piwik no script img

Kopenhagener Freistaat ChristianiaIllegal nach 37 Jahren

Ein Kopenhagener Gericht stellt die Existenz des alternativen Freistaats Christiania in Frage.

Straßenfest zum 35. Geburtstag Christianias. Bild: dpa

Den 1.000 BewohnerInnen des Kopenhagener Freistaats Christiania stehen unsichere Zeiten bevor. Sie haben einen Prozess gegen den dänischen Staat um das Besitzrecht für ihr Wohngebiet verloren. Nach einem gestern ergangenen Urteil des Østre Landsret in Kopenhagen gelten sie im Prinzip als illegale Haus- und Grundstücksbesetzer. Nach 37 Jahren ist damit zwar nicht unbedingt Christiania selbst, aber doch die Form der weiteren Existenz des Freistaats in Frage gestellt.

Das Gerichtsverfahren hatten mehrere BewohnerInnen von Christiania als Musterprozess eingeleitet, nachdem die dänische Regierung 2004 ein 1991 geschlossenes Rahmenabkommen über ein vorläufiges Besitzrecht der ChristianiterInnen gekündigt hatte. Und ihnen gleichzeitig auferlegt worden war, ihre Häuser binnen 18 Monaten zu räumen.

Gegen diese Kündigung hatten die Betroffenen mit einem durch Gewohnheitsrecht errungenen eigenen Rechtsanspruch argumentiert: Den hätten sie erzielt, weil 14 verschiedene Regierungen seit 1971, als dieses ehemalige Kasernengelände ursprünglich besetzt worden war, keine ernsthaften Versuche unternommen hätten, der Besetzung ein Ende zu bereiten.

Knud Foldschack, Anwalt von Christiania, bewertete in einem ersten Kommentar das 163 Seiten lange Urteil erstaunlich positiv. Formal sei man zwar unterlegen, aber die rechtliche Begründung des Landgerichts zur Frage eines möglichen Besitzrechts mache eine Revision zum Obersten Gerichtshof äußerst erfolgversprechend: "In der Argumentation haben wir nur zu 51 Prozent verloren, aber zu 49 Prozent gewonnen. Damit bin ich mehr als zufrieden." Er werde deshalb eine Revision empfehlen.

Selbst eine Niederlage auch in der nächsten Instanz wird wohl nicht dazu führen, dass die Staatsmacht tatsächlich versuchen wird, Christiania mit Zwangsmitteln zu räumen. Nicht nur wegen der dann zu erwartenden gewaltsamen Unruhen. Christiania genießt auch einen starken Rückhalt in der dänischen Bevölkerung und hat sich für Kopenhagen zu einer Touristenattraktion entwickelt. Es gelte, nun eine "vernünftige Lösung" zu finden, kommentierte deshalb auch ein Sprecher der zuständigen staatlichen Grundstücksbehörde. Verhandelt über ein neues Abkommen, das die Existenz des Freistaats auch formaljuristisch regeln soll, wird seit Jahren.

Die nun vorläufig gescheiterte Klage war ein Versuch der ChristianiterInnen, auch ohne Zugeständnisse an den Staat eine dauerhafte Rechtsposition erringen zu können. "Parallel mit dem Revisionsverfahren werden wir nun weiterverhandeln", kündigte Christiania-Anwalt Foldschack an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

17 Kommentare

 / 
  • O
    ole

    @ Svetozar Schnuckelberger

     

    Offensichtlich kommen Sie mit alternativen Lebensweisen/formen, welche vom Mainstream abweichen nicht klar. Das haben Sie ja auch schon bei ihrem Kommentar zum ruhmreichen Einsatz der Spezialeinheit der russischen Miliz gegen das Häufchen homosexueller Demonstranten, oder wie Sie es formulierten "unerwünschte Elemente im 3.Rom" am Tage des Eurovision Song Contest in Moskau deutlich gemacht.

     

    Wovor haben Sie denn Angst? Was stört Sie daran, daß Menschen für sich eine eigene Lebensart wählen. Warum reduzieren Sie die Leute von Christiania auf Mietschmarotzer.

    Finden Sie es wirklich so erstrebenswert, in einer nivellierten, phantasielosen Gesellschaft der "Diederich Heßlings" zu leben?

     

    Etwas weniger Ignoranz und etwas mehr Toleranz und Sie werden sehen, es lebt sich deutlich entspannter. Denn Sie werden sich dann nicht mehr ständig und krampfhaft an allen Dingen reiben müssen und haben deutlich mehr Zeit für einige Blicke über den Tellerrand hinaus.

