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taz-Serie „Soziale Stadt (8): TownhousesDie Stadt im Dorf lassen

In Kreuzberg und Prenzlauer Berg entstehen edle Projekte wie die „Prenzlauer Gärten“ und „Haus und Hof“. Bedeutet die neue Wohnkultur des Mittelstands ein mehr an Stadt - oder ein mehr an Provinz?

Online-Bewerbung der Townhouse-Siedlung Bild: prenzlauer-gaerten.de

Berlins dörflichstes Wohnungsprojekt findet sich in Kreuzberg. Ausgerechnet dort, wo die Nächte einmal lang waren, Autonome die Gegenmacht zur Staatsmacht erprobten und Multikulti erfunden und wieder in Zweifel gezogen wurde, hat eine Baugruppe im Blockinnern zwischen Mehringdamm, Kreuzbergstraße, Großbeerenstraße und Hagelberger Straße ihren Traum vom andern Leben in der Stadt verwirklicht.

„Haus und Hof“ heißt das Projekt, das der Kreuzberger Architekt Alois Albert initiiert hat. Fünf dreigeschossige Reihenhäuser - allesamt mit handtuchschmalem Garten und Dachterrasse - sowie ein Doppelhaus sollen für den Mix aus dörflichem Wohngefühl und urbaner Umgebung sorgen. „Wir sind Stadtmenschen und wollten nicht auf die grüne Wiese, sondern in Kreuzberg bleiben“, gab einer der Bewohner zu Protokoll, als die Stadtentwicklungssenatorin dem Projekt ihre Aufwartung machte. Ingeborg Junge-Reyer freute sich: „Unser Ziel ist es, jungen Familien ein Angebot zu machen, damit sie in der Stadt bleiben können.“

Haus und Hof“, „Marthashof“, „Prenzlauer Gärten“ - Berlins gehobener Wohnungsbau scheut den Euphemismus schon lange nicht mehr. Die „neue Urbanität“, die der inzwischen emeritierte Stadtsoziologe Hartmut Häußermann in den 80er Jahren ausgerufen hatte, ist einer neuen Gemütlichkeit gewichen. Die Kinder im Garten, das Glas Wein auf der Dachterrasse, Café, Theater und Museum gleich um die Ecke - das ist tatsächlich die neue Kollektion eines Lebensstils. Und eine klare Absage an Karl Kraus, der die Stadt vor Zeiten nüchterner gesehen hatte: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung und Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selber.“

taz-Serie "Soziale Stadt"

Das Schlagwort "Gentrifizierung" ist in aller Munde. Jahre nach der Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus wird wieder über Wohnungspolitik und soziale Stadtentwicklung diskutiert. Die taz widmet sich mit einer Serie dem Thema "Soziale Stadt". Wie funktioniert die Gentrifizierung? Und wie kann eine soziale Wohnungspolitik sinnvoll eingreifen?

Bereits erschienen sind unter anderem eine Bilanz der rot-roten Mietenpolitik (19. 12.), ein Text über Baugemeinschaften (23. 12.), eine Analyse der Hausbesetzungen (31. 12.), ein Plädoyer für Mietobergrenzen (15. 1.) und ein Text über das Quartiersmanagement im Brunnenviertel (22. 1.).

Nicht nur Politiker hoffen, dass die „Renaissance der Innenstadt“ dem Traum vom Reihenhaus auf der grünen Wiese Konkurrenz macht. Auch die Immobilienwirtschaft gibt sich viel Mühe, das Angebot der Nachfrage anzugleichen. Im alternativ gesettelten Prenzlauer Berg sind derzeit die „Winsgärten“ und der „Prenzlauer Bogen“ geplant, beides schicke, sich selbst genügende Wohnanlagen, die den Abstand zur umliegenden Stadt gar nicht erst dementieren, sondern ihn ausdrücklich betonen.

Weniger Gärten als vielmehr Pariser Lebensgefühl verspricht das mit reichlich Fassadenornament ausgestattete Projekt „Kolle-Belle“ am Kollwitzplatz. Schließlich wirbt, gewissermaßen als Höhepunkt neuen städtischen Lebensgefühls, der im Entstehen befindliche „Marthashof“ in der Schwedter Straße mit seinen „urban villages“. Stadt und Land am gleichen Ort? Nichts scheint mehr unmöglich.

Es sind vor allem die jungen Mittelschichtsbewohner, die den neuen Run auf die Stadt ausgelöst haben. Das hat Bernd Hallenberg herausgefunden. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung (vhw) hat als einer der ersten die Parameter der Immobilienwirtschaft mit denen der Milieuforschung abgeglichen. Das Ergebnis: Vor allem die Milieus der „Postmateriellen“, der „modernen Performer“ und der „Hedonisten“ zieht es in die neuen schicken Altbauviertel der Innenstädte - und in die neuen Townhouse-Projekte. Zurück auf der grünen Wiese bleibt die „bürgerliche Mitte“, die das Milieumodell von Sinus Sociovision zu den „Traditionalisten“ zählt. Und noch etwas hat Hallenberg herausgefunden. Die neuen Milieus der Mittelschicht wachsen. Schon heute machten Performer und Hedonisten ein Drittel der Stadtbevölkerung aus, Tendenz steigend.

