Kirche: Der politische Gärtner geht
Die Zionsgemeinde hatte das erste Kirchenasyl, die erste afrikanische Gemeinde, den ersten Betriebskindergarten: Jetzt verabschiedet sich Pastor Hans-Günther Sanders.
In der Mitte will er nicht stehen. Das orangene Zentrum des Organigramms, das im Foyer der Neustädter Zions-Kirche hängt, sei erfüllt von der Liebe Gottes, sagt Hans-Günther Sanders. Und nicht von ihm, dem Pastor. Er sieht sich im "Gewächshaus Gottes", wie sich die Gemeinde nennt, als einen von vielen. Aber er müsste dies nicht betonen, wenn er nicht wüsste, welch hohen Anteil er daran hat, dass diese Kirche so außergewöhnlich ist. Und wie groß die Lücke sein wird, wenn er am Sonntag mit einem Gottesdienst in den Ruhestand verabschiedet wird.
Besonders lebhaft ist der Geist von Zion um die Mittagszeit. Kinder laufen durch den Backsteinbau in der Kornstraße am Organigramm vorbei in den Hof zum Hort, Eltern holen die Kleineren aus der Kita ab, im Gemeindesaal bekochen Schüler alte Menschen, die hinter der Kirche in einer Siedlung der Bremer Heimstiftung leben - von den Kindern im Hof trennt sie nur eine Pforte.
Manchmal ist es in der Zionsgemeinde so laut, dass sich Nachbarn beschweren, erzählt Sanders. Das liegt daran, dass es ein offenes Haus ist, mehr Stadtteilzentrum als Kirche, mit Werkstätten, PC-Labor, Kinder-Bibliothek, Musikräumen und Sportschule. 50 Nutzergruppen haben hier ein Zuhause: Von der Süchtigen-Selbsthilfe, dem Aupair-Verein, der Ortsgruppe der Grünen bis zum Tanzclub im Bremer Süden e.V. Sanders setzt nicht darauf, dass ihm auf diese Weise das eine oder andere Schäfchen in den Schoß fällt. "Hier wird niemand missionarisch angebaggert, das ist verboten", sagt er, der im Gespräch mit Bibelworten nicht geizt. Die Offenheit des Hauses hält er für eine Grundaufgabe der Kirche und das Ausgliedern der Diakonie für einen Fehler. Immer wieder hat er wegen dieser Haltung über Kreuz gelegen mit Funktionären der Evangelischen Kirche in Deutschland. "Die hat nur ein Ziel: Mitglieder machen", lästert er und hat gut reden. Seine Gemeinde, die gerade mit zwei anderen Neustädter Gemeinden fusioniert wurde, wächst.
Auch baulich unterscheidet sich die Zionsgemeinde von vielen Kirchen: Mit Fitnessraum im Keller und Altarraum unterm Dach. Der 1957 fertig gestellte Bau steht als erster radikal-reformerischer Kirchenbau in Bremen unter Denkmalschutz. "Erster" war Zion oft: das erste Kirchenasyl, die erste Aufnahme einer afrikanischen Gemeinde, der erste Betriebskindergarten.
Es ist kein Zufall, dass eine Gemeinde, die sich einen Neubau traut, der dem Alltag im Gotteshaus eine bedeutendere Rolle zuspricht als dem sonntäglichen Gottesdienst, sich für einen wie Sanders entscheidet. Wobei der glaubt, dass der Vorstand damals nicht so ganz genau wusste, auf wen er sich mit ihm einließ. Damit meint er den Streit, als er sich 1980 an die Spitze des Protests gegen das Rekruten-Gelöbnis der Bundeswehr im Weser-Stadion stellte. Zur Eskalation kam es, als Jugendliche in seinem Gottesdienst "ein ungelenkes, jugendliches Protestlied gegen das Unrecht des ,erzwungenen Kriegsdienstes'" sangen, wie er sich in einem diese Woche erscheinenden Buch über die Zionsgemeinde erinnert. "Einige Gemeindeglieder forderten lautstark meine sofortige Ablösung."
Dabei war er doch erst vier Jahre zuvor gekommen, aus dem Vikariat in Berlin, das er eigentlich wegen einer schweren Glaubenskrise nach dem Unfalltod seiner ersten Frau gar nicht hatte antreten wollen. Als Sozialpädagoge wollte er arbeiten. Es kam anders als geplant. Wie so oft. Wie auch jetzt. Sanders hatte sich dazu durchgerungen, schon mit 63 Jahren in den Ruhestand zu gehen, weil ihm die Arbeit, vor allem die Beerdigungen, "viel Kraft gekostet" hat. Doch ein bisschen muss er noch geben. Einmal die Woche wird er für einen Tag kommen, sich um die Ein-Euro-Jobber kümmern und um die Gemeinschaftsgruft, die die Gemeinde gekauft hat. Aber nur bis Mai. Bis dahin, so hofft er, ist ein Nachfolger zumindest in Sicht, der sich den hohen Ansprüchen der Gemeinde gewachsen sieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!