: Die konformistische Rebellion
KRITIK Jeder führt es im Munde, kaum einer weiß, was es heißen soll: Political Correctness. Deswegen fühlen sich viele von ihr bedroht
Populär ist das Geschimpfe auf die Political Correctness nicht nur hier, sondern auch da, wo sie herkommt: in den USA. Der erste Anstoß zur populistischen Denunziation einer angeblichen moralischen Diktatur kam aus den Thinktanks der Reagan-Revolution: Man wollte den Amerikanern weismachen, die Protestbewegungen der 60er Jahre seien von den Straßen verschwunden, weil sie auf ganzer Linie gesiegt hätten und ihre Protagonisten jetzt in Regierungsämtern säßen oder an der Spitze von Medienkonzernen stünden. Die Universitäten hätten sie sowieso mithilfe der affirmative action unterwandert.
Was ursprünglich ein Witz gewesen war, wurde nun für ernst genommen – der weiße, heterosexuelle, Fleisch essende Mann sei schon eine bedrohte Minderheit. In der Tat kommt die Bezeichnung PC aus dem Arsenal der universitären Linken, die sich in den 70ern von der Straße ab- und den Universitäten zugewandt hatte. Unterschiedliche Gruppen, allen voran African Americans, Native Americans und Frauen, artikulierten Ansprüche vorrangig an die Bildungsinstitutionen, ihrem Auftrag einer Bildung für alle gerecht zu werden. Aus gutem Grund wollten sie nicht mehr Neger, Rothäute oder blonde Dummchen genannt werden. Aus diesen Konflikten entstand der ironische Ausdruck „politically correct“, der für Unterdrückungsmechanismen sensibilisieren sollte.
Vom „Glanz“ der Political Correctness, die Michael Dustini und Thomas Edlinger zu untersuchen versprechen, bleibt leider nur wenig übrig, eher vom „Elend“ – das liegt an einer Akzentverschiebung: von den Konflikten zur Benennung der Konflikte. Sie halten „Anführungsstriche“ für das Signum eines „sozialen und psychosozialen Sprachspiels“. In Wirklichkeit deuten Anführungsstriche auf ein Scheitern der Political Correctness; denn der unreflektiert akzeptierte traditionelle Ausdruck sollte durch einen richtigen neuen ersetzt werden – statt „Neger“ oder „Schwarze“ African Americans, eine Bezeichnung, in der sich das Selbstbewusstsein einer Gruppe ausdrückt.
Tabus, die keine sind
Wie wenig Dusini und Edlinger der Sache selbst auf den Grund kommen, zeigt sich darin, dass sie die Präsidentschaft Obamas für einen oberflächlichen Sieg der Political Correctness halten, den sie dann mit dem alten, etwas abgetakelten Bürgerrechtler Jesse Jackson als Pyrrhussieg heruntermachen. Sie sehen gar nicht, dass Jackson für eine Gruppenlobbypolitik der African Americans steht und Obama versucht, über Lobbyinteressen hinaus Sklaverei- und Migrationsgeschichte, die eben auch seine eigene ist, zusammenzubringen. Die Lebensgeschichte Obamas weist ihn gar nicht als African American aus; eine typische eurozentrische Fehlwahrnehmung, die alle Schwarzen der USA für umgetaufte Neger hält.
Der Aufstand gegen die angebliche Diktatur der Political Correctness ist Teil einer konformistischen Rebellion, die mutig Tabus bricht, die von der kompakten Majorität gar nicht verteidigt werden. Mit dem Gestus „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“ werden offensichtlich beleidigende und rassistische Äußerungen getan, gestützt von einer Medienlandschaft, die den Tabubruch für eine zivilgesellschaftliche Tugend hält.
Dusini und Edlinger streben in ihrem Essay eine Äquidistanz zu den Sarrazins wie zu sprachsäuberischen Gutmenschen an. Als erfahrene Medienarbeiter sollten sie wissen, dass man sich um sprachliche Entscheidungen nicht mit dem Hinweis auf ein paar Idioten auf der einen oder anderen Seite herumdrücken kann. „Worte sind auch Taten“, sagt Hegel, beileibe kein Dekonstruktivist. DETLEV CLAUSSEN
■ Mathias Dusini, Thomas Edlinger: „In Anführungszeichen. Glanz und Elend der Political Correctness“. Suhrkamp 2012, 297 S., 16 Euro
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