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Nach Urteil zu tödlichen PolizeischüssenBerliner Polizei kämpft um ihren Ruf

Nach dem Urteil über den Todesschützen von Schönfließ geraten Freunde des Opfers und Polizei aneinander. Anwalt will Revision. Anklage weist Vorwürfe zurück.

Polizist bei Ermittlunsgarbeit am Tatort in Schönfließ Bild: dpa

Die Verurteilung eines Berliner Polizisten wegen Totschlags hat zu heftigen Reaktionen geführt. Bereits bei der Urteilsverkündung am Samstag kam es im Landgericht Neuruppin zu Tumulten. Am Abend ging es in der Nähe des Hermannplatzes in Neukölln weiter. Dort hatten sich 100 bis 200 Menschen zu einer Kundgebung versammelt. Der Slogan "Uniform schützt vor Strafe" war auf einem der Transparente zu lesen. Pressefotografen berichteten der taz, die anschließende Spontandemonstration sei von Einsatzhundertschaften mit Pfefferspray und Schlagstöcken ausgesprochen rabiat aufgelöst worden.

Das Landgericht hatte am Vormittag den 36-jährigen Berliner Polizeikommissar Reinhard R. wegen Totschlags in minderschwerem Fall zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. R. hatte am Silvesterabend 2008 den Neuköllner Kleinkriminellen Dennis J. im brandenburgischen Schönfließ bei einem Festnahmeversuch erschossen.

Reinhard R. habe nicht in Notwehr gehandelt, befand das Gericht. Dass er zwei Jahre Haft auf Bewährung bekommen hat, empfinden die Freunde und Verwandten des Getöteten als viel zu milde. Ganz anders wird das Urteil in Anwaltskreisen gesehen. Dafür, dass das genaue Tatgeschehen nicht habe aufgeklärt werden können - das Gericht spricht im Urteil von mehreren möglichen Tatvarianten -, seien zwei Jahre ziemlich viel. Anwälte sprechen von einer Konzessionsentscheidung mit Rücksicht auf die Öffentlichkeit. Zwei Jahre seien so viel, dass R. nicht mehr Polizist sein dürfe, andererseits könne die Strafe ohne Probleme zur Bewährung ausgesetzt werden. So könne der Justiz nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe den Fall heruntergespielt.

R.s Verteidiger Walter Venedey kündigte Revision an. Er wirft der Staatsanwaltschaft Neuruppin Voreingenommenheit vor. Die Brandenburger hätten den Berliner eins auswischen wollen, glaubt Venedey. Dazu gehöre auch, dass Staatsanwalt Kai Clement pauschal vom "berühmten Korpsgeist" der Berliner Polizei gesprochen habe.

Clement hatte damit die nun zu Geldstrafen verurteilten Polizisten Heinz S. und Olaf B. gemeint. Diese hatten sich im Prozess darauf berufen, von der Schussabgabe nichts gehört zu haben, weil die Silvesterböller so laut gewesen seien. Das sei ein Lüge, befand der Vorsitzende Richter Gert Wegner. Anders als Clement war er aber der Meinung, Korpsgeist sei kein spezielles Phänomen der Berliner Polizei, sondern Ausdruck eines Zusammengehörigkeitsgefühls. Ein Polizist, der den Kollegen in einer so brenzligen Situation im Regen stehen gelassen hätte, "wäre an seinem Arbeitsplatz nicht mehr glücklich geworden". Aber Polizisten seien nun qua Amt dazu berufen, Staftaten aufzuklären, nicht, sie zu vertuschen.

Der Neuruppiner Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher betonte, auch gegen Brandenburger Polizisten hätte seine Behörde nicht anders ermittelt. Der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch kommentierte Clements Ausspruch mit den Worten: "In der Berliner Polizei hat sich ein Leitbild entwickelt, das dem Korpsgeist wirksam entgegenwirkt."

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21 Kommentare

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  • L
    Lenny

    Die Polizei darf kein rechtsfreier Raum sein! ^^

  • B
    buckley

    Noch eine Relation: im mg-Verfahren gab es 3 Jahre 6 Monate ohne Bewährung für den Versuch, einen LKW anzuzünden. Die Hinrichtung gibt zwei Jahre auf Bewährung. Schde, dass die alten Sponti-Sprüche sich ständig bewahrheiten: BRD-Bullenstaat.

  • D
    Dirk

    Interessant an dem Artikel finde ich das darin gesagt wird dass das Gericht von mehreren möglichen Tatvarianten ausgeht. Das die Gerichte immer zu Gunsten des Angeklagten entscheiden kann man sehen wie man will doch ehrlich gesagt ist das auch gut so. Aber der Skandal ist doch das die beiden Beamten die mitdabei waren und zu Aufklärung des Falls hätten beitragen können nachweislich(wie wurde das Nachgewiesen? Weiss jemand?) versucht haben die Aufklärung zu verhindern. Wenn es nachgewiesen ist das diese Beiden sich abgesprochen haben um den Hauptangeklagten zu decken hätte er doch aus Mangel an beweisen freigesprochen werden können und die beiden wären stattdessen eingefahren, schliesslich ist es doch auch eine Straftat einen Totschlag zu vertuschen, oder?

