Kunsthändler Achim Neuse: "Es gibt nur eine Regel: Keine Regeln!"

Der Bremer Galerist Achim Neuse ersteigerte beim Auktionshaus Christie's ein antikes Möbelstück für 1,25 Milionen Euro - den elffachen Schätzpreis. Er hätte sogar noch mehr bezahlt, denn einen Käufer zu finden sei kein Problem.

1,25 Millionen Euro erzielte dieses Möbelstück bei einer Auktion. Bild: Christie's

taz: Herr Neuse, Sie haben am vergangenen Donnerstag für 1,25 Millionen Euro eine Kommode gekauft. Die wurde auf maximal 110.000 Euro taxiert. Hat sich das Auktionshaus Christie's verschätzt?

Achim Neuse: Es ist keine Kommode, sondern ein Kabinettschrank aus höfischem Besitz. In dieser Art gibt es nur ein weiteres vergleichbares Stück auf der Welt.

Und Christie's hat das nicht erkannt?

Keine schnöde Kommode, sondern ein seltenes und wertvolles Kabinett aus Süddeutschland hat der Bremer Galerist Achim Neuse für insgesamt 1.127.650 Pfund am 5. November bei Christie's in London ersteigert.

Goldbeschläge und aufwändigen Intarsien aus Esche, Bergahorn und Fruchtholz zieren das teure Möbelstück.

70 Zentimeter hoch und einen Meter breit ist das Kabinett.

Der umgerechnete Verkaufspreis beträgt stolze 1,25 Millionen Euro.

Das britische Auktionshaus hatte den Wert des Millionen-Möbel vor der Versteigerung auf 60.000 bis 100.000 britische Pfund (110.000 Euro) geschätzt.

Das Elffache des Schätzwertes war Galerist Neuse das Kabinett wert.

Die Bestimmung der Preise von Kunstgegenständen ist eines der schwierigsten Themen überhaupt. Für einen Kaufmann wäre es eine Bankrotterklärung, wenn er sich so verschätzte. Im Kunsthandel ist es aber nichts Ungewöhnliches. Teils wird das mit Absicht gemacht, dann entsprechen die Schätzpreise im Katalog nicht so ganz der Wahrheit.

Preise werden zu niedrig angesetzt, um Auktionen in Gang zu bringen?

Ja, manchmal.

Und in den anderen Fällen?

Das geschieht aus Versehen. In Auktionshäusern arbeiten oft Leute aus sehr gutem Hause, die sehr sprachgewandt sind und ein gutes Erscheinungsbild haben. Das beeindruckt viele Kunden. Sie denken dann, diese Menschen verstehen alles. Aber auch große Auktionshäuser verfügen nicht für jedes Sachgebiet über einen Experten. Für Käufer kann das eine Chance sein.

Dass Sie sich beim Wert Ihres Stückes verschätzt haben, schließen Sie aus?

Eigentlich schon. Das Stück ist einmalig. Wir wären beim Preis auch noch weiter hoch gegangen. Ich kann mich an kein Objekt erinnern, das nach dem Krieg auf den Markt kam und diesem auch nur annähernd vergleichbar gewesen wäre.

Für wen wurde das Kabinett gefertigt?

Das wissen wir nicht. Wir können nur aus der Qualität schließen, dass es für einen Hof hergestellt wurde.

Und von wem?

Es ist nicht signiert. Aber der Kreis, durch den es entstanden sein kann, ist relativ klein.

Wissen Sie wenigstens, wem es zuletzt gehört hat?

Leider nicht. Die Verkäufer bleiben bei solchen Auktionen gern anonym. Es kann aus Hochadelsbesitz stammen oder von jemandem, der das Objekt später daraus erworben hat.

Obwohl Sie fast nichts über das Stück wissen, haben Sie so viel dafür bezahlt?

Ja. Es ist leider so, dass Wissen verloren geht. Entscheidend für uns war die Güte der Ausführung.

Wie haben Sie die festgestellt?

Solche Auktionen sind öffentlich, wie Theater oder ein Fußballspiel. Es gibt eine Voranzeige, und dann kann da jeder hingehen. Von unserer Firma war der Miteigentümer Volker Wurster vor Ort und hat das Stück in Augenschein genommen. Dann haben wir entschieden mitzubieten.

Dass heißt, Sie haben das Stück auf gut Glück ersteigert?

Wir haben natürlich gewisse Vorstellungen, wem wir das anbieten können.

Wem denn?

So ein Stück erweckt international Begehrlichkeiten bei Menschen, die sich sich mit der Renaissance beschäftigen.

Und das steht dann bei denen einfach so im Haus?

Ja. Man darf sich das aber nicht wie einen Einrichtungsgegenstand vorstellen.

Mussten Sie das Kabinett sofort bezahlen?

Wir sind eine alte Firma, wir zahlen deshalb nicht an Ort und Stelle am selben Tag - aber in unmittelbarer Folge.

Wie lange sind Sie schon Kunsthändler?

Über vierzig Jahre.

Haben Sie Kunstgeschichte studiert?

Das braucht man nicht unbedingt. In erster Linie ist ein inneres Wollen nötig, sich intensiv mit einer Sache zu beschäftigen.

Und lagen Sie bisher immer richtig mit Ihren Einkäufen?

Wenn ich immer richtig liegen würde, dann würde ich die Tipps einfach verkaufen. Kunsthandel ist ja nicht wie zur Tankstelle fahren, wo der Preis für den Liter Benzin festliegt. Im Kunsthandel gibt es nur gewisse Spannen. Und man muss sich ein Limit setzen - einfach deshalb, weil man sonst nicht zahlen kann. Es gibt nur eine Regel: Es gibt keine Regel! Man braucht eine lange Zeit, um sich mit diesen Dingen auszukennen.

Das heißt, Sie zahlen manchmal mehr, als Sie durch den Verkauf erzielen?

Das kann passieren, leider.

Auch bei so teuren Dingen?

Wir handeln nur mit hochwertigen Objekten, auch im siebenstelligen Bereich. Wir bemühen uns um Werke, die in ihrer Zeit etwas Besonderes waren. Sonst wäre es nicht gerechtfertigt, sie zu solchen Preisen anzubieten.

So ist es aber gerechtfertigt?

Es gibt auch Leute, die für ein Warhol- oder ein Richter-Gemälde sehr viel Geld ausgeben. Worüber wir hier sprechen, das ist alte Kunst, etwas wirklich Außergewöhnliches. Und wenn ich das mit moderner Kunst vergleiche, sind das keine großen Preise.

Werden Sie lange brauchen, um einen Käufer zu finden?

Bei raren Objekten gibt es natürlich auch nur wenige Käufer. Aber bei diesem Stück wird es wohl nicht sehr lange dauern. Durchaus möglich, dass wir es dieses Jahr noch verkaufen.

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