Kunst mit doppeltem Boden: HeldInnen der Selbstdarstellung
Realsozialistische Motive mit irritierenden Details, der neue Turbo-Kapitalismus in beinahe propagandatauglicher Form: Die Hamburger Deichtorhallen zeigen Bilder des ukrainischen Fotografen Sergej Bratkov.
Was du festhalten willst, das entzieht sich: Das wussten schon die alten Chinesen in ihrem Tao, dem Buch des ewigen Wandels. Auch die Stoiker haben Ähnliches über das Glück gesagt. Ein bisschen trifft dieses Sich-Entziehen - in diesem Fall: dasjenige der Geschichte - auch auf die Fotos von Sergej Bratkov zu: Realsozialistische Motive hat der Ukrainer abgelichtet, Soldatinnen in Hab-Acht-Stellung, Stahlarbeiter, Waisenhaus-Kinder, Letztere in Schwarzweiß. Das alles wirkt wie eine Beschwörung der Vergangenheit - aber der Schein trügt.
Da ist einerseits die Methodik, die das alles als Inszenierung entlarvt: Nicht nur hat Bratkov, geboren 1960, die sozialistischen HeldInnen des Militärs und der Arbeit stilisiert wie fürs Hochglanzmagazin. Auch hat er die Soldatinnen aus nächster Nähe fotografiert und sie individueller, schöner gemacht, als alle offiziösen "Heldinnen der Arbeit" es je waren. (Hätten die damals eigentlich auch schon so schöne Armbanduhren und schimmernden Lippenstift getragen?)
Auch seine Stahlarbeiter, überlegen auf den Fotografen herunterschauend und im - in der kommunistischen Propaganda so beliebten - Morgenlicht fotografiert, zitieren vergangene Formen, sicher. Aber sie sind für wirkliche Eins-zu-Eins-Kopien eben allzu perfekt inszeniert: Ja, hier gibt es Helden zu sehen - aber eher solche der Selbstdarstellung als der Arbeit. Süffisant spielt der Fotograf mit beinahe barocken Lichtkontrasten, dabei sind diese Männer doch vor allem eins: Fossilien, fotografiert im Jahr 2003.
Einige Jahre später, hat Bratkov eingeräumt, existierte dieser Typus nicht mehr: Aus "Helden" waren normal bezahlte Arbeiter geworden. Feine Ironie der Geschichte übrigens, dass sich dieser Typus erst nach Ableben des zugehörigen politischen Systems so detailliert fotografieren lässt. Bratkov spielt mit diesen hergebrachten Posen, überhöht sie - und das so sehr, dass seine Bilder im Westen weit beliebter sind als in Russland.
Andererseits bietet ihm auch der ganz normale postkommunistische Alltag Chancen zu spielen: 1997 baten US-amerikanische Adoptiveltern Bratkov, Waisenkinder zu fotografieren. Er nutzte die Begegnung für eine auch künstlerische Inszenierung der Kinder als Menschlein, die fast so abgeklärt schauen wie die Erwachsenen. Ebenso wie jene rauchenden, verführerisch sich räkelnden Kinder, die von ihren Eltern fürs Model-Shooting hergerichtet wurden. Bekleidung und Ambiente, trotz aller erkennbaren Ambition ärmlich, spiegeln die Verzweiflung zwischen Geldmangel und den vorgeblich unbegrenzten Möglichkeiten des Kapitalismus.
Ob mehr oder weniger subtil: Die Suche nach einer neuen Identität, nachdem das alte System zusammengebrochen ist, ist immer wieder ein Thema für Sergej Bratkov. Er hat dabei, das steht fest, einen Blick auch fürs Absurde. "Princess" heißt etwa eine Serie, die Frauen mit Kinderwunsch zeigt: Auf Stühlen sitzen sie, die Strumpfhose heruntergezogen, im Schoß eine Glasschale mit dem Namen des erwünschten Samenspenders. "Prince Charles" und "Leopold III" steht da, und das ist wohl kaum ernst gemeint, steht vielmehr für Unerreichbarkeit des Glamour.
Kurz nach dem Untergang des Atom-U-Boots "Kursk" im Jahre 2000 ließ Bratkov vormalige Seeleute im Altersheim posieren, in Matrosenkleidung. Ein traumatischer Moment erfährt da eine so bizarre wie mit Bedacht inszenierte Geste des Gedenkens. Und gleich noch mitabzulesen: der Fall einer weiteren Facette nationaler Identität, nämlich der Unfehlbarkeit der eigenen Armee.
Angesichts all dieser Bratkovschen Inszenierungen stürzen die Bilder aus dem neureichen, hochzeitstanzenden Moskau mit allen Auswüchsen den Betrachter dann in arge Zweifel: Dokumente oder Inszenierung, Abbild oder Kritik? Indiz der Brechung ist zunächst allein das Format: Riesig breite Panorama-Bilder hat er da geschaffen - ganz wie zu Zeiten sowjetischer Propaganda.
Der Turbo-Kapitalismus als neue Doktrin - ist es das, was Bratkov sagen möchte? Mit ehemaligen Funktionären als neue Privilegierte? Zumindest bedienen diese Fotos - und das macht sie ihrerseits ein klein wenig gestrig - sehr exakt das westliche Klischee des postsowjetischen Brutalst-Kapitalismus. Ob er damit der differenzierten Wahrnehmung einen guten Dienst erweist, steht dahin. Aber andererseits: Er bezeichnet sich auch gar nicht als einen explizit politischen Künstler.
bis 29.8., Hamburg, Deichtorhallen
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