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60 Jahre Grundgesetz750.000 dafür, 2.000 dagegen

Dafür: Am Brandenburger Tor feierten viele Berliner die Gründung der Bundesrepublik. Doch Schwarz-Rot-Gold sah man kaum.

Die kleine Sarah hat ein völlig unverkrampftes Verhältnis zur BRD. Bild: Gero Breloer/AP

Das Geburtstagskind scheint beliebt zu sein. Tausendfach wandert das Grundgesetz, das vor 60 Jahren in Kraft trat, in Tüten und Taschen. Die Passanten stehen Schlange, um die Verfassung zu ergattern. Die Mitarbeiterinnen am Bundestagsstand kommen kaum hinterher. "Das geht hier seit neun Uhr wie am Fließband", stöhnt eine. Ihre Kollegin ruft: "Wir müssen neue Tüten holen."

750.000 Besucher sind laut Bundesregierung am Samstag zum Bürgerfest zwischen Brandenburger Tor und Kleinem Stern gekommen, um das Jubiläum des Grundgesetzes zu feiern. Familien und Rentner, Studierende und Touristen lassen sich die Sonne auf die Nase scheinen, machen sich über Leberkäse und Bratwürste her und sammeln jede Menge Info-Material.

Das politische System Deutschlands passt in eine Reihe von weißen, spitzen Plastikzelten: Die Bundesländer, die Ministerien, die EU, alle wichtigen Institutionen haben entlang des 17. Juni ihre Stände aufgebaut. Sie bieten Ratespiele an, verteilen Gummibärchen und Kugelschreiber. Die gehen mindestens so gut weg wie das Grundgesetz.

Anders als bei der Fußball-WM sind die schwarz-rot-goldenen Flaggen auf dem Bürgerfest rar. Man sieht keine bemalten Gesichter, keine T-Shirts in den Nationalfarben. Doch es gibt sie, die Begeisterung für Deutschland. Man muss nur danach fragen. "Wir können stolz sein auf 60 Jahre Stabilität und Frieden", sagt ein Informatiker aus Ludwigshafen. Eine Frau aus Wedding mit rosa Sonnenbrille im Haar kritisiert: "Deutschland hält sich mit dem Patriotismus leider immernoch zurück. Die Leute befürchten, als Neonazis abgestempelt zu werden."

Auch Werner Dix hat hin und her überlegt, als sie ihm die Fahne anboten. Flaggen tragen sonst ja nur die Kinder. Dann hat er sich einen Ruck gegeben und den Papierwimpel am Reißverschluss seines Hemdes befestigt. "Ich bin schließlich stolz darauf, in einem wiedervereinigten Deutschland zu leben", sagt der pensionierte Banker mit Pferdeschwanz. Auch aufgrund seiner eigenen Geschichte: Er sei als Kind mit seiner Familie aus dem Osten nach Nordrhein-Westfalen geflohen.

Auf der Leinwand im Hintergrund läuft derweil das Bühnenprogramm, gute deutsche Mainstream-Unterhaltung. Thomas Gottschalk quatscht mit Prominenten. Er zeigt auf die Begleiterin von Boris Becker. "Das ist übrigens die Zweite von Boris, nachher kommt die Neunte von Beethoven." Einige lachen.

Zum Auftritt von Daniel Barenboim und der Staatskapelle Berlin lässt sich wenig später auch der alte und neue Bundespräsident Horst Köhler auf der Tribüne nieder. Über eine Stunde dauert das Konzert. Die Zuschauer stehen diszipliniert auf dem Platz und lauschen. Endlich ertönt die "Ode an Freude". Man merkt, viele haben nur auf dieses Lied gewartet. Sie wippen mit und klatschen nach dem Satz. "Sch", zischt es durch die Menge. Ein weißhaariger Mann schüttelt den Kopf. Wissen diese Leute denn nicht, dass man erst am Ende applaudiert? Ein junges Pärchen drängelt sich nach vorne. Gleich kommt Udo Jürgens.

Dagegen

Die Gegner des Grundgesetzes demonstrierten in Prenzlauer Berg - und blieben wider Erwarten friedlich.

Den Antifa-Anhängern muss ganz schön warm sein: In schwarzen Kapuzenpullovern, Jacken und Mützen sitzen sie am Samstagabend auf der Wiese vor der Volksbühne und lassen sich von der Sonne bescheinen. In zehn Minuten, um 18 Uhr, soll ihre antinationale Parade als Gegenveranstaltung zum Bürgerfest auf der Straße des 17. Juni beginnen, aber noch bewegt sich nichts. Zu viele der Demonstranten müssen erst noch die Polizeikontrollen passieren, die den Zugang zum Platz blockieren.

Auf dem Platz wird nach Farben getrennt: Während sich die schwarz gekleideten Demonstranten in der Mitte auf dem Rasen sammeln, stehen die grünen Uniformierten am Rand bei ihren Einsatzwagen. "Wir sind entspannt", sagt ein Polizist. Auch er trägt Kampfmontur und einen Knopf im Ohr. Vor einer Eskalation wie am 1. Mai hat er keine Angst. "Wir warten einfach ab, was passiert."

In den Straßencafés sitzen derweil Touristen. Man spricht Spanisch und Englisch, trinkt Latte Macchiato und versteckt sich hinter großen Sonnenbrillen. "Es wirkt wie ein Volksfest", sagt ein Mann, der sein Fahrrad durch die Menge schiebt. Auf einem Wahlplakat der Linken zur Europawahl wirbt Lothar Bisky für "Vernunft".

Die Sonne ist mittlerweile hinter den Häusern verschwunden, da kommt endlich Bewegung in die Menge. Ein Demonstrationszug formiert sich, und plötzlich steht da der berüchtigte schwarze Block: Dicht gedrängt, die Basecaps tief ins Gesicht gezogen, darüber die Kapuzen ihrer schwarzen Jacken und dazu Sonnenbrillen tragend bilden seine Mitglieder die Spitze des Zuges. Dahinter kommt ein kleiner Transporter, von dem laut Musik schallt, es folgt der Rest der Demonstranten, lockerer aufgestellt und bunter gekleidet. Dann stürmen sie los. Fast überrennt der schwarze Block einen Einsatzwagen der Polizei, dabei laut "Haut ab!" skandierend - und kommt so gerade einmal 50 Meter weit.

Unzählige Polizisten stellen sich der Demo, die inzwischen auf 2.000 Teilnehmer angewachsen ist, in den Weg, die Visiere der Helme heruntergeklappt, die Schlagstöcke an Gürtel baumelnd. Grün gegen schwarz, hier gibt es klare Fronten, und nichts bewegt sich. Nach zehn Minuten folgt die Durchsage vom Veranstalter: "Die Polizei sagt, mit dem schwarzen Block an der Spitze geht es nicht weiter. Aber wir haben langsam keine Geduld mehr. Gebt den Weg frei, wir wollen kein Polizeispalier." Die Menge grölt, der schwarze Block springt auf und ab, die Polizisten bewegen sich keinen Zentimeter. Fotografen drängen sich zwischen die Fronten.

Es ist nach acht, als die Demo wieder in Bewegung kommt und den Rosa-Luxemburg-Platz verlässt. Polizisten schirmen den Zug ab. "I dont believe in anything... Im just here to see the violence", steht auf einem Plakat. Doch es bleibt friedlich. Um 22 Uhr endet die Kundgebung vorzeitig an der Oderberger Straße. Die Polizei meldet lediglich sechs Festnahmen.

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8 Kommentare

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  • CK
    Capitalism kills

    Gegen das Grundgesetz ist ja nichts einzuwenden, es täuscht halt nur über die Realitäten hinweg. Ein Großteil des "deutschen Volkes" lässt sich täuschen, das Volk regiert nämlich keinesfalls. Die Realität ist, dass einige Wenige über den Großteil der Menschen herrschen. Die Großunternehmer, das Kapital, herrschen über die Bundesrepublik und nicht die Politik. Die Politik führt lediglich die Gesetze des Kapitals aus.

