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100 Tage Jamaika-KoalitionIm Saarland grünt die Politik

In 100 Tagen Jamaika-Koalition im Saarland haben die Grünen viel erreicht. Doch mehr als über die Erfolge wird über zwei Untersuchungsausschüsse geredet.

"Fluch der Karibik"? Jamaika-Fahne aus Smarties. Bild: dpa

"Vielleicht stimmt da ja was mit Deinem Gefühl nicht", heißt ein Werk von Loriot, das am Aschermittwoch vom alternativen "Stadttheater" für die Saar-Grünen und ihren Chef Hubert Ulrich aufgeführt wird. Aber aktuell stimmt mit dem Gefühl von Ulrich fast alles. Nach 100 Tagen Jamaika an der Saar dürfen sich allein die Grünen als Gewinner feiern lassen.

Sie haben schließlich bereits zwei ihrer Wahlversprechen realisieren können: Allgemeine Studiengebühren wurden abgeschafft. Allerdings müssen jetzt rund 12 Millionen Euro für die Hochschulen aus der chronisch leeren Schatulle des Landes ersetzt werden. Am ersten, nach Auffassung der Oppositionsparteien längst überfälligen, Haushalt der Koalition wird immer noch herumgebastelt.

Auch beim Nichtraucherschutz haben sich die Grünen voll durchgesetzt, was nicht allen beim Koalitionspartner FDP gefallen hat. Im Saarland gilt nun das härteste Nichtraucherschutzgesetz der Republik.

Doch mehr als über die Erfolge der Grünen und damit auch der Koalition wird im Saarland über zwei Untersuchungsausschüsse geredet. Im ersten geht es um die mutmaßliche Einflussnahme des Kreisvorsitzenden der FDP Saarbrücken, Hartmut Ostermann, auf die Regierungsbildung an der Saar. Und um die damit möglicherweise verbundene Einstellung von gleich fünf Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung gegen den Unternehmer Ostermann während der Sondierungs- und Koalitionsgespräche im Herbst 2009. In einem der Unternehmen Ostermanns hatte Grünen-Chef Ulrich jahrelang nebenberuflich gearbeitet - für 1.500 Euro netto im Monat.

Der zweite Untersuchungsausschuss soll klären, wie es zur Kostenexplosion beim Bau der Freizeitanlage "Gondwana" kommen konnte. Noch von der vorigen Landesregierung beschlossen und von Ministerpräsident Peter Müller (CDU) als "Leuchtturmprojekt" gefeiert, kostet der Park heute Geld.

Doch FDP-Wirtschaftsminister Christoph Hartmann kümmert sich offenbar mehr um seine jüngste private Firmengründung in der Erotikbranche in Luxemburg als um seinen Job im Kabinett.

Linken-Chef Rolf Linsler spricht von "100 Tagen Gemurkse". Unter anderem, weil noch nicht klar ist, ob die Regierung Müller die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Reformen in der Bildungspolitik, für die eine Verfassungsänderung notwendig ist, im Landtag überhaupt durchsetzen kann. Denn auch die SPD müsste dafür stimmen. Und der Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD, Heiko Maas, bezeichnet den "Jamaika-Chaos-Club" als "Fluch der Karibik".

Die Generalsekretäre der Koalitionsparteien hielten am Dienstag dagegen: Maas sitze doch nur noch "in der Schmollecke".

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11 Kommentare

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  • A
    axel

    Die innerparteiliche Kritik bei den Grünen sollte in der taz die lobhudelnde Berichterstattung zumindest ergänzen, wenn nicht sogar in Frage stellen:

     

    "Ostermann-Spenden sind Aushängeschild für fehlende innerparteiliche Transparenz"

     

    Ausführlicheres zur Stellungnahme des Aktionsbündnisses Sonnenblume findet Mensch hier:

    http://ab-sonnenblume.blogspot.com/

     

     

    Zum Selbstverständnis des Aktionsbündnisses Sonnenblume siehe ebenfalls dort:

    "Das Aktionsbündnis Sonnenblume setzt sich für mehr Demokratie und Transparenz innerhalb der saarländischen Grünen ein. Wir stehen allen Mitgliedern von Bündnis 90/Die Grünen und der Grünen Jugend offen, die an einer Mitarbeit interessiert sind...."

