piwik no script img

Kolumne GerüchteStilettos oder Vibramsohle?

Brauchen Frauen um die 50 wirklich jüngere Liebhaber? Alles eine Frage der Gelegenheiten – und der passenden Kleidung.

A n jenem Sonntag wollte ich eigentlich nicht über Sex sprechen. Wir wollten nur einen Herbstspaziergang machen, Britt und ich.

Ich hatte allerdings dann doch von Gabriele erzählt, die ich nach sehr langer Zeit mal wieder besucht hatte. Bei Gabriele zu Hause sah es ein bisschen aus wie in dem Film "Chéri". Dort vergnügt sich die 50-jährige Hauptdarstellerin auf opulentem Mobiliar und in raffinierter Seidenunterwäsche mit ihrem mindestens 20 Jahre jüngeren Liebhaber, alles in Pastellfarben gehalten und diskret im Dämmerlicht gefilmt.

Auch in Gabrieles großzügiger Zweizimmerwohnung war mir sofort das breite Bett ins Auge gefallen, mit apricotfarbener Seidenwäsche bezogen, die Bettdecke zusätzlich noch aufwendig bestickt. Irgendwie hatte ich ganz vergessen, dass man ein Bett auch so beziehen kann. Über dem Stuhl im Jugendstildesign hing lässig hingeworfen ein glänzender Kimono. Im Bad stieß ich auf ein Trockengitter, auf dem Spitzendessous lagerten, wie ich sie in den vergangenen Jahren bei keiner meiner Freundinnen mehr gesehen hatte. Und dann die Schuhsammlung am Eingang: Bis auf ein Paar Joggingschuhe standen da nur Pumps, einige mit recht hohen Absätzen. Mein Gott, wann hatte ich das letzte Mal Stilettos getragen? War ich wirklich schon so ein Trampel?

Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin der taz.

"Erst hat er gesagt: Ende 30. Aber auf seinem Führerschein habe ich später dann durch Zufall gesehen: Er ist erst 35", erzählte mir Gabriele. Sie selbst ist 51, von Beruf Rechtsanwältin und seit kurzem sogar Großmutter. Gregor lernte sie bei einer Party kennen, wo er mit seiner Firma das Catering übernommen hatte. "Irgendwie hat es gefunkt zwischen uns." Ihr Liebhaber ist mit einer gleichaltrigen, also jungen Frau verheiratet. Sie hat keine Ahnung, dass das Foto ihres Mannes auf dem Schreibtisch seiner 16 Jahre älteren Geliebten steht, die er jede Woche aufsucht. Seit zwei Jahren.

"Neid?" sagt Britt, während wir durch den Herbstwald stapfen "also neidisch wäre ich nicht auf Gabriele. Schon allein der Sexstress!" Bei Britt zu Hause sieht es aus wie bei mir: Statt Stilettos am Eingang fallen die Wanderschuhe mit Vibramsohle ins Auge. Und statt seidiger Kimonos auf Edelholzstühlen hängen raschelarme Outdoorjacken mit spezieller Feuchtigkeitstransporttechnologie an der überfüllten Garderobe.

Britt zitiert aus einem Artikel unlängst im Spiegel, in dem Sex jenseits des 50. Lebensjahres als evolutionsbiologisch gesehen höchst "exotisches Verhalten" bezeichnet wird. Es stimmt schon: Bei einigen meiner weiblichen und männlichen Bekannten habe ich inzwischen den Eindruck, man hätte gerne die Erlaubnis, ja die Absolution, nur wenig oder gar keinen Geschlechtsverkehr haben zu dürfen, ohne sich dabei schlecht und vergruftet fühlen zu müssen.

"Romantik findet man überall, nicht nur im Bett." Britt wird lakonisch. Sie hat kürzlich angefangen, wie in ihrer Jugendzeit in einer Rockabilly-Band zu spielen, war im Frühjahr zum Trekking am Dalaughiri und setzt auf "Romantik, bei der man selbst handeln kann und nicht auf jemanden warten muss, auch nicht auf einen Mann".

"Romantik ist auch eine Frage der Gelegenheiten", sage ich. Apropos Gelegenheiten. Gabriele könnte das nächste Mal doch mitkommen auf unsere Herbstwanderung. Am Wochenende besucht sie ihr Liebhaber nie, da ist er bei seiner Familie und Gabriele leidet darunter, wie sie mir sagte. Sie sollte sich natürlich noch ein Paar vernünftige Wanderschuhe zulegen. Und wir müssten auch gar nicht über Sex oder Beziehungen reden. Außer das Thema kommt von alleine auf. Versprochen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).