Was aber bedeutet der neue Trend zum schicken Wohnen für das soziale Gefüge der Stadt? Die Antwort auf diese Frage führt unter anderem nach Prenzlauer Berg in die „Prenzlauer Gärten“. Nach dem Vorbild der Londoner Szeneviertel Notting Hill oder Kensington hat der Berliner Architekt Stephan Höhne 60 Reihenhäuser bauen lassen. Ganz in weiß stehen sie seit 2006 Spalier und geben einen Vorgeschmack darauf, wie sich der Stadtbürger von heute das Wohnen von morgen vorstellt: gediegen, aber nicht protzig, individuell, aber nicht marktschreierisch, zurückgezogen, aber nicht vom Schuss. 2.500 Euro pro Quadratmeter hat die Zukunft des Wohnens gekostet; für viele, die zugegriffen haben, fast ein Schnäppchen.

Dafür nehmen sie auch das Tor in Kauf, dass die beiden Kopfbauten am Eingang der „Prenzlauer Gärten“ vom Rest der Stadt trennt und dem ganzen, wiewohl immer offen, einen Hauch von Gated Community verleiht. Manch ein Bewohner ist darum so sehr im Zwiespalt, dass er auf die Frage nach dem Tor nur noch gereizt antwortet: Gated Community? Wovor sollen wir uns schützen? Etwa vor den Bewohnern in Prenzlauer Berg? Hier sind doch alle gleich.

Weniger junge Familien mit Kindern als besserverdienende Doppelverdiener sprechen die „urban villages“ in „Marthashof“ an. „Kann man gleichzeitig in der Stadt und auf dem Land leben?“, fragen die Investoren in ihren Prospekten. Ihre Antwort: Ja, in „Marthashof“ natürlich, der verspreche schließlich „Lebensqualität ohne Kompromisse“.

Was wie einst Tucholskys „Vorne die Friedrichstraße, hinten die Ostsee“ klingt, soll im März an den Markt. In einem repräsentativen Showroom lassen sich die „urban villages“ schon begehen. Anders als bei den Townhouses am Friedrichswerder oder den „Prenzlauer Gärten“ entstehen keine gestapelten Reihenhäuser, das Dorf entpuppt sich vielmehr als solider Geschosswohnungsbau. Wer nach unten zieht, freut sich über einen Garten, drüber blickt man vom Balkon oder Wintergarten auf den Dorfplatz, und wer sich das Penthouse leisten kann, kann sogar die ganze Stadt in Augenschein nehmen. Ab 2.900 Euro pro Quadratmeter beginnt das Dorfleben in „Marthashof“.

„Die Prenzlauer Gärten“, „Marthashof“ oder der geplante „Prenzlauer Bogen“ sind der Prototyp des neuen Wohnens in der Stadt - viel eher noch als die Townhouses am Friedrichswerder oder die Luxuswohnungen für mehr als 10.000 Euro pro Quadratmeter im Beisheim Center am Potsdamer Platz. Damit scheinen all diejenigen Recht zu bekommen, die statt einer Renaissance der Stadt deren Provinzialisierung befürchten. Schließlich unterscheiden sich neue Stadtquartiere vom Bestand nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Anspruchshaltung ihrer Bewohner. Im Bestand gehört der Kompromiss - Lärm, Gewerbe, Parkplatzsuche - dazu, im neuen Quartier ist man kompromisslos. Damit hält tatsächlich der Traum vom kleinbürgerlichen Leben Einzug in die Stadt. Suburban beauty mitten in Berlin.

Auch die Stadtsoziologin Christine Hannemann sieht in der neuen Wohngemütlichkeit eine Provinzialisierung. „Im Prenzlauer Berg“, sagt sie aber, „ging es schon vorher provinziell zu“. Sozial und kulturell entwickele sich der Bezirk aus der Stadt heraus. Einst typisch gemischtes Altbauquartier ist der Prenzlauer Berg längst zum homogenen Quartier der alternativen Mittelschicht geworden, eine Art schwäbisches Muschterbezirkle in grün. „Nicht die Prenzlauer Gärten oder Marthashof sind provinziell“, so Hannemann, „es ist der ganze Bezirk.“

Ganz anders dagegen Kreuzberg. Mag dort mit der Baugruppe „Haus und Hof“ auch das dörflichste Wohnprojekt Berlins entstanden sein - von Provinzialität ist in Kreuzberg keine Spur, meint die Soziologin. Selbst die „Car Lofts“ in den Paul-Lincke-Höfen, die den Eigentümern die Chance geben, ihren Porsche im vierten Stock auf dem Balkon zu parken, könnten daran nichts ändern. „Die heterogene Bevölkerung und die hohe Zahl von Migranten prägen Kreuzberg mehr als solche Projekte.“

Man kann es auch anders sagen: Dort, wo die Stadt stark ist, kann ihr ein bisschen Provinz nichts anhaben. Wo die Stadt schon provinziell ist, gibt es auch keine Renaissance der Städte.

