piwik no script img

Leichtathletik-WM und die JournalistenUnterschrift mit Unbehagen

Obwohl viele Journalisten die Einschränkung der Pressefreiheit bei der Leichtathletik-WM kritisieren, haben sie sich gefügt und fahren trotzdem nach Berlin.

3.200 Journalisten werden aus dem Olympiastadion berichten - einige von ihnen mit Bauchschmerzen wegen der Sicherheitsüberprüfung. Bild: dpa

Viele Journalisten sehen die Einschränkung der Pressefreiheit bei der Leichtathletik-WM mit Unbehagen. Berichten werden sie aber dennoch. "Ich bin über diese Praxis der Veranstalter auch gestolpert", sagt Sabine Vögele, die Chefin des Leichtathletik-Ressorts beim Kicker. "Aber als Sportmagazin können wir uns einen Boykott der Weltmeisterschaft nicht leisten."

Um über die WM vom 15. bis 23. August 2009 im Berliner Olympiastadion berichten zu dürfen, müssen sich Journalisten umfassend von den Sicherheitsbehörden durchleuchten lassen. Unterschreiben sie die "Einverständniserklärung zur Zuverlässigkeitsprüfung", dann werden sie von Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst überprüft. Die Behörden benutzen dafür die bundesweite Staatsschutzdatei Inpol, die Datei "Gewalttäter Sport" und andere Datensammlungen. "Das ist ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit", schrieb taz-Chefredakteurin Ines Pohl in der Donnerstagsausgabe der taz. Die Sportredakteure unterschrieben diese Einverständniserklärung nicht oder strichen Passagen darin durch. Daraufhin wurde ihnen die Akkreditierung für das Sportereignis verweigert.

"Unsere Daten dürfen nicht überall rumschwirren", sagt Kicker-Redakteurin Vögele, die eine von zwei akkreditierten JournalistInnen des Magazins ist. "Man darf das nicht einfach laufen lassen." Jeder Sportjournalist nehme das Problem wahr, wisse aber nicht, was er tun könne, ohne seinen Job zu vernachlässigen.

"Ich finde die Haltung der taz mutig", sagt Joachim Mölter, Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung. Als er das Akkreditierungsformular ausfüllte, sei er vom Umfang der Überprüfungen durchaus überrascht gewesen. Seine Kollegen hätten die Erklärung jedoch alle bereits unterschrieben. "Deshalb habe ich mir darüber auch nicht viele Gedanken gemacht." In der Redaktion habe es auch keine Diskussion über dieses Thema gegeben.

Vier Journalisten hat das Blatt aus München für die WM angemeldet und die sollen auch weiterhin nach Berlin fahren. Mölter glaubt: "Für einen gemeinsamen Verzicht vieler Zeitungen hätte man sich weit vor der WM zusammensetzen müssen."

Ähnlich sieht das auch der für seine kritischen Recherchen bekannte Sportjournalist Jens Weinreich, Mitgründer des Journalistenzusammenschlusses Sportnetzwerk. "Mir geht diese Durchleuchtung viel zu weit", sagt er. "Ich wusste aber natürlich, dass ich keine Akkreditierung bekomme, wenn ich diese Erklärung nicht unterzeichne, und habe trotzdem unterschrieben."

Weniger kritisch sehen Bild und Frankfurter Allgemeine Zeitung die Überprüfungen. Die Sportredaktion der Bild kann laut Sprecher Tobias Fröhlich kein Problem erkennen, da es bei der Leichtathletik-WM "keine anderen Akkreditierungsrichtlinien gibt als bei vergleichbaren Großveranstaltungen."

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat drei Journalisten akkreditiert. Jörg Hahn, Leiter Sportredaktion, ist erst durch die taz überhaupt auf die Praxis der Akkreditierung aufmerksam geworden. "Keiner der Kollegen hat mir gesagt, dass ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist", sagt Hahn. "Die Überprüfung wurde als normaler Teil des Akkreditierungsprozesses empfunden."

Der Deutsche Journalisten-Verband hat nach Angaben von Sprecher Hendrik Zörner versucht, vor der Leichtathletik-WM die Bundesregierung zu einer Änderung der Anmeldungspraxis zu bewegen. Die habe das Thema jedoch aus dem Bundestagswahlkampf heraushalten wollen, sagt der DJV-Sprecher, und deshalb nichts unternommen.

Das passt zur Antwort des Bundesinnenministeriums in dieser Frage: Dort hieß es: "Bitte wenden Sie sich mit Ihren Fragen an den dafür zuständigen Veranstalter des Sportereignisses oder an das Land Berlin." Auch die SPD hat zu dem Thema offenbar wenig zu sagen. Der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann ist im Kompetenzteam des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier für Innere Sicherheit zuständig. Ein Sprecher der Fraktion teilte am Donnerstag mit, Oppermann werde sich zu dem Thema nicht äußern.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • JB
    Justus Bieber

    Es ist wirklich erschreckend und peinlich, wie selbstverständlich ein solcher Eingriff in die Pressefreiheit von "seriösen" Zeitungen (z.B. FAZ und SZ) hingenommen wird. Besonders peinlich das viele den Verweis in der Akkreditierung gar nicht bemerkt haben!

  • A
    ARE

    Kennen sie den Film "Good Night, and Good Luck."? Können Sie sich noch an den Anfang erinnern? Das Reporterehepaar Wershba berät sich heimlich darüber, ob er die "Unbefangenheitserklärung" unterschreiben soll. Natürlich lenken sie ein, schließlich bedeutet nicht zu unterschreiben, den Job nicht zu erhalten!

    Ich denke bei Ihrem Artikel sofort an diese Szene!

    Schauen Sie sich den Film nochmal an!

    McCarthy lässt grüßen!

  • PS
    Peter Sturm

    Es ist niederschmetternd, wie schamlos Politikermacht 60 Jahre nach dem Ende des Faschismus ähnliche Methoden wieder einführt und sich gleichzeitig mit einer Verfassung dieser Republik schmückt, die genau das verhindern sollte. Und alle - Bürger wie Journalisten - schauen blöde zu wie Kühe auf dem Weg zur Schlachtbank - Sklavenhaltung.

  • FM
    Frank Müller

    es ist nicht mehr aufzuhalten dieses "durchleuchten". In hundert jahren bekommen wir alle bei der geburt einen gps chip unter die hirndecke. alles zu "unserer sicherheit"

    schön das sich noch welche dagegen wehren auf dem marionettendampfer "ms europ(i)a".

    ich vermisse die neue 68er die sich dagegen aufbäumt. aber es wird nicht geschehen wir sind alle handynutzer und haben den chip schon in der hosentasche.

    beste grüße

  • KB
    Klaus baum

    Und wo kann man hier ohne Unbehagen unterschreiben? Die Kontrolle wird in allen Bereichen immer totaler und totalitärer. Ich bekomme vom Hessischen Rundfunk eine Zusatzrente von 35 Euro, liege mit der Gesamtrente weit unterm Freibetrag, aber dennoch sollen alle meine Daten an eine zentrale Rentenüberwachungsstelle gemeldet werden.

  • VK
    Vitali Kreker

    Meine Anerkennung ist euch gewiss und macht Mut, dass es noch Zeitungen gibt die sich nicht beirren lassen und ihren journalistischen Tätikeit nach gehen und versuchen aufzuklären. Sie haben demnächsten einen abonnementen mehr.

  • T
    treba

    schöne aktion, liebe taz.

    das macht eine wirkliche zeitung aus.

  • BW
    Benjamin Walkenhorst

    Jetzt mal ganz im Ernst, wer interessiert sich überhaupt für eine *Leichtathletik-WM*? Wenn es nach mir ginge, würden solche Veranstaltungen generell von den Medien ignoriert.

  • ML
    Markus Leiz

    Und nachher sagen wieder alle, Sie hätten nichts geahnt...

  • EG
    elke grözinger

    Ihren Kommentar hier eingeben

    liebe tazzler,

    ich befürworte euren boykott.

    wo kommen wir denn hin?

    für sportfans könnt ihr doch trotzdem berichten, es gibt doch genügend infos und ergebnisse über den ticker, oder?

    nur, hingehen würde ich da nicht. langsam muß man sich ja mal überlegen, auch als "konsument", was sport eigentlich ist.

    ein hochleistungs-showbusiness voller doping, politisch mißbraucht, eine geldmacherei, und der arme teil der welt kann gar nicht oder nur unter finazieller belastung mitmachen. ich verstehe sowas nicht als sport..

    niemand sollte das unterstützen.

     

    ich möchte euch bestärken, auf linie zu bleiben!

    keine solche kontrollen dulden sondern sie öffentlich machen. mißstände weiterhin ans licht zerren. nicht nur im sportbericht...

     

    elke grözinger

  • V
    vic

    Naja, der "Kicker" muss wohl, das ist eben eine Sportzeitung. Und mit dem Mainstream wollen wir uns doch nicht vergleichen, oder?

  • SS
    Sybille Schmitz

    Ich finde, dass diese Datensammlung einfach nicht mehr gut. Die Haltung der TAZ finde ich gut. Aber ich finde es schade, dass es keine Berichterstattung von der WM gibt. Was sagt eigentlich Dagmar Freitag als Sportbeauftragte zu diesem ganzen Thema. Als Sportbeauftragte von Steinmeier sollte sie doch klar dagegen sein!!! Die TAZ sollte sie mal fragen. Wenn sie dafür ist, werde ich sie nicht wählen!!!!

  • RA
    René Artois

    Peinlich -- wann merken diese "Journalisten" eigentlich, daß derlei Veranstalter keine Plattform mehr haben, wenn sie, die Journalisten NICHTS über deren Verantstlungen schreiben, reden, zeigen? Sind die alle schon so korrumoiert, daß sie die vornehmste Pflicht der "Vierten Gewalt" einfach auf dem Altar des Adabeiseins opfern? Dann wundert einen schon bald gar nichts mehr. Macht's nur so weiter!