  • H
    Hner

    @schnuckelberger: Das Thema auf finanzielle Fragen zu reduzieren, zeugt von derselben zeitgeistigen Ignoranz, die auch dem Gerichtsbeschluss zugrunde liegt. Mit der Zwangsrückführung der Christiania endet ein Lehrstück in Sachen gelungenem selbstverantwortlichen Zusammenleben. Am Ende verlieren wir alle, wenn freiheitlichere Gesellschaftsentwürfe leichtfertig verworfen werden.

     

    http://sehrhner.de/2009/05/farvel-christiania/

  • K
    Kilian

    @schnuckelberger

    Die Christianiter zahlen eine Miete an das Verteidigungsministerium, das Eigentümerin des Geländes ist und an einen komunalen Topf aus dem gemeinschaftliche Aufgaben bezahlt werden.

    Ich bitte um mehr Zurückhaltung mit Vorurteilen, Unterstellungen und vorschnellen Interpretationen.

  • S
    Sceptic

    @ Svetozar Schnuckelberger

    genau das war mit alternativem Denkmodell bzw. dem Fehlen der nötigen Phantasie gemeint: Ich glaube einfach nicht, dass die Einwohner von Christiania in Begriffen wie "Ertragswert" denken. Die Leute aus besetzten Häusern/alternativen Wohnprojekten etc., die ich kenne, tun es jedenfalls nicht. Diese Menschen verweigern sich ein Stück weit dem tragischen gesellschaftleichen Konsens, dass alles eine Flagge, eine Armee und vor allem einen Preis haben muss. Und das tun sie mit Recht, denn der Wert eines gesellschaftlichen Gegenentwurfes wie dem aus Kopenhagen ist mit dem verdammten Geld, das man mit den Immobilien verdienen könnte, nicht aufzuwiegen.

    Leute, die aufzeigen, dass man Gesellschaft auch anders gestalten kann als nach den Maßgaben des Gottes "Geld" finden meist nur in der Science Fiction statt (z.B Gene Roddenberry). Da ist es gut, dass es Leute gibt, die im richtigen Leben etwas anderes ausprobieren, als stumpf überall ein Preisschild dran zu kleben.

    Übrigens: Anitkapitalistische, sogar anarchistische Versuche hat es - meist in Zeiten der Neuordnung nach Kriegen - schon gegeben. Die sind immer so lange gut gegangen, bis die nächste Ordnungsmacht kam und das Experiment gewaltsam beendet hat. Stichworte, die zu recherchieren sich lohnen: Ulmer Wära, Machno-Bewegung

  • SS
    Svetozar Schnuckelberger

    @Von Sceptic

     

    Diese Leute haben sich doch bereits "das wertvollste Grundstück unter den Nagel" gerissen, indem sie (qua Nichtzahlung der marktüblichen Miete) seinen Ertragswert usurpieren; auf den (nicht realisierbaren) Substanzwert kommt es dann schlicht nicht mehr an. "hre Ruhe haben können die Leute doch auch außerhalb bevorzugter Innenstadtlagen....

  • H
    Henrik

    Als Däne habe Ich immer Christiania unterstützt. Das hat sich aber in die letzten Jahren geändert.

     

    Vor ungefähr ein Jahr hat eine gruppe von Christianiten die Bibliothek von die nebenligende Christianshavns Gymnasium angegriffen und angezündet.

     

    Rund um die selbe zeit würde ein Möbelhändler geplündert und auch angezündet.

     

    Danach gab es mehrere Schussepisoden in der Freistadt.

     

    Wenn die Christianiten nicht selber diese Art von ausschreitungen verhindert, können die meinetwegen Christiania schliessen.

  • D
    dietah

    Wars nicht so, dass die dänische Regierung das schmucke Brachland gern als Immobilieninvestment verschachern möchte?

    Weil industriell unberührt und unverschandelt. Man hat ja in der Peripherie schonmal angefangen was hochzuziehen:)

    Für Leistungsträger und ihre Freunde in bester Innenstadtlage. Der Pöbel stört da nur. Beim Herrschen und so.

     

    Hab nur noch einen alten Link mit vagen Hinweisen gefunden:

     

    (www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0804/hauptmm.htm?http://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0804/080430.htm)

  • S
    Sceptic

    @ Svetozar Schnuckelberger: haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass der Grund für Leute, so leben zu wollen, der Wunsch nach möglichst weitgehender Autonomie von eben jenem stumpfen Hedonismus sein könnte, den Sie den Einwohnern von Christiania unterstellen? Kommentare wie Ihrer (kein persönlicher Angriff, nur ein tragisches Beispiel) zeigen, wie gut die materialistische Indoktrination und mittlerweile Jahrzehntelanger Neoliberalismus -> Hurra-Kapitalismus die nötige Phantasie für alternative Denkmodelle gelähmt hat.

