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Kolumne GerüchteHaklepapier im Klavier

Je älter wir werden, desto eher sehen wir das Positive, sagt eine Studie. Auch mein Schwarm W. kommt zunehmend gut bei mir weg.

M eine Freundin Britt behauptet, mit den Jahren steige die Stimmung. Man käme innerlich zu den wirklich wichtigen Dingen, wenn die Hormone absackten, was sie erstaunlich früh täten. Doch über hormonelle Tieflagen wollte ich an jenem Abend eigentlich nicht reden. Denn auf dem Weg zum Lokal hatte ich ein kleines Plakat gesehen. W. tritt mal wieder auf mit einer Band. Gute oder schlechte Erinnerung? Das ist die entscheidende Frage.

W. hatte ich erstmals vor 25 Jahren bei Konzerten in Clubs gehört. Die anderen Musiker seiner Band schwangen ihre Gitarren phallisch hin und her, während W. am Klavier mit eleganten Melodielinien das einfühlsamste Solo zauberte. Endlich fragte ich ihn beiläufig, ob er vielleicht Unterricht anbieten … Ein Mann, der sich einer Sache ganz hingibt! Eine Begeisterung, die allein für sich steht. Leidenschaft.

Doch es gab ein Problem.

privat

Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin der taz.

Wer den Flügel in W.s Wohnung spielte, hörte nämlich nur ein Plopp-plopp-plopp. Dabei nahm der wuchtige Bechstein so viel Platz in Anspruch, dass der Kleiderschrank auf den Balkon verbannt werden musste. Auch für ein richtiges Bett fand sich im Zimmer kein Raum. Die Matratze lag auf dem Boden.

W. musste fünf Stunden täglich üben, er studierte Klavier an der Hochschule. Aus Rücksicht auf die Nachbarn hatte er das Instrument mit Hakle-Klopapier präpariert und die Streifen wie bei einem Webstuhl auf und ab durch die Saiten gezogen. Keine Schwingungen, keine raumfüllenden Klänge, da half auch das Pedal nicht. Seine KlavierschülerInnen mussten den abgedämmten Flügel akzeptieren, denn die Präparation war zeitaufwendig und er konnte das Papier nicht mal eben so entfernen.

Ich kam trotzdem regelmäßig und ploppte meine Fortschritte mit "Autumn in New York" und "Ill be seeing you" auf der Tastatur. Ich träumte davon, die Hakle-Papierstreifen eines Tages herauszureißen aus den Saiten. Dann würden wir davonfliegen. Ich würde ihn zu gewagten Soli inspirieren. Ich würde im Originalsound das melancholische Stück spielen, das ich mir mit nicht unerheblichem Zeitaufwand zuhause zusammengebastelt hatte.

Ich musste nur Geduld haben. Irgendwie, da war ich mir sicher, gehörten wir zusammen. Er wusste es nur nicht. Noch nicht. Hatte nicht meine Freundin S. gemutmaßt, W. habe "bestimmt auch ein bisschen Angst vor Frauen. Der ist vielleicht gehemmt. Der kennt doch nur seine Musik".

Eines Tages kam ich zur Klavierstunde. Die Hakle-Streifen waren entfernt. Eine asiatisch aussehende hübsche junge Frau schwebte aus der Küche zur Eingangstür. "Das ist Pong", sagte W. zu mir, "meine Freundin. Sie studiert auch Klavier. Pong, das ist Barbara, sie nimmt bei mir ein bisschen Unterricht." Ah ja.

"Da gibt es diese Studie", reißt mich Britt aus meinen Gedanken. Eine Erhebung vom Berliner Max-Planck-Institut und dem Sozio-ökonomischen Panel. Danach sehen ältere Menschen im Unterschied zu Jüngeren eher das Positive. Weil sie um ihre begrenzte Lebenszeit wissen und deswegen möglichst wenig Zeit mit schlechter Laune verschwenden wollen. Während sich die Jüngeren gerne in negativen Gefühlen wälzten. Ältere seien "pro-hedonistisch", was die Interpretation ihres Lebens betrifft. Das sei gewissermaßen biologisch bedingt, meint Britt.

"Mein ehemaliger Klavierlehrer tritt demnächst mal wieder auf", berichte ich. Ich könnte jetzt was Abwertendes über W. loslassen, schließlich spielt er in ziemlichen Kaschemmen. "Begabter Mann", sage ich stattdessen. Ich habe die Macht über meine Erinnerungen. Erst recht als Pro-Hedonistin.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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