  • G
    Grüner

    Wen interessiert es ob nun Jamaika oder Rot-Rot-Grün die Studiengebühren kippt? Denkt ihr dass schmeckt den Studenten jetzt schlechter weil es in einem Jamaika Bündnis beschlossen wurde? Oder freuen sie sich nicht in jedem Fall darüber dass die sozial ungerechten Bildungsgebühren jetzt endlich weg sind ?

     

    Außerdem hätte man eine entscheidene Sache in einer Rot-Rot-Grünen Koalition nicht haben können nämlich die Schulreform die ein Jahr längere Grundschulzeit und die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen neben dem Gymnasium vorsieht.

     

    Für mich als Grünenwähler ist längeres gemeinsames Lernen einer der wichtigsten Programmpunkte. Im Saarland ist dies aber nur mit einer Verfassungsänderung durch eine 2/3 Mehrheit durchsetzbar. In der Opposition hätten CDU und FDP gegen jede Vorlage zur Änderung des Schulgesetzes gestimmt wenn sie von Rot-Rot-Grün gekommen wäre und dann hätte man sich dort jede Schulreform in die Haare schmieren können.

     

    Dadurch dass aber SPD und Linke in der Opposition sind und programmatisch auch für Reformen im Bildungswegen wie sie die Grünen fordern stehen ist die Chance groß dass die 2/3 Mehrheit zustandekommt. Außer natürlich SPD und Linke verkriechen sich in der Schmollecke weil sie den Korb kriegten.

     

    Zur Koalition allgemein sei nochmal folgendes gesagt: Den Grünen geht es in erster Linie um ihre Inhalte und ihre Kernthemen. Nach den Sondierungsgesprächen war für sie klar dass sie sowohl bei Jamaika als auch bei Rot-Rot-Grün ihre Kernforderungen durchkriegen (außer der o.g. Schulreform bei Rot-Rot-Grün da hierfür wie gesagt die 2/3 Mehrheit fehlt). So war weitestgehend ein inhaltlicher Gleichstand erreicht und sie haben sich letztens Endes für ein Bündnis entschieden was ihnen stabiler erschien.

     

    Wenn die Linke mit den Grünen regieren will dann sollte sie zuerst einmal nicht so einen hetzerischen Wahlkampf gegen sie veranstalten wie das Lafontaine gemacht hat. Solche Attacken gegen die Grünen gab es von schwarz-gelber Seite nunmal nicht was sicher auch ein Grund für die Jamaika Entscheidung war. Und da wie gesagt viele grüne Inhalte auch in dieser Koalition umgesetzt werden kann eigentlich kein Grünenwähler unzufrieden sein.

     

    Allgemein würde mich freuen wenn solche Debatten mal mehr um Inhalte geführt werden und nicht unbedingt nur auf ideologischer Ebene nach dem Motto man sei jetzt einen Pakt mit dem Bösen eingegangen weil man mit den schwarz-gelben regiert und jetzt sind die Grünen damit auch böse auch wenn sie noch soviel grüne Inhalte durchsetzen.

  • R
    robert

    ich habe das ungute gefühl, die taz wünsche sich eine schwarz-grüne regierung auf höherer ebene. ich freue mich zwar sehr über die abschaffung der studiengebühren und das neue nichtraucherschutzgesetz, doch genau diese erfolge und deutlich mehr hätte es mit rot-rot-grün an der saar auch geben können!

  • TS
    Thomas Schäfer

    Ich sehe nicht, woher der Autor die Erkenntnis gewonnen hat, dass im Saarland die Grünen viel erreicht hätten; wenn ich am Wochenende nach Hause ins Saarland komme erkenne ich dies sofort an der Vielzahl zusätzlicher Tempo 100 Schilder auf unserm Asphalt- Acker, genannt Autobahn.

