Rückschlag für russische Autoindustrie: Ohne Opel wird weiter gebastelt
Im Verein mit Magna wollte die russische Sberbank mit Opel westliche Technologie für die heimischen Hersteller kaufen. Nun braucht die Branche eine neue Idee.
MOSKAU taz | Wer sich mit der Funktionsweise eines Motors oder Bremssystems vertraut machen möchte, dem sei der Kauf eines russischen Automobils ans Herz gelegt. Ein interessierter Laie ist bald in der Lage, die einfache Technik eigenhändig zu reparieren. Ein Auto der Marke Lada (Avtovaz) oder Wolga (Avtogaz) verlangt weniger spezifische Kenntnisse als vielmehr Zuwendung und reichlich Geduld. Sobald der Neuwagen ein Werk verlässt, beginnt für den Halter die eigentliche Arbeit. Jedes Auto muss vor Inbetriebnahme in seine Einzelteile zerlegt und wieder zusammengeschraubt werden, damit es auch verkehrstauglich ist.
Pech für Russlands Autoindustrie, dass der US-Konzern General Motors das Opel-Geschäft nun doch nicht an das vom kanadischen Autozulieferer Magna geführte Konsortium verkauft, dem auch die russische Sberbank angehörte. Die westliche Technologie hätte einen enormen Sprung bedeutet.
Am härtesten betroffen ist der Autohersteller Avtogaz in Nischni Nowgorod, der zuletzt die schlecht verkäufliche Limousine Wolga produzierte. Deren stillstehende Produktionsstraßen sollten für die Fertigung eines eigens für den russischen Markt zu entwickelnden Opel-Modells genutzt werden. Die Avtovaz-Gruppe beschäftigte bis zum Beginn der Wirtschaftskrise 118.000 Angestellte. Bis Jahresende soll der Mitarbeiterstab auf 60.000 halbiert werden. Als einziges Produkt dürfte der Kleinbus "Gazelle" die Flaute überstehen.
Auch beim Konkurrenten Avtovaz, dem größten Hersteller in Togliatti, sind die Verantwortlichen enttäuscht. Der im Westen als Lada-Produzent eingeführte Konzern beschäftigt mehr als 102.000 Arbeiter. Mit der Zulieferindustrie sind mehr als eine Million Arbeiter mit ihren Familien von dem Werk abhängig. Das erklärt, warum der Staat großzügige Darlehen zur Verfügung stellte - zuletzt gab es im Frühjahr einen zinslosen Kredit in Höhe von 570 Millionen Euro. Nur blieb der Effekt aus. Der technologische Rückstand ist ohne ausländische Hilfe nicht aufzuholen. Auch die Zulieferstrukturen weisen Mängel auf.
In einem Schreiben an die Regierung bekannte die Werksleitung, dass sie "Autos von außergewöhnlich niedriger Qualität" herstelle und es an "eigenen konkurrenzfähigen Entwicklungen" fehle. Will das Unternehmen ohne Entlassungen rentabel produzieren, müsste es in diesem Jahr mindestens 660.000 Fahrzeuge verkaufen. Bislang konnte es nur knapp 300.000 absetzen.
Insgesamt brach der Absatz der Kfz-Branche in Russland 2009 um die Hälfte ein. Avtovaz rechnet bis zum Jahresende mit einer Schuldenlast von 86 Milliarden Rubel (umgerechnet 2 Milliarden Euro) und bat den Staat um eine weitere Finanzspritze von 70 Milliarden Rubel.
In Togliatti zeigt sich das grundlegende Problem der russischen Industrieproduktion: Die Hersteller sind aus eigener Kraft nicht innovationsfähig. Das Werk wurde Anfang der 1960er-Jahre vom italienischen Fiat-Konzern in die Sowjetunion geliefert. Bis heute ähneln die Autos in Design und Technik dem Ursprungsmodell. 2006 nahm der Staat Avtovaz wieder unter seine Kontrolle. Der Modernisierungsschub blieb jedoch aus. 2008 erwarb Renault eine Sperrminorität. Ab 2012 wollen sie gemeinsam mit Nissan und Avtovaz das Billigauto Dacia sowie ein Nissan-Modell produzieren. Ob das klappt, soll nächste Woche entschieden werden. Experten zweifeln aber, dass allein das langfristig schon die Rettung des Unternehmens bedeutet.
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