbost, dass seine Verbündeten in Ankara den Boykott gegen Armenien beenden wollen, obwohl armenische Truppen noch Berg-Karabach sowie auch weite Teile Aserbaidschans östlich von Karabach besetzt halten. Als erste Reaktion kündigte er gestern an, den Gaspreis für die Türkei zu erhöhen.
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