Montagsinterview Schwabenwirt Berthold Schöttle: "Als die Mauer fiel, kamen auch die anderen Schwaben"
Berthold Schöttle ist Inhaber des Schwabenlokals Weitzmann in Berlin-Moabit, liebt Maultaschen und die schwäbische Mundart. Dennoch würde er manche seiner Landsleute am liebsten wieder heimschicken.
taz: Herr Schöttle, wann fahren Sie denn an Weihnachten nach Hause?
Berthold Schöttle: Gar nicht. Ich halte nicht viel von diesem weihnachtlichen Schmus. Meine alten Freunde treffe ich ein Vierteljahr später zur Fasnet. Außerdem habe ich Freunde, Verwandte und zwei Enkel in Berlin.
Berthold Schöttle wurde 1950 im oberschwäbischen Munderkingen als jüngster von vier Brüdern in eine Handwerkerfamilie geboren. Mit 19 ging der gelernte Rundfunktechniker nach Westberlin - obwohl er als "Bereitgestellter" keinen Kriegsdienst befürchten musste. Dort traf er auf Hausbesetzer und Maoisten, entschied sich dann aber für ein solides Radio-Fernseh-Geschäft in Charlottenburg.
Seit 1993 gibt es das schwäbische "Spätzlealitäten"-Restaurant Weitzmann mit Mittagsimbiss in den S-Bahnbögen an der Lüneburger Straße in Moabit. Zu besonderen Anlässen erklimmt der Wirt das Podest und spielt mit seiner "Spätzle Connection" Rock und Schlager. Und rezitiert schon mal ein "Versle" des Munderkinger Mundartdichters und Restaurantpatrons Carl Borromäus Weitzmann (1767-1829).
Die Kultur ist Schöttles zweites Standbein. Seit 2001 betreibt er das "Artenschutztheater". Das Stück, das dort bald Premiere feiern soll, heißt "Die Schwaben sind an allem schuld".
Angeblich soll es 200.000 Schwaben in Berlin geben. Schöttle hält diese Zahl für frei erfunden. Zumal Berliner als Schwaben gerne alle Süddeutschen zusammenfassen. Zu Hause grenzen sich die Badener aber gern von den Württembergern - den eigentlichen Schwaben - ab. Und der Regierungsbezirk Schwaben in Bayern ist noch ein ganz anderer Fall.
Sie sind hier heimisch geworden?
(überlegt lange) Hach, ich glaube schon, dass ich heimisch in Berlin bin. In der Zwischenzeit -nach 40 Jahren - habe ich mich auch mit dem Schwabenland versöhnt. Ich geh da hin, ohne dass ich Stress habe.
Mussten Sie aus der Provinz fliehen?
Mein Vater - Dekorationsmalermeister Franz Schöttle - hat mich so ein bisschen fortgeschickt: "Kerle, gang au naus aus dem Ort", hat er gesagt. Ich habe mich aber auch selbst rausgejagt. Das gnadenlos Konservative in Munderkingen ist mir auf den Keks gegangen.
Und in Berlin fanden Sie die Freiheit?
Konservativ betrachtet war die Lebensqualität in Schwaben weitaus höher als in Berlin. Revolutionär betrachtet, war es aber genau umgekehrt: In Westberlin gab man nichts auf gute Wohnungen, aber viel auf spannende Begegnungen. Auch die alten Leute sind hier jung geblieben, ich habe noch Trümmerfrauen kennengelernt, das war spannend. Und natürlich viele Spinner, politisch Extreme. Das war alles Westberlin. Als die Mauer fiel, änderte sich das. Seitdem kommen auch die anderen Schwaben hierher. Die hatte zuvor die Mauer ferngehalten, weil es ihnen bei den Kommunisten zu gefährlich war.
Jetzt kommen die, vor denen Sie damals geflohen sind?
Ja, dieser Typ Schwabe, der geizige mit Bausparvertrag und Krawättle, der alles besser weiß. Den gibt es tatsächlich. Und dem können Sie ruhig die Reifen aufstechen, den brauchen wir hier nicht. Das finden wohl auch die Leute, die jetzt in Prenzlauer Berg die Schwaben wieder nach Hause schicken wollen.
… dort hängen jedes Jahr zu Weihnachten Plakate mit der Aufschrift "Stuttgart-Sindelfingen 610 km - Ostberlin wünscht gute Heimfahrt".
Da wird von Sindelfingen, Erlangen und Koblenz gesprochen. Offenbar sind die Badener dabei explizit ausgenommen. Das ist doch eine badische Verschwörung! Die wollen nicht schon wieder die Minderheit sein und die Württemberger raushaben. Aber im Ernst: Ich finde die Plakate witzig.
Können Sie sich eigentlich unter einem "Porno-Hippie-Schwaben" etwas vorstellen?
Nein, was soll das sein? Ein Flitzer, der nackig im Olympiastadion rumläuft?
Es ist eine Beschreibung für gut verdienende Schwaben, die durch ihr yuppiehaftes Auftreten Abwehrinstinkte bei der eingeborenen Bevölkerung hervorrufen.