    Viele dürfen wählen, doch nur wenige befehlen.

  • S
    shenanigans1983

    Ist es nicht eine Ironie in sich, das der schwarze Block nur aufgrund dieser Verfassung, die ihnen Demostrations- und Redefreiheit zusichert, (und die sie anscheinend verteufeln) dort demonstrieren darf? Und nicht nur sie verteufeln das Grundgesetzt (das ich ganz persönlich für eine der besten Verfassungen der Welt halte)! Sondern auch unsere Regierung, Schäuble, viele unserer Politiker und natürlich etliche der Herren in Grün mit Schlagstock. Der hängt meist recht locker wenn man mal eine andere Meinung hat - ist die Polizei auch nur "for rage and violence" gekommen? Das die Polizei gerne provoziert ist im übrigen bekannt.

     

    Das GG selbst ist es, das von oben erwähnten Gruppen permanent unter Beschuss steht. Alle werkeln an der Demontage des GG und die bösen Richter in Karlsruhe spucken ihnen dabei mit schöner Regelmäßigkeit in die Suppe. Find ich immer wieder lustig.

     

    Ich finds nebenbei gesagt auch wirklich gut, das sie dort demonstrieren dürfen - wenn es ihre Meinung ist - nur zu, spricht doch wieder fürs GG.

     

    Ich bin nicht stolz auf die BRD noch aufs GG - aber ich bin heilfroh, das mich das Grundgesetz vor Radikalen wie der Krake Schäuble und Merkels Bande schützt.

  • R
    RedHead

    Danke für die bewusst irreführende Darstellung der antinationalen Parade, nichteinmal die Springerpresse schreibt derartigen Müll. Die Parade war trotz aller möglichen Schikanen friedlich, Einzig die Bullen haben regelmäßig Gewalt ausgeübt. Es kann auch verdammt nochmal nicht angehen, dass die Polizei die Kleidungsfarbe reglementieren will (sowie die Länge der Seitentansparente und der zu tragenden Schuhe). Abgesehen von sensationsgeilen Medien (Bild war hier merkwürdiger Weise die Ausnahme) hat auch niemand Krawalle erwartet.

    Und schön, dass ihr jemand unpolitischen gefunden habt, der aufgestachelt von dämlicher Propaganda in Erwartung von Krawallen dort hin gegangen ist, das ändert aber nichts daran, dass die Demo zu 99% politisch war (Deppen gibt es immer). Man kann falsches suggerieren indem man die Wahrheit sagt, z.B. indem man derart selektiv die Tatsachen wieder gibt wie ANTJE LANG-LENDORFF. Die Glaubwürdigkeit eurer Redaktion erhöht das jedenfalls nicht.

    Dieses repressive Vorgehen gegen die Demonstration hat schon eine Gewisse Ironie. Der demokratische Staat schützt sich vor Verfassungsfeinden, indem er deren Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Versammlungsfreiheit untergräbt und seitens der stolz-deutschen Medien gibt es dafür auchnoch Applaus. ANTJE, du bist Deutschland

  • EE
    @ Einhorn & Volka

    "Krieg in Jugoslawien"

     

    Ein rassistischer Bürgerkrieg auf europäischen Boden mit tausenden Toten wurde mithilfe der Bundeswehr beendet und der auseinandergebrochende Staatenbund dauerhaft stabilisiert.

     

    Ähnliches gilt beim Afghanistan-Einsatz.

    Wie kann die Vertreibung der frauenunterdrückenden Taleban in Frage gestellt werden? Zumal die Bundeswehr daran nicht mal beteiligt war und nur den jetzigen Status Quo bewahren helfen soll.

     

    "Hartz4 eine Schweinerei"

     

    Wieso, in der Praxis gibt es keinen Unterschied zur damaligen Sozialhilfe. Ist eine existenzminimumgewährleistende Solidarzahlung schweinisch, welche die arbeitende Bevölkerung den dauerhaft Erwerbslosen transferiert?

     

    "Ausbeutung der nicht westlichen Länder"

     

    Welches nicht westliche Land wird von der BRD denn bitteschön ausgebeutet?

