Pro und Kontra: Hat noch jemand Angst vor Deutschland?

Deutschland wird zu groß und mächtig. Diese Befürchtung hatten nach dem Fall der Mauer einige unserer Nachbarstaaten. Hatten sie Recht oder war es nur ein Hirngespinst?

Am 3. Oktober 1990, Punkt 0 Uhr, wurde die Deutschlandfahne vor dem Reichstag aufgezogen. Bild: dpa

Pro

Vor einem chauvinistischen Großdeutschland muss man im Jahre 2009 keine Angst mehr haben. Doch wäre das wirtschaftspolitische Verständnis hierzulande nur ein wenig ausgeprägter, es gäbe eine sehr berechtigte Angst - und zwar vor Deutschlands Wirtschaftspolitik.

Nur zu gerne wird etwa Chinas einseitige Exportorientierung angeprangert, die im Welthandel für ein gefährliches Ungleichgewicht sorgt. Es wird auch gerne gegen die skrupellosen Hedgefondsmanager der Wall Street gewettert. Diese Kritik ist richtig. Unerwähnt bleibt jedoch, dass der Exportweltmeister bis heute Deutschland heißt und dass dieser trotz globaler Krise nicht bereit ist, seine horrenden Leistungsüberschüsse abzubauen.

Leidtragende dieser zutiefst egoistischen Wirtschaftspolitik sind nicht zuletzt die anderen EU-Staaten. Gerade die südeuropäischen Länder waren in den Neunzigerjahren auf bestem Wege, beim Wohlstand mit den Nordeuropäern gleichzuziehen. Und es schien auch nicht unrealistisch, dass die neuen EU-Mitgliedstaaten im Osten zügig aufholen würden. Doch anstatt diesen Prozess zu unterstützen, reagierte Deutschland mit Niedriglohnpolitik, Preisdumping und einseitiger Exportförderung - und würgte damit den Aufschwung der anderen EU-Länder ab. "Die deutsche Lohnpolitik sprengt die Europäische Währungsunion", bemerkte schon 2005 der Ökonom Heiner Flassbeck.

Warum die Furcht vor den "Krauts" bei unseren Nachbarn bisher noch nicht so recht zum Tragen gekommen ist? Das hängt sicherlich damit zusammen, dass auch ihnen bis vor kurzem eingebläut wurde: An einer exportorientierten Wirtschaftspolitik gebe es moralisch ja nichts Verwerfliches.

Doch das ist vorbei: Wirtschaftsexperten und zunehmend auch die Staatschefs anderer Länder warnen die Deutschen vor den Folgen ihrer aggressiv-egozentrischen Wirtschaftsexpansion. Die Angst vor den Deutschen ist vielleicht nur momentan passé. Der Hass auf ein Land, das sich auf Kosten anderer gesund spart, kann dagegen schneller hochkochen, als viele es sich vorzustellen wagen.

Felix Lee ist taz-Redakteur für Politik von unten.

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Kontra

Es gibt Dinge, bei denen Angst eine angemessene, wenn auch nie ausreichende Reaktion ist. Dazu zählen etwa die neoimperiale US-Außenpolitik von George W. Bush, der Klimawandel oder die ungebremste Produktion von Atommüll. Angst vor Deutschland zu haben war in den letzten 20 Jahren hingegen nichts als eine gegenaufklärerische Geisterbeschwörung, an die zu erinnern allerdings nötig ist. Man kann daraus etwas lernen.

Als die Mauer fiel, reagierte die deutsche Linke, von Radikalen über Grüne bis hinein in die Sozialdemokratie, teils mit Befremden, teils mit Panik. Anstatt die Vereinigung aktiv zu gestalten, betrieb man entschlossen die Selbstgettoisierung. Vor allem die Linksradikalen fürchteten das Neue, Unbekannte und bemäntelten ihre Verunsicherung mit einem Rückgriff auf die Historie. Die Rede vom 4. Reich, das nun drohe, war indes nie historisch, sondern nur hysterisch.

Dass gerade die Linke, die sich auf ihre analytischen Fähigkeiten so viel einbildet, derart katastrophal irrte, ist fast schon eine Pointe für sich. Sie regredierte zu einer Art Ingroup, die eine negative Gefühls- und Identitätspolitik zusammenband. So versäumte sie mit angststarrem Blick auf die NS-Vergangenheit die Gegenwart. Man könnte freundlich vermuten, dass die Warner und Mahner von Günter Grass bis Jutta Ditfurth in einem dialektischen Prozess gerade das Unheil abwendeten, das sie beschworen. Aber dafür spricht nichts. Das chauvinistische Ungeheuer, das da wortmächtig niedergerungen wurde, war schon verwest.

2009 ist Deutschland eine europäische Mittelmacht, mit Stärken und Schwächen. Zu verändern gäbe es viel - von exorbitanten deutschen Rüstungsexporten bis hin zur verfehlten Wirtschaftspolitik, die einseitig auf Export setzt. Angst ist dabei kein guter Ratgeber. Gebraucht werden dagegen selbstbewusste Identifikation mit dem Gemeinwesen und kritischer republikanischer Geist - und die gelegentliche Beschäftigung mit den eigenen Fehlern: Revidiert wurden die linken Irrtümer über das neue Deutschland nämlich nie.

Stefan Reinecke ist Parlamentskorrespondent der taz.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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