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taz-Serie Schneegestöber (12): Baden"Nichts für Warmduscher!"

Im Orankesee wird das ganze Jahr gebadet. Jetzt ist die Zeit für besonders Sportliche.

Was für ein Klamauk: Baden bei Minusgraden scheint tatsächlich Freude zu bereiten. Bild: Reuters

Der Anbader ist ein Bär von einem Mann. Bis zur Hüfte steht er im Orankesee in Lichtenberg und schaufelt mit beiden Händen Eisstücke aus dem Loch, das er und seine KollegInnen vom Winterbadeverein Seehunde in der Eisdecke geöffnet haben. Schier ewig bleibt er im Wasser.

Auch Christel Barth ist da eiskalt. Ohne zu zögern, steigt die Vorsitzende der Seehunde splitterfasernackt die Leiter am Rande des Eislochs hinab. Sich zu überwinden, in das ein Grad kalte Wasser zu klettern, sei nicht leicht, so Barth. Aber sie hat Spaß daran: "Ich will meinen Körper auf die Probe stellen", sagt die 71-Jährige kämpferisch. Lächelnd steht sie bis zur Hüfte im Wasser, reckt sich, seufzt und lässt sich sinken. "Am besten ist es, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht", sagt Barth. Gemütlich schwatzt sie mit ihren Eisbadefreunden im Wasser.

taz-Serie Schneegestöber

So viel Winter war selten. Doch wo herrschen die besten Bedingungen, um Schnee und Eis vollendet zu genießen? Die taz testet täglich Berlins Ski-, Eis- und Rodelgebiete. Heute: Eisbaden im Freibad Orankesee.

Wasserqualität: Recht kühl.

Sportstättenqualität: Geräumig genug für 20 Eisbader.

Konkurrenz: 64 hartgesottene Seehunde, Tendenz steigend.

Après-Ski-Potenzial: Keins, die Kälte berauscht scheinbar genug.

Circa 40 Seehunde kommen jeden Sonntag von September bis April um 10 Uhr zum Winterbaden an den See. Der Verein umfasst 64 Mitglieder im Alter von zehn bis 78 Jahren. "Vom Maurer bis zum Professor" seien alle Gesellschaftsschichten vertreten, so Barth. Das habe durchaus Tradition: Sowohl der gebildete Goethe als auch die eher bodenständigen Germanen schworen auf die gesundheitlichen Vorteile der osteuropäischen Volkssportart Eisbaden. "Man härtet ab", erklärt Christel Barth den Effekt. Sie und ihr Mann sind seit 1990 eingeschworene Eingefrorene.

Kaltes Wasser liebt Barth schon seit ihrer Kindheit. Sie sagt: "Ich werde ohne überhaupt nicht betriebsbereit morgens." Dementsprechend sei es auch "ein sehr angenehmes Gefühl", sich nackt nahe an den Gefrierpunkt zu begeben. Wer probeweise mitbaden will, sollte aber durchaus Gefallen am kaltem Wasser finden können: "Das ist nichts für Warmduscher."

Länger als zehn Minuten bleibt keins der Vereinsmitglieder im Wasser. "Alleine ist jeder für sich selbst verantwortlich, aber bei uns gibt es Regeln", so die Vorsitzende. Denn die Gefahr von Krämpfen oder selbst Herzversagen sei natürlich ständig gegeben. "Und wenn einem da niemand hilft, hat man keine Chance mehr rauszukommen", so Barth. Deshalb ist bei den Seehunden auch immer ein Rettungsschwimmer dabei.

Nach einem zweiten Bad und einem kurzen Schwatz an der minus drei Grad kalten Luft ziehen sich die Eisbader wieder an und kehren in ihr normales Leben zurück. "Das gibt einem so richtig schön Schwung für den Tag", sagt Barth. Martin Schwarzbeck

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