    China ist zur Zeit das einzige Land, das z.Z. den afrikanischen Kontinent ausbeutet und den dortigen Militärjuntas Millionen $ in den Arsch steckt.

     

    "rassistische Abschiebepraxis"

     

    Aha. Als ob die Bleiberechtsgewährung der "3 Miliarden Menscen von weniger als 2 Dollar am tag leben müssen", nicht dazu führen würde, dass 82 Millionen Menschen mehr "von weniger als 2 Euro am Tag leben müssten"...

     

    Die letzten 60 Jahre sind eine demokratische Erfolgeschichte. Wir etablierten Demokratie und Wohlstand in diesem Land. Und schafften es, seit dem keinen Weltkrieg zu starten.

    Für 750.000 Berliner ein Freudenfest.

    2000 Ignoranten (und wohl auch Einhorn & Volka) geben ideologisch bedingtes, sinnfreies Kontra.

  • M
    Max

    5 Millionen Kinder leben in Deutschland, einem der wohl reichsten Ländern der Welt, unterhalb der Armutsgrenze und niemand thematisiert dies. Es wurde vielleicht viel erreicht in den letzten 60 Jahren aber noch viel mehr ist noch zu tun!

     

    Unser Land sollte lieber aufpassen, dass diese Kinder nicht irgendwann mal ihre eigene Jahresfeier auf die Beine stellen. Und dann werden sicher nicht nur die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen brennen!

  • D
    denninger

    @"Einhorn":

    Dann stehst Du sicher an jedem Deiner Geburtstage vor dem Spiegel und schämst Dich vor Dir selbst. Was tust Du denn gegen die Ausbeutung? Vor dem Computer sitzen und große Reden schwingen? Wenn über 50.000 Leute in wenigen Tagen eine Petition für ein "begingungsloses Bürgereinkommen" zeichnen wo bleiben denn die 100.000e für eine Neuorientierung der "Entwicklungshilfe"? Eckpunkte sind ein Festsetzen der EH auf einen bestimmten Prozentsatz des BIP, Förderung von lokalen NGOs, Transparenz in der Mittelvergabe, Verknüpfung der EH mit Demokratieentwicklung und Abschaffung der EU-Agrarzölle.

    Wo bleibt denn die über die weltweite Ungerechtigkeit empörte Linke? Ja, sie sitzt immer noch vor dem Computer und schreibt große Reden.

    Ach "Volka" natürlich gibt es "besseres als diese Nation"(sic!). Aber existiert das auch in der Realität? Wenn ja, bitte sag es mir und ich bin weg von hier (SCNR)! Wenn es noch Vision ist dann arbeite daran. Möglichkeiten zur gesellschaftlichen und politischen Betätigung gibt es ja genügend in Deutschland. Aber reden ist ja viel einfacher...

  • V
    Volka

    Ein Mann wurde zitiert: "Wir können stolz sein auf 60 Jahre Stabilität und Frieden"

    Ich erinnere: Jugoslawien- Krieg, deutsche Soldaten in Afghanistan etc.; dazu kommt die Krise (nicht die erste), Milliarden fließen in Banken und Unternehmen. Auf der anderen Seite haben wir ein marodes Bildungssystem, Hartz4 und andere Schweinereien, zudem Massenentlassungen, eine rassistische Abschiebepraxis und (bald) einen totalen Überwachungsstaat.

    Glückwunsch BRD!

    Leute, denkt nach, es gibt etwas besseres als diese Nation.

  • E
    Einhorn

    Was die Menschen sagen

    "ich bin Stolz auf BRD"

    wieso eigentlich?

    wegen den Grundrechten die immer weiter eingeschränkt werden?

    wegen der Ausbeutung der "nicht westlichen Ländern"?

    Ich kann nur sagen, dass die ganzen "westlichen Ländern" total gut dran sind und dieses garnicht verdienen, während auf der Anderen Seite über 3 Miliarden Menscen von weniger als 2 Dollar am tag leben müssen.

    Darauf muss ich nicht stolz sein sondern empört!!!!