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Kommentar TalibanGeld allein lindert keinen Hass

Kommentar von Thomas Ruttig

Für ein paar Dollar im Monat sprengen Studenten und einfache Dorfbewohner kaum afghanische Polizisten oder westliche Soldaten in die Luft. Ein bisschen Hass gehört schon dazu.

A uch Deutschland unterstützt nun das neue Programm der afghanischen Regierung zur Reintegration reuiger Talibankämpfer. Doch so wichtig jeder nichtmilitärische Ansatz in Afghanistan ist - die Geburtsfehler dieses Programms dürfen nicht übersehen werden.

Schon die Annahme, man könne die Aufständischen fein säuberlich in ideologisch oder wirtschaftlich motiviert trennen, ist zu einfach. Zu glauben, viele Kämpfer könnten mit materiellen Anreizen überzeugt werden, die Seite zu wechseln, greift zu kurz – so simpel sind ihre Motive nicht.

Für ein paar Dollar im Monat sprengen Studenten und einfache Dorfbewohner kaum afghanische Polizisten oder westliche Soldaten in die Luft. Ein bisschen Hass gehört schon dazu. Woher der kommt, ist bekannt: etwa daher, dass eine vom Ausland gestützte korrupte Regierung Machthaber auf lokaler Ebene schützt, die zum Teil äußerst brutal ganze soziale Gruppen von Mitsprache und Ressourcen fernhalten.

Thomas Ruttig

ist Kodirektor des unabhängigen Thinktanks Afghanistan Analysts Network (Kabul/Berlin).

Solche Kämpfer sind kaum der Meinung, dass sie sich auf dem "falschen Weg" befinden. Von ihnen zu verlangen, die Waffen niederzulegen und die afghanische Verfassung anzuerkennen, läuft in ihren Augen auf die Kapitulation vor einer korrupten Regierung hinaus. Problematisch ist auch, dass das Programm indirekt Gewaltausübung belohnt. Jene, die gar nicht erst in die Berge gegangen sind, werden nicht begeistert sein.

Ohne eine echte Reform des afghanischen Regierungssystems wird das Reintegrationsprogramm scheitern. Bei einer Milliarde Dollar, die dafür in Aussicht stehen, leuchten in Kabuls Führungsetagen manche Augen schon erwartungsvoll auf.

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4 Kommentare

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  • A
    Amos

    Der Westen glaubt immer noch mit Geld alles kaufen zu

    können. Erst versucht man es auf die brutale Art a la Bush-, jetzt will man "Idealisten" kaufen. Politiker glauben doch tatsächlich,weil sie selbst käuflich sind,

    wäre jeder Mensch käuflich. Bei den Russen hat es ja

    geklappt, aber ob es auch bei Fanatikern klappt!? Dieses Geld, was da verschwendet wurde-, wie hätte man das hier im eigenen Land gebrauchen können. Aber um den

    unberechenbaren Bush nicht zu vergraulen, hat man sich

    auf das Hasardeur-Spiel eingelassen. jetzt wissen die Idioten nicht wie sie da raus kommen.

  • W
    wilfried

    es gibt schon einen teil der bevölkerung der tatsächlich glaubt man könne verbohrte idealisten mit

    gut zureden oder mit geldgeschenken umkehren - das sind genau die die jede meinungsäusserung die nicht in ihre schublade passt zensieren wollen(im moment auch noch können)

  • IH
    Irene Heitz

    Herr Ruttig mag mit seinem Kommentar teilweise recht haben. Leider finde ich die Ablehnung der Idee, dass Taliban durchaus aus wirtschaftlichen Nöten heraus zu radikalen Kämpfern werden können eine ziemlich unvollständige Sichtweise der Dinge.

     

    Tatsache ist, dass die Taliban Madrassas finanziert bekommen, bzw. bekamen, die sie vorzugsweise in armen Regionen errichten. Dort sind sie oft die einzige Schule überhaupt und versprechen zudem noch Kost und Logis bei einer Bezahlung, von der andere Landsleute nur träumen können. Dafür gibt es jede Menge Indoktrination und einseitige bis falsche Auslegung des Korans. Viele der Jugendlichen, die dort erzogen werden sind gar nicht so freiwillige Selbstmordattentäter.

     

    Es kann nicht schaden, sich mal bei einem der besten Kenner der nördlichern Regionen Pakistans und Afghanistans zu informieren, den es derzeit gibt – Greg Mortenson. Der ehemalige Bergsteiger baut dort seit über 16 Jahren mit vergleichsweise wenig finanziellem Aufwand und zusammen mit den Einwohnern in abgelegenen Dörfern Schulen, zum Teil sogar reine Mädchenschulen!

    Sein Buch „Mein Traum vom Frieden“ (Naja, mir gefällt der Originaltitel viel besser “Three cups of tea“) beschreibt hervorragend, spannend und mitfühlend, was am Hindukusch los ist, und was dort auch an Friedensarbeit machbar ist, wenn man sich auf die lokalen Gepflogenheiten einlassen kann. Das Buch ist, nebenbei bemerkt, inzwischen Pflichtlektüre bei den amerikanischen Miltärführern, die in Afghanistan im Einsatz sind. Und angeblich nützt das dort auch was.

     

    Ein aktuelles interessantes halbstündiges Interview zu diesem Thema mit Greg Mortenson findet sich unter

    http://www.pbs.org/moyers/journal/01152010/watch2.html

  • V
    vic

    Diese Idee ist so unüberlegt und man sollte meinen, dass erwachsene, bestbezahlte Leute in Regierungsverantwortung in der Lage sind das auch zu erkennen.

    Ich denke das sind erste Anzeichen einer Kapitulation.

    Es wäre sehr zu begrüßen.