Eingeborene Berliner gibt es ebenso wenig wie eingeborene Kölner. Das sind Hugenotten, Polen, Eingewanderte aus allen Ecken Europas.
Vielleicht missfällt denen das ausgeprägte Selbstbewusstsein der Schwaben, die sogar Bier aus der Heimat mitbringen …
… und dem Berliner geht es auf den Senkel, dass er nicht allein eine große Gosch hat. (lacht) Na ja, vielleicht sind wir eben ein bisschen mehr als nur die zweitgrößte Minderheit nach den Türken.
Stimmt das überhaupt? 200.000 Schwaben soll es hier geben, die Zahl hält sich hartnäckig. Obwohl sie sich kaum belegen lässt.
Ich kenne sogar ihren Ursprung: Albrecht Metzger, ein Freund und Gründer des Kabaretts "Schwabenoffensive", sagte mal etwas von 100.000 Schwaben in einem Theaterstück. Das hat er sich ausgedacht, vor 15 Jahren war das. Inzwischen wurden daraus 200.000 Schwaben, aber Statistiken gibt es dazu nicht.
Jedenfalls sind die Schwaben durch ihre Umtriebigkeit überall vertreten, in der Hausbesetzerszene, der Politik … Warum sind Sie ausgerechnet Wirt geworden?
Ich hatte lange ein Radio- und Fernsehgeschäft in Charlottenburg. 1980 habe ich mein Lager hierher unter die Moabiter S-Bahnbögen verlegt, ich verliebte mich ein bisschen in den Ort. Als mein Sohn auf die Welt kam, wollte ich bodenständiger werden. Und da habe ich einen Imbiss aufgemacht für meine damalige Lebenspartnerin.
War die auch Schwäbin?
Ja. Ich habe sie in Berlin kennengelernt - sie hat sich verstellt. Als Schwabe wollte man doch auf alle Fälle ein anderes Mädel kennenlernen, keine Schwäbin. Aber jetzt bin ich wieder mit einer zusammen. Man trifft sich eben, auch wenn man sich nicht sucht. Die meisten sind ja aus den gleichen Gründen hierhergekommen.
Mussten Sie nach Berlin kommen, um zu entdecken, dass Sie Schwabe sind?
Könnte man so sagen. Aus der Distanz sieht man das Schwabensein anders. Man hat eine gemeinsame Erbsünde, weil man mit all diesen Sachen groß geworden ist: mit der Kehrwoche, dem Häusle, dem Garten drum herum. All das Kleinkarierte, das aber teilweise gar nicht so schlecht ist.
Das hätten Sie vor 20 Jahren nicht gesagt.
Stimmt, in der Zwischenzeit denke ich über manche Sachen anders. Zum Beispiel über die Kehrwoche …
… also die Verpflichtung in einem Mehrfamilienhaus, dass jede Partei abwechselnd eine Woche lang Treppenhaus und Bürgersteig sauber hält …
Damals fand ich dieses Verordnete schlimm. Auch die soziale Kontrolle: Hat der Nachbar ordentlich geputzt? Aber wenigstens kümmerte man sich. In Berlin schmeißt jeder überall seinen Müll hin und geht davon aus, dass jemand anders das wegräumt, weil er dafür bezahlt wird. Das finde ich nicht okay, ich werfe mein Papier in den Mülleimer.
Ihre Kneipe "Weitzmann" bietet schwäbische Küche, badisches Bier und gutbürgerliche Gemütlichkeit. Ganz schön traditionell für einen, dem das Schwabenland mal zu eng war.
Ich kann und will nicht verleugnen, dass ich Schwabe bin. Und da ich in Berlin lebe, wollte ich was machen, was beides zusammenbringt. Ich wollte zeigen, dass schwäbische einfache Küche schmackhaft und preiswert sein kann.
Konnten Sie denn kochen - oder mussten Sie sich von Ihrer Mutter das Maultaschenrezept ausborgen?
Maultaschen und Spätzle machen - das ist kein großes Hexenwerk, das steht in jedem Kochbuch. Und mit Spätzle bin ich ja groß geworden.
Jetzt stapeln Sie aber tief!
Es wird gerne so dargestellt, dass Spezialitäten ein ganz bestimmtes Geheimnis haben, eine Prise hiervon oder davon. Aber für Maultaschen gilt einfach: Gute Waren nehmen und gut würzen - dann wirds ne gute Maultasch.
Muten Sie den Berlinern auch schwäbische Besonderheiten wie Kutteln oder Ochsenmaulsalat zu?
Klar, aber ich muss viel erklären.
Etwa, dass die Gäste einen in Streifen geschnittenen Vormagen eines Wiederkäuers essen?
Manchmal bestellt schon einer Kutteln und mag sie dann nicht. Dabei ist das hochwertiges Fleisch und sehr schmackhaft. Stinken tut es nur bei der Zubereitung.
Spätzle aber schmecken jedem. Werden die bei Ihnen gedrückt oder geschabt?
