Merkel übergibt Migranten Urkunde: Zur Einbürgerung ins Kanzleramt
Kanzlerin Angela Merkel hat zum ersten Mal Migranten feierlich ihre Einbürgerungsurkunden überreicht. "Reine Symbolpolitik", schimpft die Opposition.
BERLIN taz | Sechzehn Migranten haben am Dienstag aus den Händen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Einbürgerungsurkunde erhalten. Zum ersten Mal lud damit ein deutsches Regierungsoberhaupt zur Einbürgerungszeremonie in den eigenen Amtssitz - gemeinsames Absingen der deutschen Nationalhymne inklusive.
Ein bisschen Imagepflege scheint für Merkel not zu tun: seit Jahren sinken die Einbürgerungszahlen. Gab es 2000, als das Staatsangehörigkeitsrecht neu geregelt wurde, noch 186.688 Einbürgerungen, waren es 2007 lediglich 113.030. Mit Ausnahme im Jahr 2006 sind die Zahlen durchgehend gesunken.
Im Jahr 2008 dürften noch einmal weniger deutsche Pässe ausgeteilt werden: Anfragen der Linkspartei in mehreren Bundesländern hätten ergeben, dass man mit einem weiteren Rückgang von 15 Prozent rechnen müsse, so Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion die Linke. Die endgültigen Daten veröffentlicht das Statistische Bundesamt im Juni. Merkel und die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) ernteten für den Einbürgerungsakt von mehreren Seiten harsche Kritik. Josef Winkler, migrationspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, bezeichnete die Veranstaltung als "reine Symbolpolitik" und "dreist". Die große Koalition habe die Einbürgerungspolitik an die Wand gefahren und Einbürgerungsmöglichkeiten verschärft. Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, forderte eine Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts. Gesetzesverschärfungen trügen Schuld an den abnehmenden Einbürgerungszahlen, die für einen Rechtsstaat nicht hinnehmbar seien, so Kolat. Dagdelen kritisierte die Veranstaltung im Kanzleramt als "pure Show". Sie forderte Einbürgerungen per Geburt - "oder wenn jemand seinen Lebensmittelpunkt seit mindestens fünf Jahren in Deutschland hat". Im Moment liegt die Grenze bei acht Jahren.
Linke, Grüne und Türkische Gemeinde kritisieren zudem das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft für Nicht-EU-Bürger und den Optionszwang: Derzeit müssen sich in Deutschland geborene junge Erwachsene mit einem deutschen und einem ausländischen Pass bis zum 23. Lebensjahr für die eine oder die andere Nationalität entscheiden. EVA VÖLPEL
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Pro und Contra Sanktionen gegen Iran
Lauter Druck versus stille Diplomatie
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög