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Kommentar Ressentiments gegen RomaWer die Bettelcodes verletzt

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Die osteuropäischen Roma sind von jeher die beispielhaft "fremden Fremden". Die Bettelverbote in vielen westeuropäischen Städten richten sich vor allem gegen Roma.

W ie schön, dass die Welt bunt ist, dass sich die Kulturen mischen: Kebap, Sushi, Pizza, Weißwurst. Aber neben dem bekannten Fremden gibt es noch das "fremde Fremde". Die osteuropäischen Roma sind von jeher die beispielhaft "fremden Fremden". Die Praxis französischer Polizisten, Roma einen Stempel auf den Unterarm zu drücken, sorgt jetzt für einige Empörung, wie zuvor schon die Debatte über "Bettelverbote" in westeuropäischen Städten - die richteten sich ja auch vornehmlich gegen Roma.

Im vertrauten Gespräch ist selbst vom gutmenschlichsten Menschenfreund zu hören: "Aber die nerven auch wirklich." Es gibt kulturelle Codes, ein "Gewusst, wie", das regelt, wie wir einander zu begegnen haben, im privaten, im öffentlichen Raum, wie man Freunde begrüßt, mit fernen Bekannten umgeht, wie nah man einem Unbekannten kommen darf. Und so gibt es auch offenbar ungeschriebene kulturelle Gesetze, wie "man" bettelt: Einigermaßen gewaschen und gekämmt sollte man dabei schon sein. Auch eher sanft oder zumindest lustig.

privat

Robert Misik ist taz-Autor und lebt in Wien. Er videobloggt unter misik.at

Anderswo herrschen andere Codes, und wenn diese unterschiedlichen Codes aufeinandertreffen, dann gibt es einen Clash der Kulturen. Keinen lautstarken meist. Eher Gereiztheit. Im Zusammenhang mit den Roma hat sich die Phrase vom "aggressiven Betteln" eingebürgert. Man will nicht angesprochen werden. Man will nicht, dass die Bedürftigen ihre Bedürftigkeit allzu ostentativ darstellen. Dies empfinden wir offenbar als massive Übertretung. Wir fühlen uns erpresst, etwas zu geben, und werfen den Bedürftigen noch das schlechte Gewissen vor, das wir haben, weil wir nichts geben: Die sind schuld, dass ich mich jetzt auch schlecht fühle.

Dieses "Unwohlsein" lässt sich durch Rationalisierung bearbeiten. Die beliebteste: Das sind ja Gangs, in denen Kinder gezwungen werden zu betteln. Dann ist plötzlich nicht mehr eine soziale Realität schuld, die ganze Ethnien in Chancenlosigkeit hält, sondern ein imaginierter Gangboss, den zwar noch nie jemand gesehen hat, der aber prima zur Legitimierung von Hartherzigkeit taugt. Übrigens: Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bettelei auf irgendeine mafiaähnliche Weise "organisiert" ist.

Aber es ist eben verdammt schwer, nicht xenophob zu werden, wenn einen die Fremden mit ihrem Elend und ihrem Fremdsein belästigen.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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11 Kommentare

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  • LB
    Lydia Bißmann

    Aha - was für ein schlauer Artikel! Die Roma dürfen zwar ungekämmt und dreckig sein und fordernd betteln - aber organisieren dürfen sie sich nicht? Mir doch egal ob sie sauber, dreckig oder organisiert betteln - Sie gehen mir auf die Nerven!

    So auf die Nerven wie all die anderen Tierschützer, Greenpeace-Keiler und Zeugen Jehovas - also alle die mich ungefragt irgendwo anquatschen und mein Geld, meine Kontonummer oder meine Seele wollen!

    Ich finde jeder sollte das Recht auf Betteln haben - und jeder ein Recht sich darüber aufzuregen - weil sie echt nervig sind!

    Und mir als Kunde ist es echt scheißegal ob die in einer Gewerkschaft, einer Mafia oder sonstwo organisiert sind!

  • BK
    Bionca Knowless

    Die Behinderten aus Rumänien stammenden Kinder die jedes Jahr zur Weihnachtszeit an diversen markanten Punkten deutscher Grosstädte auftauchen sind sehr wohl mafiaähnlich organisiert bzw. werden mafiaähnlich ausgebeutet. Diese armen Bettelsklaven sitzen Stundenlang ohne Essen und Trinken vor irgendwelchen Supermärkten. Wenn man sie anspricht kann man manchmal ein Lächeln in ihre Gesichter zaubern, zur Artikulation sind sie aber meistens nicht fähig da die "Organisatoren" bevorzugt Taubstumme verwenden.

    Ich würde gerne glauben, dass das junge Mädchen welches ich zur letzten Adventszeit beobachten konnte den Rest des Jahres bei ihrer Familie verbringt und sich und ihre Familie mit dem Erbettelten versorgt, anstatt in einem Waisenhaus von korruptem Pflegepersonal geparkt zu werden.

  • KK
    Klaus Keller

    guter Hinweis auf die Situation aus meiner Sicht.

     

    Meine Reaktionen haben sich etwas verändert nachdem mir Bewußt wurde was mich am meisten stört und was für mich den unterschied zum nicht belästigtsein von Armut ausmacht und gleichgültig werden will ich auch nicht.

     

    2 Punkte

     

    1-Der körperliche Abstand in dem Moment in dem jemand etwas von mir will, einen € direkt oder das verkaufen einer Zeitung.

    Der räumliche abstand zwischen Personen im Alltag mit dem sich beide wohlfühlen ist sicher kulturkreisbedingt.

     

    2-Eine völlig überzogene Unterwürfigkeitshaltung

    zB: Ein Mann kniet bei aufrechter Körperhaltung auf der Straße mit einem Kissen unter den Knien

    -vergleichbar dem beten in einer Kirche

     

    wobei mich letzteres trotz Passivität des Bettlers noch wütender gemmacht hatte.

     

    Wenn ich davon ausgehe das ich Situationen oft nicht verändern kann sondern nur meine Haltung zu den Dingen,ändert das nichts an der Zahl der oft in kleinen Gruppen auftauchenden Bettler in Hanau, es macht mich aber nicht mehr wütend.

     

    Sie wollen etwas von meinem Geld und mir gefällt ihre Methode nicht(als schlimmer empfinde ich manchmal nur schlechtes musikmachen, und manche spielen wirklich schlecht,unabhängig vom Stück)mehr ist es nicht.

     

     

     

    klaus keller hanau

  • JF
    Jan Frey

    Vielleicht trägt dieser kleine Text von mir nebst zwei Fotos ja zur teilweisen Erhellung des Themas aus der schlichten Alltagsperspektive bei:

    http://www.kleinmexiko.de/k_021_07.html

  • H
    harw

    @Thomas Pany

    Ach ja, welcher "Stamm" soll das denn sein? Und essen DIE auch kleine Kinder?

    Das ist mit Verlaub lächerlich. Ein unhaltbares Beispiel mitsamt inkorrekter Terminologie, um ein Argument zu stützen, das in sich nicht schlüssig ist.

    Unsere Gesetze und ihre Einhaltung ermöglichen kulturelle Vielfalt, freie Selbstentfaltung & Religionsausübung. Zumindest solange Kleingeist, Angst und Intoleranz nicht den letzten Funken Freiheit erstickt haben.

  • RM
    Robert Misik

    Klar ist eine Mitfahrgelegenheit "organisiert". Aber eben nicht "mafiaähnlich organisiert". Ich weiß schon, warum ich das so geschrieben hab und nicht anders.

  • A
    AnnA

    "Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bettelei auf irgendeine mafiaähnliche Weise "organisiert" ist".

    Herr Misik, einfach mal informieren. Ab und zu genügen dazu sogar die 'öffentlich-rechtlichen' Sender.

  • Z
    Zigano

    Herr Misik, ihr Artikel stellt für mich höchst effektiven Antiziganismus dar. Man macht so schwerwiegende Kompatibilitätsprobleme zwischen Seßhaften und Nomaden durch "positive Diskriminierung" nicht besser, und erst recht nicht durch offensichtliche Lügen, wie Sie sie uns mutmaßlich mit Ihrer Bemerkung über das "unorganisierte" Betteln auftischen wollen. Oder sollten Sie wirklich SOOOOOOOO schlecht recherchiert haben?

     

    Wie ein solcher Zivilisaionsclash gelöst wird, können Sie sich durch das Studium der nordamerikanischen Prärieindianer ansehen. Wär eine schöne Reise für Sie und wir bräuchten eine Weile nichts von Ihnen zu lesen. So haben alle was davon.

  • K
    Karl

    Mafia wird oft mit "organisiertes Verbrechen" beschrieben. Wenn Betteln organisiert wird, wie sie -"Peter"- schreiben, dann hat das noch nichts mit Verbrechen zu tun. Dann könnte man ja zugespitzt jede andere Organisationsform in Zusammenhang mit der Mafia bringen. Bevor ich schnelle Schlüsse fasse, weil Leute zusammen in einem Auto gefahren werden und dann betteln müssen, würde ich erstmal versuchen etwas über die allgemeinen Strukturen erfahren und insbesondere über die Bedingungen der von ihnen beschrieben Leute. Woher wissen sie, dass es Roma sind, wer bringt sie, warum müssen sie betteln? Und was ist daran zu kritisieren, dass zur Erstreitung des Lebensunterhaltes auch ein Mensch mit Behinderung beiträgt. Und wenn er selbst nicht aus dem Auto aussteigen kann, dann muss er eben getragen werden.

    Mal abgesehen davon ist die ganze Problematik um Sinti und Roma sehr komplex, vielschichtig und es kann sicherlich auch Kritik auf vielen Seiten geübt werden. Aber zuerst muss die beschriebene Diskriminierung und Tötung thematisiert, kritisiert und gestoppt werden.

  • TP
    Thomas Pany

    Wenn Kannibalen eines Tages unser Land als Zufluchtsort aufsuchen, dann werden wir ihnen selbstverständlich erlauben das Menschenfleich zu verspeisen, es ist doch ihre Kultur und Teil ihrer religiösen Welt, alles andere würde meines Erachtens xenophob und rassistisch. Gesetzlich verboten? Egal, das Schächten ist doch auch verboten, aber für remde Kulturen und Religionen macht man schon Ausnahmen.

     

     

    Nach bettelnden Romas und Moslems Frauen die in ganzkörper Kondomen rumlaufen, fehlen uns noch Kannibalen und dann würde die Multi-Kulti Welt perfekt, und noch was...ich kenne da einen afrikanischen Stamm der sich gegenseitig, zu Begrüssung bespuckt, sollte einer bei uns auftauchen, dann nur zu, am Besten den Autor des Artikels, denn:

     

    "Aber es ist eben verdammt schwer, nicht xenophob zu werden, wenn einen die Fremden mit ihrem Elend und ihrem Fremdsein belästigen."

  • P
    Peter

    >>>>Übrigens: Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bettelei auf irgendeine mafiaähnliche Weise "organisiert" ist.