Blockade-Training für den 1. Mai: "Unterhaken! Unterhaken!"
Beim öffentlichen Blockadetraining auf dem Bebelplatz in Berlin üben Demonstranten den Einsatz gegen den Neonazi-Aufmarsch in Prenzlauer Berg
Erst zählt man die kleine Ansammlung Menschen zu den Touristengruppen, von denen an diesem sonnigen Samstagmittag zahlreiche über den Bebelplatz in Mitte schlendern. Doch als ein Mann mit Megafon in Erscheinung tritt, setzen sich die Frauen und Männer eng nebeneinander auf den gepflasterten Boden. Dann werden Pappschilder verteilt, auf denen ein durchgestrichenes Spielzeugmännchen mit Hitlerbart zu sehen ist.
"Machen wir uns ein bisschen warm", ruft der Mann mit dem Megafon. "Von A nach B kommen ist ja ein Teil des Spiels. Deshalb bewegt euch doch bitte mal hier rüber und setzt euch dann wieder." Die Sitzenden erheben sich, huschen schnell fünf Meter weiter und lassen sich wieder geschlossen nieder. "Unterhaken! Unterhaken!", fordert einer. Ein paar Touristen blicken von ihren Reiseführern auf und staunen mit offenem Mund.
Henning Jansen heißt der Mann mit dem Megafon. Der 30-Jährige ist Aktivist der linken Gruppe Avanti. Er trainiert Demonstranten an diesem Sonnabend für die Blockade des für den 1. Mai in Prenzlauer Berg geplanten Aufmarschs von Neonazis. Öffentliches Probesitzen wird die Aktion genannt. Für wen sie vor allem gedacht ist, verdeutlichen die Fotografen mit Riesenobjektiven, deren Zahl fast an die der Sitzenden heranreicht. "Man könnte es auch Pressekonferenz im Freien nennen", wird Jansen später erklären. Avanti ist Teil des Bündnisses "1. Mai Nazifrei", das bereits 2009 mehrere tausend Blockierer gegen ein Treffen der Rechten mobilisiert hat.
"Massenblockaden haben sich in den letzten Jahren zu einer sehr erfolgreiche Erscheinung entwickelt", sagt Jansen zu den rund 30 Menschen vor ihm. Leute aus dem bürgerlichen Spektrum hätten die Blockaden genauso für sich entdeckt wie Menschen aus der radikalen linken Szene. "Durch den massenhaften zivilen Ungehorsam entsteht politischer Druck, der es schwerer macht, uns einfach von der Straße runterzuspritzen." In Anspielung auf Schauplätze größerer Demonstrationen und Blockaden aus der jüngsten Vergangenheit fährt Jansen kämpferisch fort: "Seit Jena, seit Heiligendamm, seit Dresden haben wir wieder die Möglichkeit, den Nazis die Straße streitig zu machen."
Der Bebelplatz wurde bewusst für das Treffen ausgewählt. An diesem Ort, gegenüber der Humboldt-Universität, verbrannten am 10. Mai 1933 zehntausende Anhänger der Nationalsozialisten Bücher "undeutscher" Autoren. 77 Jahre später wollen die Nazis gut vier Kilometer von hier entfernt durch Berlin marschieren: Vom S-Bahnhof Bornholmer Straße in den Prenzlauer Berg. Ob sie dahinkommen, wird im Wesentlichen von der Menge der Blockierer abhängen. Und davon, wie die Polizei gegen sie vorgehen wird.
Auch wenn sie alles andere als gefährlich aussehen, werden die übenden Blockierer von Jansen auf Probleme mit der Polizei eingestimmt. Die sei angewiesen, genehmigte Demonstrationen zu schützen, und mache da auch bei Neonazis keine Ausnahme. "Polizisten stellen für uns aber kein grundsätzliches Hindernis dar. Wir werden einfach durch ihre Reihen durchgehen. Denn eine Blockade ist keine Straftat. Höchstens eine Ordnungswidrigkeit."
Heiter geht es zu, als Jansen und andere Aktivisten das "Equipment" vorführen, das Blockierer am 1. Mai nicht vergessen sollten: etwa Mütze, Sonnenbrille, Sonnencreme und - "ganz wichtig" - Wasser. "Zum Ausspülen von Pfefferspray, falls es ein paar Polizisten mit der Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht so ernst nehmen." Einpacken sollte man laut Jansen außerdem eine Gala oder anderen Lesestoff zur Zerstreuung, einen Stadtplan, eine Trillerpfeife und eine Regenjacke ("Vorbeugung gegen den übertriebenen Einsatz von Wasserwerfern"). Nach gut 30 Minuten endet das Probesitzen, und Jansen steht für Fernsehinterviews zur Verfügung.
Sebastian K. erhebt sich zufrieden vom Pflaster. Der 45-Jährige hat schon oft demonstriert, auch ein paar Blockadetrainigs hat er bereits mitgemacht. "Ich finde, man kann sich damit ganz gut emotional auf die Blockade vorbereiten."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen