Russische Hochschule verklagt Professorin: Kritik an Uni unerwünscht
Die frühere Universität von Wladimir Putin und Dmitri Medwedew verklagt eine Journalistikprofessorin. Sie hatte die Kreml-mäßige Leitung der Uni kritisiert.
ST. PETERSBURG taz | Die St. Petersburger Staatliche Universität mag im internationalen Hochschulranking auf Platz 480 liegen, an Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht: Sie rühmt sich, "die Universität des Präsidenten" zu sein. Sogar zweier Präsidenten: Sowohl Wladimir Putin als auch sein Nachfolger Dmitri Medwedew studierten hier einst Jura.
Der Dekan der Juristischen Fakultät, Nikolai Kropatschew, nennt sich gern "Dozent des Präsidenten". Letztes Jahr wurde er zum Rektor der Hochschule gewählt, und seitdem regt sich Widerstand - offenbar ähnelt Kropatschews Führungsstil zu sehr dem seiner Vorbilder im Kreml.
"Der Rektor baut ein System auf, das nicht auf Professionalität basiert, sondern auf persönlicher Ergebenheit." Dieses Urteil hat sich Marina Schischkina erlaubt, die Dekanin der Fakultät für Journalistik. Im Juni war das, auf einer Sitzung des Hochschulrats. Nun muss sich Schischkina wegen "Verleumdung" vor Gericht verantworten, verklagt von der eigenen Universität. Sie darf das Fakultätskonto nicht mehr verwalten und hat einen rektortreuen Vize aufgedrängt bekommen. Sie hat sich krankgemeldet, gibt aber noch Interviews.
Doch es sind nicht viele Redaktionen, die sich für den Fall interessieren. Außer Artikeln in der Kreml-kritischen Novaya Gazeta und im unzensierten Internet gibt es wenig zu lesen. Für das Staatsfernsehen existiert der Konflikt nicht. Ob Schischkina das überrascht, schließlich sitzen in den Redaktionen auch ihre Absolventen? "Ich bin mir sicher, dass 99 Prozent der Journalisten auf meiner Seite stehen", sagt sie. "Aber sie haben ihre Arbeitgeber und ihre redaktionellen Anweisungen.
Wir versuchen freie, mutige Journalisten auszubilden, aber unsere Absolventen kriegen später eine Angstimpfung. Deswegen ist unser Journalismus langweilig, grau, auf stumpfe Unterhaltung ausgelegt. Und die Gründe dafür liegen nicht in der Ausbildung, sondern in der Politik."
Mit Systemkritik hat sich Schischkina, seit 15 Jahren eine der einflussreichsten Journalistenausbilderinnen Russlands, bisher zurückgehalten. "Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages zur Oppositionellen werden würde", sagte sie kürzlich in einem Videointerview auf grani.ru, einer oppositionellen Onlinezeitung. "Aber ich merkte, wenn ich das nicht ausspreche, dann wird es keiner tun."
Es gibt Stimmen, die Schischkinas Aufstand relativieren. "Es geht hier nicht um Ideologie, sondern eher um die Finanzströme an der Universität," meint etwa Boris Wischnewski, Kolumnist bei Novaja Gazeta. Schließlich habe der neue Rektor den finanziellen Spielraum der Dekane eingeschränkt. Außerdem hat Kropatschew Schischkinas Mann, den Dekan der Medizinischen Fakultät, abgesetzt.
Aber dass Schischkina ihre Kritik auf den Kreml ausweitet, kommt für viele überraschend. "Die Universität ist nationales Eigentum", sagte sie im grani.ru-Interview. Dass sich ihre Kritik also auch an die beiden mächtigen Petersburger Absolventen richtet, sei nur logisch, und "wer Angst hat vor dem Publikum, vor dem eigenen Volk, der soll ein anderes Amt bekleiden", fügt sie an.
Ihre Studenten stehen hinter Schischkina, sie haben Unterschriften gesammelt. "Wir haben keine Angst vor dem Rektor", sagt die 20-jährige Anna Weklitsch. Sie hat einen Brandbrief geschrieben - an Präsident Medwedew und Premier Putin. Schischkina ist gespannt, welche Antwort kommt. "Dass wir unsere Probleme mit Briefen an Väterchen Zar lösen wollen, zeigt doch: Die rechtsstaatlichen Mechanismen haben versagt."
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