Tom Wolfes LSD-Welt: Wände schnalzen in die Ferne
Die Gehirne braver Highschoolabsolventen auf Acid: Tom Wolfes große Reportage "Der Electric Kool-Aid Acid Test" taucht in eine LSD-satte Welt ein.
Nach ersten Erfahrungen mit Acid kamen die Beatles im Frühjahr 1967 auf den Gedanken, in einem Schulbus kreuz und quer durch England zu kurven und dabei einen Film zu drehen, "Magical Mystery Tour". Doch weder die Spritztour noch der dazugehörige Soundtrack waren richtige Eigenleistungen. Denn die Pilzköpfe popularisierten einfach den in den USA bereits schwer angesagten Acid-Rock der Grateful Dead.
Bereits drei Jahre zuvor begaben sich Ken Kesey und die mit den Grateful Dead bekannten Merry Pranksters mit einem bunt angemalten Bus auf eine Reise durch die Vereinigten Staaten. Neal Cassady saß am Steuer, der als "Dean Moriarty" schon in Jack Kerouacs "On the Road" verewigt worden war und dessen Lebensform im Unterwegssein auf Speed bestand. Während der Reise wurden Acid-Tests öffentlich abgehalten und dabei die Gehirne braver Highschoolabsolventen gegrillt. Das LSD breitete sich aus wie eine Seuche.
Diesen Aufbruch zu etwas völlig Neuem hat Tom Wolfe in seiner grandiosen Reportage "Der Electric Kool-Aid Acid Test" beschrieben. Jetzt wurde sie wieder neu aufgelegt. 1968 erstmals erschienen, sieht man diesem Buch nicht die geringsten Verschleißerscheinungen an. Es war auch nicht die erste Reportage von Tom Wolfe in Buchform. Eine Essay-Sammlung mit dem Titel "Das bonbonfarbene tangerinrot-gespritzte Stromlinienbaby" war schon 1965 herausgekommen und wurde so etwas wie das Manifest des "New Journalism", zu dem auch die Autoren Norman Mailer, Truman Capote, Joan Didion, Gay Talese und Hunter S. Thompson gezählt werden. "Subjektiver Blickwinkel" heißt es in der Literaturwissenschaft. Eine "Unabhängigkeitserklärung vom konventionellen Journalismus" nennt es Marc Weingarten in seiner Darstellung des New Journalism "Whos afraid of Tom Wolfe?".
Jedenfalls war der persönliche Einsatz höher, und die Autoren, die Tom Wolfe in seiner 1973 herausgegebenen Anthologie um sich scharte, hatten es wirklich drauf. Sie hatten Stil und Eleganz, ihre Geschichten waren temporeich und schwungvoll, analytisch, kritisch, vehement. Hier waren keine Bügelfaltenschriftsteller am Werk.
In "Der Electric Kool-Aid Acid Test", der auch auf Deutsch bereits mehrere Auflagen bei verschiedenen Verlagen hinter sich hat, zeigt Tom Wolfe sein Gespür für die hervortretenden Risse im Gefüge der amerikanischen Gesellschaft. Er bewundert Ken Kesey und dessen ruhige Art eines Holzfällers aus Ohio. Er taucht ein in die Welt der Pranksters, ist fasziniert von der friedlichen, sich gegenseitig unterstützenden und dennoch rebellischen Lebensweise. Später wird Tom Wolfe einmal sagen, er wäre ein Prankster geworden, wenn er es geschafft hätte, seinen Job an den Nagel zu hängen.
Wolfe schlägt einen wahnwitzigen Takt an, denn da es schließlich um Drogen und Bewusstseinserweiterung geht, ist dem Autor auch an einem anderen Stil gelegen, einem Sound in der Sprache, der durch die psychedelischen Klänge der Grateful Dead hindurchzuhören ist und bei dem das LSD seine Wirkung tut. "Die Wände kommen auf ihn zugerast, um dann sofort wieder in die Ferne zu schnalzen, so weit weg, dass der Raum die Größe eines Tizianischen Bankettsaales annimmt." Das kommt ganz gut hin, und als Leser ist man mitten drin im bunt angemalten Bus und begibt sich auf eine Zeitreise, die nicht schlechter ist, als sich per Knopfdruck in ein anderes Universum zu beamen.
Wer also wissen will, wie alles anfing, und das auf packende Weise, für den gibt es nichts Besseres als Tom Wolfes Reportage. Sie hat nur einen unangenehmen Nebeneffekt: Die Gegenwart erscheint einem plötzlich sehr fade und alt.
Tom Wolfe: "Der Electric Kool-Aid Acid Test. Die legendäre Reise von Ken Kesey und den Merry Pranksters". Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Schmid. Heyne Verlag, München 2009, 560 Seiten, 9,95 €
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