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Ex-DGB-Funktionärin Engelen-Kefer"Arbeiter sind auch systemrelevant"

Die Gewerkschaften müssen für hohe Tarifabschlüsse sorgen, sagt die SPD-Politikerin und ehemalige DGB-Funktionärin Ursula Engelen-Kefer.

"Schwarz-Gelb wäre die größte Katastrophe, die man sich vorstellen kann": Ursula Engelen-Kefer. Bild: dpa
Felix Lee
Interview von Felix Lee

Ursula Engelen-Kefer

Die 66-Jährige war von 1990 bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB. Bei der Bundestagswahl tritt sie als Direktkandidatin der SPD im Wahlkreis Ingolstadt an.

taz: Frau Engelen-Kefer, hatten Sie erwartet, dass 100.000 Menschen protestieren würden?

Ursula Engelen-Kefer: Nachdem deutlich geworden ist, wer die Verursacher der Krise sind und sie keine Hemmungen haben, ihre Lobbyisten aus den Schützengräben zu holen, bin ich davon ausgegangen, dass viele Menschen wissen, dass sie etwas unternehmen müssen. Wenn nichts geschieht, wird es nach dem Muster ablaufen: Privatisierung exorbitanter Gewinne und Sozialisierung dramatischer Verluste.

War die Berliner Demonstration der Beginn sozialer Unruhen?

Ich finde die Hysterie darum völlig daneben. Die horrenden Summen, die nun zur Bankenrettung ausgegeben werden, sind ja alles Steuergelder. Dass diejenigen, die diese Steuergelder aufbringen müssen, sich zu Wort melden, kann ich doch nicht als verdammenswertes Schüren von sozialen Unruhen bezeichnen. Es ist die Pflicht der Gewerkschaften, dafür zu sorgen, dass diese Stimmen auch laut werden.

Jüngste Umfragen zeigen: Die meisten Menschen haben noch keine Angst vor der Krise.

Die Situation in Deutschland ist sehr unterschiedlich. In Ingolstadt mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenquote ist die Krise trotz Kurzarbeit und vereinzelter Arbeitslosigkeit bei der Mehrheit noch nicht angekommen. Den Arbeitnehmern von Opel, Conti oder Schaeffler sitzt die Angst schon ganz schön im Nacken.

Was müsste der nächste Schritt für die Gewerkschaften sein?

Die Gewerkschaften müssen die Politik unter Druck setzen und dafür sorgen, dass die Märkte grundlegend reguliert werden. Es ist selbstverständlich, dass die Banken eine wichtige Funktion haben in unserem Wirtschaftssystem. Aber Arbeitnehmer haben genauso eine wichtige Funktion und sind mindestens genauso systemrelevant.

Sollten sich die Gewerkschaften bis zur Bundestagswahl ruhig verhalten, wie es sich die Regierungsparteien erhoffen?

Nein. Ganz aktuell stehen Tarifkonflikte an. Und da müssen sie dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer nicht zu Opferlämmern gemacht werden. Die Gewerkschaften müssen für hohe Tarifabschlüsse sorgen. Und selbstverständlich kann dies auch mit Streiks verbunden sein.

Sie kämpfen für die SPD um ein Bundestagsmandat. Haben Sie nicht das Interesse, dass es bis zur Wahl ruhig bleibt?

Mir geht es vor allem um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Natürlich ist die SPD die Partei, von der ich annehme, dass sie am ehesten bereit ist, deren Interessen entgegenzukommen. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass Politiker nicht immer nur auf die besseren Argumente hören, sondern dass es auch immer wichtig ist, von unten Druck zu machen.

Es ist bereits absehbar, dass nach den Wahlen die Verteilungskämpfe beginnen werden.

Das hängt davon ab, wo die Menschen ihr Kreuz machen. Wenn Schwarz-Gelb gewählt wird, wäre das die größte Katastrophe, die man sich vorstellen kann. Die FDP hat angekündigt, alle Banken und Krankenversicherungen zu privatisieren und die Tarifautonomie der Gewerkschaften ebenso abschaffen wie die Bundesagentur für Arbeit.

Unter Schwarz-Rot gäbe es keine Verteilungskampf?

Er wäre zumindest nicht so brutal. Eine Merkel mit der SPD würde anders agieren als eine Merkel mit einem Westerwelle.

INTERVIEW: FELIX LEE

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1 Kommentar

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  • HR
    Helmut Ruch

    Politik à la SPD, Interview à la taz!

    Bloß keine richtigen Fragen stellen, z.B. die nach dem Zusammenhang zwischen der Machtlosigkeit der Gewerkschaften und den Schröderschen Reformen, existenzieller Bedrohung von Millionen Arbeitnehmer durch Hatz IV und massivem Ausbau des Niedriglohnsektors, nach der relativen Bedeutungslosigkeit von Tarifverträgen, da sie immer weniger Arbeitnehmer überhaupt betreffen!

    Stattdessen wieder ein Wahlkampfbeitrag, in dem eine SPD-Kandidatin darlegen darf, was sie denn gerne hätte, nämlich starke Gewerkschaften, wo sie doch genau weiß, dass es ein vorrangiges Ziel Schröders war, dieses zu verhindern.

    Man könnte sie ja auch mal fragen, wie sie zum Verhalten all der Gewerkschafter mit SPD-Parteibuch steht, die im Bundestag als Abgeordnete den Schröder-Putsch mitgetragen haben.

    Aber nein, Fragen solch indiskreter Art werden in taz-Interviews allenfalls dem politischen Gegner, sprich Oscar Lafontaine, gestellt. So moralisch bankrott die neoliberal gewendete SPD auch sein mag, von der taz hat sie nichts zu befürchten!