Kolumne Verkehr in und um Genf: Renaissance der Schiene

Kühne Träume von transkontinentaler Mobilität wurden nie verwirklicht. Dafür findet seit Anfang dieses Jahrtausends eine Korrektur der Verkehrspolitik in der Genfer Region statt.

Annemasse, Genf, Évian, St. Gingolph: Wer vor 150 Jahren den Lac Léman, den größten See Europas, entlang seiner französischen Südseite bereisen wollte, konnte dies bequem mit einer häufig verkehrenden Eisenbahn tun. Die 75 Kilometer lange Strecke zwischen Aus- und Eintritt des Rhôneflusses war das erste Teilstück der "ligne du Tonkin", einer geplanten Eisenbahnverbindung von Paris bis an den Golf von Tonkin in der damaligen französischen Provinz Indochina, dem heutigen Vietnam.

Diese kühnen Träume einer transkontinentalen ökologischen Mobilität wurden leider nie verwirklicht. Und auch die erste Teilstrecke der "ligne du Tonkin" ist schon längst nicht mehr in Betrieb. Bereits 1938 stellte die französische SNCF den Personenverkehr ein. Seit 16 Jahren fahren auch keine Güterzüge mehr. Stattdessen verstopfen heute endlose Auto- und Lastwagenkolonnen die Straße entlang dem südlichen Genfer Seeufer und verpesten die Umwelt.

Jetzt endlich besinnen sich die Schweizer Kantone Genf und Wallis und die französische Region Rhône-Alpes wieder auf die Schiene. Demnächst wird als erster Schritt die Zugstrecke zwischen Évian und St. Gingolph wiedereröffnet. Beschlossen ist zudem der Bau einer S-Bahn-Verbindung zwischen Annemasse und dem Zentrum von Genf.

Auch in der UNO-Stadt, die unter allen Schweizer Kommunen die höchste Pkw-Dichte pro EinwohnerIn aufweist, hat endlich die Renaissance der Schiene begonnen. 1920 gab es hier noch 120 Kilometer Straßenbahnschienen. Im Autowahn der 60er- und 70er-Jahre schrumpfte dieses Schienennetz auf 8 Kilometer - anders als in den großen Deutschschweizer Städten Zürich, Basel und Bern, die ihr Straßenbahnsystem klugerweise ständig ausbauten und modernisierten.

Seitdem Anfang dieses Jahrtausends in Genf erstmals zwei Grüne in die siebenköpfige Regierung gewählt wurden, findet eine Korrektur der Verkehrspolitik statt. Seit Mitte Dezember verkehren zwischen dem Hauptbahnhof und der 8 Kilometer entfernten 20.000-Einwohner-Vorstadt Meyrin eine hochmoderne Straßenbahn im 5-Minuten-Takt.

Auch das Europäische UNO-Hauptquartier, zu dem tausende Mitarbeiter und DiplomatInnen alltäglich vorzugsweise mit dicken Autos anzureisen pflegten, ist inzwischen mit zwei Straßenbahnlinien sowie auf gut ausgebauten Radwegen bequem erreichbar. Doch die Bahnlinie vom Lac Léman an den Golf von Tonkin wird wohl ein Traum bleiben.

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Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.

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