Pro und Contra: Soll Afghanistan aus dem Wahlkampf herausgehalten werden?

Darf der Bundeswehreinsatz in Afghanistan im Wahlkampf überhaupt eine Rolle spielen oder muss er es sogar, denn schließlich geht es dort um Leben und Tod.

Deutsche Soldaten im Kampfeinsatz in Afghanistan. : reuters

Afghanistan ist als Wahlkampf-Thema denkbar ungeeignet. Das lässt sich daran ablesen, dass die deutsche Diskussion über Sinn und Unsinn des Einsatzes am Hindukusch sich schon jetzt völlig von der Realität abgekoppelt hat. In den meisten Beiträgen dreht es sich nur noch um die Frage, ob Deutschland angesichts seiner Vergangenheit einen Krieg führen darf. Um Pazifismus versus Bellizismus.

In Afghanistan selbst geht es hingegen um Fragen, die so gut wie nichts mit deutschen Befindlichkeiten zu tun haben. Zu nennen sind drei Themen. Es geht um die Zukunft der Nato, die Frage, wie der Westen mit der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus umgehen soll, und schließlich auch um die Frage, ob man ein Land im Stich lassen darf, das ohne eigene Schuld zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges zwischen Ost und West gemacht wurde.

Was diese drei Fragen und erst recht ihre Kombination so schwierig und so Wahlkampf-untauglich macht, ist die Tatsache, dass sie nicht von Entscheidungen der deutschen Politik abhängen. Als Nato-Mitgliedsland steht Deutschland in Verpflichtungen, die es nur um den Preis der Isolation aufkündigen kann. Die Anti-Terrorismus-Strategie muss ganz neu diskutiert werden. Aber sie kann nicht auf die Frage: "Afghanistan-Einsatz ja oder nein" reduziert werden.

Schließlich ist auch zu bedenken, dass Deutschland wie der Westen insgesamt als Sieger des Kalten Krieges eine Verantwortung dafür hat, aufzuräumen, was die letzten 20 Jahre "erfolgreicher" Geheimdienstarbeit in Afghanistan angerichtet haben. Kurz: Die Frage eines schnellen Abzugs aus Afghanistan stellt sich bei näherem Hinsehen überhaupt nicht.

Worum es stattdessen gehen muss, ist eine gründliche Revision der Strategie. Indem man Afghanistan zum Wahlkampfthema und damit zu einer emotionalisierten "Ja oder Nein"-Frage macht, verhindert man das dringend notwendige Nachdenken über Themen, die uns noch sehr lange beschäftigen werden.

BRITTA PETERSEN ist Afghanistan-Expertin und taz-Autorin.

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Außenpolitik ist in Deutschland mehr als anderswo ein Elitendiskurs. Im Wahlkampf hat sie nur ausnahmsweise eine Rolle gespielt: 1972 die Ostpolitik und 2002 der Irakkrieg. Das muss sich ändern - gerade weil Deutschland seit 1990 international eine andere Rolle spielt.

Wir brauchen mehr, nicht weniger kontroverse öffentliche Debatten über Bundeswehreinsätze und Ausstiegskriterien. SPD und Union versuchen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan im Wahlkampf nur am Rande vorkommen zu lassen. Das ist wahltaktisch verständlich - und falsch.

In Afghanistan geht es um Leben und Tod - es ist schlicht unlauter, den Souverän, die WählerInnen, an dieser existenziellen Entscheidung nicht offensiv zu beteiligen. Das Argument, dass die WählerInnen leider nicht in der Lage sind, die komplexe Situation am Hindukusch zu verstehen, ist fadenscheinig. Dies kommt einer Entmündigung des Souveräns mit einer gefährlich antidemokratischen Schlagseite nahe. Denn die Liste der Themen, für die die Wähler leider zu doof sind, lässt sich mühelos verlängern. Die Integrationspolitik ist eigentlich auch ein vorurteilsanfälliges Thema, das ungeeignet für Wahlkämpfe ist. Die Rentenformel verstehen nur studierte Mathematiker, die globale Finanzkrise noch nicht mal die Experten. Kurzum: Wer in einer hoch differenzierten Gesellschaft die Komplexität eines Thema zum Kriterium macht, ob es in den Wahlkampf gehört, macht die Wahl zur Farce.

Demokratie zerfällt in dieser Version in zwei Bestandteile: Die Politik wird in Expertenrunden entschieden, die bei ihrer harten Arbeit von der ahnungslosen Öffentlichkeit möglichst wenig belästigt werden sollten. Die Wahl wird zu einem lästigem Ritual, zur Show, in der sich das Publikum über Nebensächlichkeiten wie Dienstwagen und Spesenrechnungen im Kanzleramt erhitzen darf. Das Problem ist: Wir sind dieser Form von Schrumpfdemokratie schon viel zu nahe. Und: Was taugen eigentlich Experten, die harte Wahlkampfkontroversen so sehr scheuen?

STEFAN REINECKE ist Parlamentskorrespondent der taz.

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