Schulreform in Wartburgschule: Das Konzept lebt
Die beste deutsche Schule will über die 4. Klasse hinaus gehen: Künftig soll in der Wartburg-Grundschule in Münster bis zur Zehnten gelernt werden.
Lorena ist Viertklässlerin. Und schon so etwas wie eine Erfinderin. Als Lorena sich beim Parlament der Wartburg-Grundschule vor zwei Jahren zu Wort meldete, ahnte keiner, was sie auslösen würde. "Auf der Wartburg-Grundschule auch nach der 4. Klasse bleiben zu können, das fänd ich schön", sagte Lorena im Schulparlament.
Zunächst gab es rauschenden Beifall. Dann kamen Gisela Gravelaar und Bettina Pake von der Schulleitung ins Grübeln. Denn das, was Lorena ihnen als demokratischen Auftrag servierte, war ja eh ihre Idee. Wieso muss Schule in der vierten Klasse aufhören - obwohl sie schön ist?
Nun bekam die Münsteraner Schuldezernentin Andrea Hanke ein 32 Seiten starkes Konzept in die Hand gedrückt. "Leben und Lernen in einer Schule von Jahrgang 1 bis 10" steht darauf. Es ist ein Papier, das die Stadt Münster nicht so ohne Weiteres wird zurückweisen können. Denn die Wartburg-Grundschule ist nicht irgendeine Winkelschule, sondern derzeit die beste deutsche Schule, ausgezeichnet durch den Bundespräsidenten mit dem Deutschen Schulpreis.
In die Schule pilgern seit 2008 Besuchergruppen, um die nach Kontinenten benannten Lernhäuser anzusehen. Oder die offene Bibliothek zu bestaunen, in der sich die Kinder ab der ersten Klasse Bücher ausleihen oder sie direkt dort lesen können. "Das steht auf sehr soliden Beinen", sagte Hanke der taz, "wir werden versuchen, das in unseren Schulentwicklungsplan einzubauen."
Schulleiterin Gisela Gravelaar, die seit Lorenas Auftrag nicht ruhte, ehe sie ein Konzept fertig hatte, sieht es so. "Unsere Erfahrungen und nicht zuletzt der Schulpreis ermutigen uns, das Konzept der Wartburg-Grundschule auch in die Sekundarstufe zu übertragen und weiterzuentwickeln." Wartburg-typisch entwickelte die Schule ihr Konzept superdemokratisch: Die Kinder wurden einbezogen, die Eltern, Profis der Schulentwicklung, insgesamt 50 Experten äußerten sich. Heraus kam etwas, was in vielen Schulkonzepten heute bereits steht: eine inklusive Schule, die jahrgangsübergreifend arbeitet, eine gebundene Ganztagsschule mit einem demokratischen Anspruch ist und die ihre Lehrer in sogenannten Hausteams organisiert. Der Unterschied zu den vielen Hochglanz-Schulprogrammen, die es bereits gibt, ist der: An der Wartburgschule kann man sich sicher sein, dass das Konzept lebt. "Die neue Schule ermöglicht den SchülerInnen am Ende der Jahrgangsstufe 10 alle Abschlüsse der Sekundarschule I", verspricht Gravelaar.
Die Frage ist freilich nicht nur, was die Schulleiterin verspricht, sondern was das Land und die Kommune halten können. Mit der Wartburgschule beginnt nämlich der Reigen einer Art zivilen Ungehorsams - denn was die Schule will, gibt es noch nicht recht im Schulgesetz. Nur: Während man bislang die gleichfalls in Münster liegende Gemeinschaftsgrundschule Berg Fidel oder die Grundschule Pannesheide in Herzogenrath vom Land aus mehr oder weniger blockierte, geht das bei der Wartburgschule nicht so ohne Weiteres. Kann man eine Schule stets als die beste des Landes hofieren - und ihr dann eine beinahe naturwüchsige Erweiterung verwehren?
Inzwischen sind die Dinge vor Ort ohnehin ins Rollen gekommen. "Man gibt engagierten Kräften die Freiheit, anders Schule zu machen - und erfolgreicher", berichtet Reinhard Stähling von Berg Fidel. Und auch Monika Wallbrecht aus Herzogenrath findet viel Entgegenkommen auch von CDU-Leuten wie Bürgermeister Christoph von den Driesch.
Bange Blicke gehen lediglich Richtung Düsseldorf. Welche Landesregierung entsteht dort? Alle möglichen Konstellationen sind für Schulreformen im Grunde nicht ideal: Kommt die große Koalition, erwartet niemand große Fortschritte. Kommt Rot-Rot-Grün, könnte es sein, dass die CDU gegen integrative Schulkonzepte mobilisiert - auch wenn sie sie in den Kommunen längst selbst praktiziert.
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