    Positiv ist aus meiner Sicht nur der Nichtraucherschutz zu vermerken; ansonsten haben auch die Grünen beim Aufblähen des Regierungsapparats durch 1 zusätzliches Ministerium ihren Anteil; d.h. auch sie helfen Geld rauszuwerfen, wo gar keines mehr ist. Die Abschaffung der Studiengebühren ist auch sinnvoll; nur fehlen dem quasi bankrotten Land nun diese Einnahmen. Was aber fehlt ist die Antwort auf die zentrale Frage: wie kann der Haushalt saniert werden. Wirtschaftspolitisch sind die Grünen schlicht unterbelichtet

  • F
    fireclay

    So so, viel erreicht. Grüne Kernthemen Studiengebühren und Nichtraucherschutz, dafür haben wir in den 80er Jahren diese Partei unterstüzt und groß werden lassen, die Rechte der nichtrauchenden Kneipenangestellten sind besonders wichtig, wegen dem Gesundheitsschutz, das die Probleme der Leute mehr in einer gerechten Bezahlung liegen wird dabei totgeschwiegen. Das ganze sind lediglich Alibierfolge die suggerieren sollen das die Grünen noch eine eigenständige Partei sein sollen. Gerade die TAZ lobt jeden grünen Furz über den grünen Klee und weigert sich beharrlich sich mit den Grünen auseinander zusetzen. Ganz anders als bei den Linken, da wird keine Gelegenheit ausgelassen um diese Partei als chaotisch und inkompetent darzustellen. Der Grüne Ursurpator vom Saarland hat ja einige fähige Grüne zu den Linken getrieben, die anderen Scandale und Wahlbetrügereien(Wir wollen Müller weg haben) werden in dem "haste mal Zeitung" Blatt überhaupt nicht thematisiert. Ich ärgere mich noch heute das ich mal vor 20 Jahren die TAZ aboniert habe, da ich eine frei kritische und nicht reaktionäre Zeitung unterstützen wollte, kein neoliberales Vorwärts in die Vergangenheit Blatt. Von mir aus weiter so.

  • A
    avelon

    Zweites Standbein eines Wirtschaftsministers im Saarland (zum Wohle des deutschen Volkes, Schaden von ihm nehmen ...)in Luxemburg, ausgerechnet in der Erotikbranche?

     

    Deutschland, eine Bananenrepublik.

  • KS
    kleiner Spinner

    Wunderbar! Der faule Apfel Studiengebühren ist nun doch noch vom Baum gefallen und das Politikpflaster Nichtraucherschutz mildert den Fortschrittsentzug. Danke, Grüne!

  • V
    vinsebecker

    "Im Saarland gilt nun das härteste Nichtraucherschutzgesetz der Republik."

     

    da ist die taz wahrscheinlich auch noch sehr stolz drauf!

    als ex-grünen wähler dünkt mir,daß die grünen ebenfalls zu einer verbots und "reform" partei mutieren,denn schließlich lockt ja schwarz-grün in nrw und vielleicht ja mal im bund.

    das grüne ideal aus den 80/90igern von einer toleranten gesellschaft ist jedenfalls im saarland den machtgelüsten eines einzelnen geopfert worden-

    aber gut das es noch alternativen gibt.

  • R
    rolfmueller

    Warum schreibt die taz eigentlich auf Biegen und Brechen schwarzgrüne Koalitionen herbei? Die beiden genannten Wahlversprechen wären auch von rotrotgrün gehalten worden.

    Die Grünen im Saarland haben ihre Wähler beschissen, und wenn das die taz anders sieht, dann muss sich sich einen neuen Leser suchen.

  • S
    safavi

    Ich hätte gerne eine Verifizierung zur Aussage über den Wirtschaftsminister. Wenn ich seinen Namen, dazu Luxemburg und/oder Erotik google, kommt außer diesem Artikel nichts. Aber vielleicht weiß K.-P. Klingelschmitt mehr?

  • I
    iBot

    Ich hoffe, die SPD wird sich hüten, gegen die Abschaffung der Studiengebühren zu stimmen. Im Sinne der Partei, ihrer Wähler und der Studenten im Saarland. Alles andere wäre niemals vermittelbar.