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3 Kommentare

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  • KK
    Karla Kater

    Lieber Michael Fink,

    im Stadt monitoring sind mehr als ein fünftel des Stadtgebietes unterdurchschnittlich.

    Wenn Du mal im Immobilienteil Kreuzbergs nach Eigentumswohnungen suchst und die Angebote zählst, würdest Du den Artikel von Rada nicht auf Car Loft reduzieren (Bsp Fichtebunker, Baugruppe Urban und vieles mehr oder auch www.graefekiez.de). Insofern etwas mehr Realität!

    Unsere Häuslebauer der Mittelschicht beweisen geraqde in Ihrer Arroganz keine soziale Ausgewogenheit. Der Mythos der sozialen Mischung ist verblasst, s.auch

    http://gentrificationblog.wordpress.com/2009/07/29/mythos-soziale-mischung/

  • MF
    Michael Fink

    Kreuzberg ist gut, weil dort der linksalternative Car-Loft-Snob durch einen Kontrast-Migranten neutralisiert wird, der im Prenzelberg fehlt: So könnte man die - nicht neue - These Radas zusammenfassen. Schade, dass der Exil-Musterländler und Prenzerlberger Mittelschichtler nicht im neuen Stadtmonitoring stöberte, um festzustellen, dass der vermeintliche Provinz-Kiez in puncto Status immer noch unterdurchschnittlich ist: Mehr Arbeitslose, mehr Hartz-4-Kinder als im Berlin-Schnitt. Es ist ziemlich billig, anhand dreier Prestige-Loft-Projekte, von denen zwei nur als Bauschild existieren, einen kompletten Ortsteil als "provinziell" abzustempeln. Vor allem erschreckt, dass durch solche Gedankenkonstrukte die linksalternative Mittelschicht, (wenn sie nicht zufällig Kreuzberger ist), zum Urheber von Verdrängung und Mietwucher erklärt wird.

    Wirklich provinziell finde ich eher eine sich hierbei offenbarende Denke, die nicht ohne Klischees auskommt.

  • B
    beinhart

    Ich stehe der Wohnform "Townhouse" grundsätzlich ablehnend gegenüber.

    Innerhalb des S-Bahn-Rings in Berlin ist der Wohnraum bereits knapp und er wird noch knapper. Die freien, bebaubaren Flächen sollten entsprechend optimal genutzt werden. Wenn man als "Benchmark" die in Berlin übliche 4-Geschoss-Mietskaserne nimmt, dann ist die Flächenausnutzung (also Ertrag an Wohnfläche / Quadratmeter bebauten Bodens) relativ gesehen schlechter. Mag sein, dass sie im Vergleich zu Vorort-Bungalows Grund und Boden besser ausnutzen. Aber diese stehen nicht ohne Grund in Vororten mit weniger Flächenknappheit. Gegenüber genossenschaftlichem Siedlungsbau und Hochhäusern dürften sie trotz niedrigeren Abständen zwischen den Gebäuden weniger effizient bei der Flächenausnutzung sein.

     

    Ganz verhindern kann man diese Form der Stadtsegregation und Gentrifizierung wohl nicht, solange Fläche meistbietend verhökert wird.

    Wohl aber wäre es möglich, das Instrument der Grundsteuer zu nutzen, um den Bewohnern solcher Townhouses für ihren im Vergleich zum "Benchmark" höheren Flächenverbrauch in einem von Übernachfrage nach Wohnraum gekennzeichneten Gebiet (innerhalb des S-Bahn-Rings) einen entsprechenden Nutzungsentgelt abzunehmen. Dies würde nach meiner Vorstellung bedeuten: Jemand, der im Townhouse z.B. lebt, das durch niedrigere Geschosszahl etc. aus einer gegebenen Grundfläche 1 / 4 des Wohnraums einer Berliner Mietskaserne herausholt, wird dementsprechend mit mindestens 4x höherer Grundsteuer belastet.

     

    Im Endeffekt sollte die erhöhte Grundsteuer bei potenziellen Townhouse-Käufern ein deutliches Signal setzen, die negativen externen Effekte dieses Ego-Trips zu überdenken.

    Wer in der Stadt wohnen will, sollte das ganz oder gar nicht tun. Wer das Townhouse will, hält viele andere davon ab, in der Stadt zu wohnen, die bereit wären, mit einer Wohnung in einem auf entsprechender Fläche gebauten Mehr-Parteien-Haus auszukommen.