Ich führe da keine Glaubenskriege. Wenn jemand das Doppelte bezahlt - etwa bei einer Hochzeit -, dann wird geschabt. Ansonsten drücke ich sie, das ist der technische Fortschritt.
Ihr Restaurant liegt nah am Regierungsviertel. Welche Promis kommen denn so vorbei?
Vor nicht allzu langer Zeit kam der Bundespräsident mit seiner Frau. Eine Aushilfe arbeitete an dem Abend. Sie bediente das ältere Ehepaar, das sich ans Fenster gesetzt hatte. Ein paar große Männer standen um sie rum, und sie fragte immer wieder: Wollen Sie sich nicht auch setzen? Die Leibwächter blieben stehen und fragten irgendwann: Ja, kennen Sie denn unseren Bundespräsidenten nicht? So viel zum Thema, wie selbstverständlich Prominenz bei uns behandelt wird.
Was haben die Köhlers denn gegessen?
Ganz konservativ Linsen, Spätzle, Saitenwürschtle. Und eine Suppe. Mehr erzähl ich nicht. Der Euro ist auch nur rund, bei mir gibts auch keine Bildle von Prominenten. Nur von Carl Borromäus Weitzmann, dem schwäbischen Mundartdichter, nach dem ich dieses Restaurant benannt habe.
(Eine Frau mit Schürze stellt Getränke auf den Tisch und verschwindet in der Küche)
Ist das in der Küche eigentlich Ihre Frau?
Nein. Ich bin seit vierzig Jahren glücklich nicht verheiratet. Die Mutter meines Kindes lebt mittlerweile wieder in Baden-Württemberg, sie hatte irgendwann keine Lust mehr auf den Imbiss und alles. Mit der Doris bin ich jetzt seit über zehn Jahren glücklich und zufrieden liiert.
Ist der Widerstand gegen die Institution Ehe ein Überbleibsel aus der Zeit, als Sie nach Berlin gekommen sind?
Ich habe nie eingesehen, warum man Stempel und Ehevertrag braucht. Man muss einfach anständig miteinander umgehen, das muss man spüren und leben. Meine Mutter hat das nie verstanden, musste es aber erdulden. Als Gegenleistung bin ich in der Kirche geblieben. Bis heute, das habe ich ihr versprochen.
Haben Ihre Eltern den "Weitzmann" noch kennengelernt?
Meine Mutter war mal hier. Und ganz hin und her gerissen: Wie kann der Sohn nur den guten Beruf an den Nagel hängen und Kneipier werden? Aber gefallen hat es ihr schon.
Und Ihr Sohn, soll der die Kneipe mal übernehmen?
Das ist tatsächlich im Gespräch. Aber ich würde es ihm nicht empfehlen. Für mich ist die Kneipe mein Lebensgefühl, ich ziehe mehr daraus als nur den Gewinn. Aber mein Sohn ist Berliner. Der findet das hier nett, aber er braucht den "Weitzmann" nicht, um glücklich zu werden.
Welche schwäbischen Traditionen geben Sie an Ihren Sohn weiter?
Ich gebe keine schwäbischen Traditionen weiter, sondern meine Einstellung zum Leben: Dass er mit offenen Augen durchs Leben geht, politisch interessiert ist, nicht auf der falschen Seite steht, das hab ich ihm mitgeben können. Und darüber bin ich froh.
Noch mal zu Ihrem Hausdichter Carl Borromäus Weitzmann. Können Sie uns …
… ein Versle aufsagen? Aber gern! (Er rezitiert in breiter Mundart Unverständliches über einen Bauern, der im 18. Jahrhundert zur Beichte geht).
War das jetzt was Unanständiges?
Weitzmann war ein schlimmer Dichter zu seiner Zeit, von dem wurde sogar eine Strohpuppe verbrannt. Der hat aufgemuckt, das war mein Hero. Andere hatten die Beatles - ich hatte den Weitzmann, weil er die Honoratiorenschwaben an der Nase herumgeführt und in Versform beleidigt hat. Das hat mir gefallen, so wollte ich sein.
Und, sind Sies geworden?
Ein Stück davon, ja. Nur als Geschäftsmann würde ich mich gar nicht leiden können. Das ist ja auch so eine schwäbische Manie: Was hat jetzt des kost, hat sich die Veranstaltung glohnt fürs Geld? Alles wird immer umgerechnet in Heller und Pfennig, wie eine Rechenmaschine im Kopf. Das fand ich so schlimm, dass aus mir ein grandios schlechter Geschäftsmann geworden ist.
Immerhin gibts den Weitzmann seit mehr als 15 Jahren.
Schließlich arbeite ich auch seit meinem 14. Lebensjahr. Wenn ich ein besserer Geschäftsmann wäre, würde ich schon lange delegieren. Oder hätte ein paar Eigentumswohnungen in Prenzlauer Berg. Aber dann wär ich wieder zu schwäbisch. Und könnte mich nicht leiden. Also verzichte ich auf die Eigentumswohnung und lebe zur Miete in Charlottenburg auf der vierten Etage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball