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Kommentar AmokläufeAmok im Wahlkampf

Kommentar von Martin Altmeyer

Wer auf Videoüberwachung setzt und stärkere Polizeipräsenz fordert, ist noch kein Befürworter des autoritären Staats. Notwendig aber ist, noch viel früher hinzuschauen.

D ie Raserei eines bewaffneten Schülers in der Ansbacher Schule, das öffentliche Totschlagen an einer Haltestelle in München-Solln, der Fall eines Mädchens, das jemand in einen Kanalschacht wirft - dass wir entsetzt und voller Abscheu reagieren, spricht dafür, dass in unserer Gesellschaft ein moralisches Sensorium intakt zu sein scheint. Denn wir empfinden mit den Opfern und fühlen uns in ihre Angst und ihre Ohnmacht ein. Auch wenn uns diese Einfühlung nicht nur wütend, sondern selber ängstlich und ohnmächtig machen mag.

Zugleich ahnen wir, was auch die Psychoanalyse und die Sozialpsychologie bestätigen: dass es den Tätern genau darauf ankommt, nämlich Angst zu verbreiten und Macht zu spüren, indem sie körperliche Verfügung gewinnen über andere, die sich nicht wehren können, und wenn sie doch Widerstand leisten, diesen mit aller Gewalt zu brechen, um sich für einen Moment stark zu fühlen.

Gewiss, es sind beschädigte Seelen, die Therapie bräuchten, damit sie sich nicht an Schwächeren schadlos halten. Unsere Intuitionen reichen jedoch weiter. Taten dieser Art, bei denen jede Hemmung zu fehlen scheint, halten wir für symptomatisch. Sie gelten uns als Zeichen dafür, dass in den Tiefenschichten unserer Gesellschaft etwas nicht stimmen kann.

Wenn die Täter, bewusst oder im Unbewussten, in den Kategorien von Macht und Ohnmacht handeln, zeigen sie uns dann nicht die Unterseite einer Konkurrenzgesellschaft, in der nur Gewinner zählen und die Verlierer auf der Strecke bleiben? Denn in den meisten Fällen sind die Totschläger selbst Opfer familiärer Gewalt oder sozialer Diskriminierung. Im Gewaltakt verlassen sie die mentale Verliererposition, was ihnen immerhin mediale Aufmerksamkeit und damit ein Echo bringt.

Was folgt daraus? Wer auf Videoüberwachung setzt und stärkere Polizeipräsenz fordert, ist noch kein Befürworter des autoritären Staats. Er müsste aber wissen, dass das Gesehenwerden zum Motivbündel solcher Gewaltinszenierungen dazugehört. Deshalb sollte eine Gesellschaft früher hinschauen, was sich in ihren Weichteilen tut.

Eine Kultur der Achtsamkeit könnte dafür sorgen, dass der Wettbewerb um ein besseres Leben etwas anderes als nur winner und loser hervorbringt, die beide ohne Hemmungen sind. Und wo wir gerade Wahlkampf haben: Das wäre ein Thema gewesen.

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4 Kommentare

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  • P
    Peter

    Wenn es nach den Reglen von Martin Altmeyer geht braucht die gesamte Islamische Welt eine Therapie. Dort gehört seid Mohammed Gewalt zum Programm und seine Ehre muss man sich nicht verdienen, sondern man hat sie und kann sie ständig wegen Kleinigkeiten, die man selbst auch noch festlegt, verlieren.

    Vieleicht sollte der Ansatz sein die Menschen wenn sie Erwachsen werden langsam mal abzustillen, sonst gehen sie von Muttis Brust direkt an die Brust von Papi Staat und schreien im bestem Alter noch nach einer Gesellschaft die sie nährt ohne selbst dazu etwas beizutragen.

    Der einzelne an sich ist gefordert, sich anzustrengen, sich zu bilden, sich Fähigkeiten und Manieren anzueignen und als gesunder Mensch mehr zu leisten als man für sich benötigt, damit mit dem mehr die Menschen mit Einschränkungen, die ganz Jungen und Alten mit versorgt werden können. Wenn das Land das nicht hinbekommt, bedeutet das weiter Staatsverschuldung auf die Kosten der nächsten Generationen und irgendwann auf Kosten des Sozialstaats insgesamt abzuwälzen.

  • WW
    Wilhelm Westerkamp

    Psychologe Martin Altmeyer zeigt in seinem Kommen-

    tar auf, warum Jugendliche zu Gewalttätern werden.

    Er weiß daraufhin, das wir in einer "winner/loser"

    Gesellschaft leben, in dem nur der Erfoglreiche

    sich durchsetzt und glücklich wird. Der gefrustete

    Heranwachsende, der keinen "Erfolg" im Leben ver-

    spürt, wird zunehmender ageressiv und kann wegen

    einer "Kleinigkeit" ausrasten. Wir sollten diesen

    beschädigten Seelen, dazu anhalten eine Therapie

    zu beginnen, in der sie lernen mit Ihren Frustra-

    tionen umzugehen und nicht wieder in das agg-

    ressive Moment zu verfallen und angesehene Bürger

    dieses Landes werden. Die Politiker nun, die mi-

    tten im Wahlkampf stehen, antworten auf diese

    schrecklichen Vorkommnisse, mit billigen Polulis-

    mus,den man nicht ernst nehmen kann.

  • E
    Exilpirat

    Ja, völlig richtig. Wäre gewesen.

    Allerdings war jenseits der üblichen Instrumentalisierungen (mehr Überwachung, höhere Strafen) nichts zu finden. Wie denn auch? Die etablierten Parteien stehen ja für das System, das die geschilderten System-Verlierer hervorbringt. Erwarten wir tatsächlich eine fundamentale Selbstinfragestellung der Parteien, und, damit verbunden, eine fundamentale Selbstinfragestellung ihrer Geldgeber und politischen Erpresser, bloß, weil Wahlkampf und damit mediales Schaulaufen angesagt ist?

  • G
    gelderlander

    Gut das die Täter in München keine Ausländer waren, denn sonst hätte die CDU/CSU wieder ein Wahlkampfthema gehabt: Die Mär von der "Ausländerkrmininalität"