    Solche Leute wollen sich nicht das wertvollste Grundstück unter den Nagel reißen, um es irgendwann gewinnbringend verschachern zu können, solche Leute wollen genau davor ihre Ruhe haben und ich verstehe sie zu gut...

  • S
    sebastian

    Naja,.....

     

    die regierung kann da aktuell eh nichts machen. Auch in Dänemark ist exekutive und legislative getrennt.

     

    Ein Gericht kann nur auf den bestehenden Gesetzen ein Urteil fällen, wie damit verfahren wird hängt von der Regierung ab.

  • SS
    Svetozar Schnuckelberger

    @ Von pete

     

    Was diese Leute - nicht anders als die Bewohner der Hamburger Hafenstrasse - so "lieben" ist wohl primär das mietfreie Wohnen in bevorzugter Innenstadtlage.....

  • L
    Lars

    Der dänische Staat will es wohl unbedingt wissen. Wenn sie's wollen können sie's haben.

  • DT
    Das T

    Die rechtskonservative Regierung in Dänemark ist unglaublich...unglaublich ungeschickt und langsam im Lernen aus ihren Fehlern. Nicht nur das Christiania bereits ein Teil dänischen nationalen Selbstverständnisses geworden ist (dem "Freistaat" ist ein eigener Ausstellungsteil im dän. Nationalmuseum gewidmet) und breiten Rückhalt in der Bevölkerung genießt, solche Maßnahmen also recht unpopulär sind, so haben auch vermehrt Stimmen in der dänischen Öffentlichkeit einen Zusammenhang hergestellt zwischen den zur Zeit immer unkontrollierbareren Drogenbanden-Kriegen zwischen Hells-Angels und anderen Banden und den verschärften Regulierungen und Repressionen in Christiania:

    In den letzten Monaten gab es Todesopfer und mehrere Schwerverletzte bei Schießereien in dem Kopenhagener Stadtteil Nørrebro. Die Schusswechsel finden oftmals mitten am Tag und mitten unter unbeteiligten Bevælkerung statt. Einige Unbeteiligte kamen bereits zu Schaden. Polizei und Politik gehen bei den Konflikten der revalisierenden Banden von einem Kampf um den Drogenmarkt, vor allem aber dem Haschmarkt aus. Bevor 2004 (?, bin mir beim Jahr nicht ganz sicher) der offene und bis dahin offiziell tolerierte Haschmarkt (die legendäre "Pusherstreet", die auch dazu beigetragen hat, Christiania so populär zu machen) von der Polizei geräumt und aufgelöst wurde, war der Haschmarkt sicht- und kontrollierbar. Die Probleme mit bewaffneten und rivalisierenden Banden traten erst danach in Erscheinung. Viele sehen darin einen klaren Zusammenhang und weitere "Maßnahmen" gegen den "Freistaat" Christiania werden sicher nicht von der Bevölkerung begrüßt werden.

  • S
    simon

    och phillip, dass wird doch nicht dein ernst sein. das war spaß von geijel

  • L
    lobus

    Meinten Sie: "Freistadt"?

  • P
    Phillip

    @Geijel:

    Dann hast Du wohl den Sinn von Christiania nicht verstanden. Vielleicht gehst du nächstes mal ein wenig spazieren, schaust Dir an wie schön es ist und geniesst die Ruhe die dort herrscht anstatt mit Scheuklappen zur Pusher-Street und zurück zu laufen.

     

    Gruß

  • P
    pete

    Die Stadt sollte sich die Räumung ganz schnell vergessen, solange sie aus der Räumung des Ungdomshuset gelernt haben sollte.

    Die Alt-Hippies aus Christiania sind zwar überwiegend pazifistisch, aber die Zerstörung ihres Lebensraumes werden sie sich bestimmt nicht gefallen lassen. Dort leben viele Kinder der Grüdergeneration die zwar nicht mehr so drauf sind wie ihre Hippieeltern, das Leben in Christiania aber trotzdem lieben.

    Die Räumnung des Ungdomshuset löste eine bis dahin noch nie dagewesende Protestwelle los. Im Endeffekt musste die Stadt Kopenhagen für die Schäden in der ganzen Stadt aufkommen ;-)

     

    Meine Solidarität haben die Bewohner des Freistaats Christiania sicher!

  • G
    Geijel

    GEIJEL,

    vielleicht kommt dann ja endlich mal ein McDonalds nach Christiania.

    Is sonst immer ätzend langweilig wenn man auf Dealer wartet :(