  • M
    Max

    "Ein Polizist, der jemanden erschießt, dabei fast das ganze Magazin der Waffe abfeuert - und dann kommt auch noch raus, dass es weder Notwehr, noch das Opfer in irgendeiner Art und Weise bewaffnet war - wird zu ZWEI Jahren Haft auf Bewährung verurteilt......und verliert nicht mal seinen Beamtenstatus?"

    Wo leben wir denn?Heißt es nicht immer jeder wird glaich behandelt?Normale Menschen,oder "Feinde der Republik" hätten ohne mit der Wimper zu zucken lebenslänglich bekommen!

    Als Polizsist müsste man eigl noch härter bestraft werden,und die Ausrede "Als Polizist sei er extrem haftempfindlich, im Falle einer Inhaftierung hätte er sich unter jenen einordnen müssen, die er sonst verfolgt hat",stört mich extrem.Gerade,weil ein Polizist das weiß,darf er nicht so handeln,und muss deswegen noch härter bestraft werden.Das war feiger Mord,der noch feiger bestraft wird.Da kommt noch etwas auf die Polizei zu,wenn das hier so in Deutschland weiter geht...

    Und da soll man Respekt haben vor der Polizei,das ich nicht lache!Mörder!Ihr könnt euch noch so oft bei eurer Polizeigewerkschaft beschweren,ihr seid die Schurken!

  • UN
    Uwe Niese

    Das Gericht hat die Bewährungsstrafe u.a. damit begründet, dass es dem Angeklagten nicht zuzumuten sei, mit Menschen zusammen zu sein, die er normalerweise festnimmt(!).

  • B
    bernhard

    Ihren Kommentar hier eingeben

    wen ein polizist auf einen menschen 8 schüsse abgibt dan ist dass notwehr,wen ein normaler bürger das gleiche macht, dann ist es mord.vor dem gesetz sind alle gleich,ich kann mich kaputt lachen ha-ha-ha usw.

  • G
    Gestresst

    >Berliner Polizei kämpft um ihren Ruf

     

    Einen guten Ruf hatte die Berliner Polizei noch nie, und ist der Ruf erst runiniert lebt es sich ganz ungeniert.

  • F
    FMH

    @Oli

     

    Nein, da liegen sie falsch. Die Polizisten im Fall Eisenberg wurden ganz und gar nicht freigesprochen. Sie wurden überhaupt nicht angeklagt. Es wird keinen Prozess geben, da die Polizisten der Staatsanwaltschaft glaubhaft vermitteln konnten, dass das so üblich sei.

  • M
    Mau-Mau

    Gibt die Polizei sich als Askaris der Regierung, dann nimmt sie natürlich nicht an Beliebtheit zu. Das Recht ist immer auf der Seite des Stärkeren. In einer Demokratie ist das natürlich nicht so, oder?

  • D
    Dillinger

    Nur zum Vergleich: Im Prozess gegen Alexandra R. ging es um 2 Jahre und 6 Monate HAFT, weil sie angeblich VERSUCHT hätte, ein Auto anzuzünden.

  • K
    Konfuze

    Lieber von Hans Lotus: Der schießwütige Trachtengruppler stand NEBEN dem Auto, auf Höhe der Fahrerseite. Wie soll ihn der Fahrer dann umfahren können? ich habe noch keinen Jaguar gesehen, der seitwärts fährt. Und die beiden anderen Kollegen standen auch so, dass sie zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen wären.

    Und dann gleich 8mal abdrücken, das ist mir eine schöne Notwehr! Und wenn der Kriminelle abgehauen wäre, was solls, dann hätten sie eben weiter nach ihm fahnden müssen. Für mich war das übersteigerter "Jagdeifer" wenn nicht gar Mord.

  • S
    Simon

    Ich hätte erwartet das im Artikel klar gesagt wird was da passiert ist. Klar geht es nicht das ein Polizist jemanden erschießt. Aber wenn ich hier in den Kommentaren hören muss das der Täter den Polizisten überfahren wollte ist das schon etwas total anderes.

  • K
    Kommentarstammtisch

    "Ganz anders wird das Urteil in Anwaltskreisen gesehen... Anwälte sprechen von einer Konzessionsentscheidung mit Rücksicht auf die Öffentlichkeit."

     

    Schön, dass die TAZ hier auch unbeteiligte Fachleute den Prozeß würdigen läßt. Aber das will ja hier keiner lesen, da man das Leben gerne schwarz und weiß hat. Stattdessen werden im hiesigen Kommentarstammtisch wie üblich Äpfel mit Birnen verglichen und Jugenderlebnisse mit der Polizei zum Besten gegeben.

  • R
    RedHead

    Fragt mal nen Berliner Bullen bei einer der vielen Knüppelorgien nach der Dienstnummer. Im besten Fall wird die schlicht verweigert oder es kommt sowas dummes wie 0815. Da aber nicht immer der beste Fall eintritt, kann man dabei auch durchaus mal auf die Fresse bekommen. Gleichzeitig jammern die über ihre Gewerkschaft gerne mal herum, dass sie immer öfter Opfer von Gewalttaten werden. Beim besten Willen, selbst gesetzestreuen "Normalos" fällt es schwer, ein derartiges Gewaltmonopol einfach hinzunehmen. Widerstand ist da nun wirklich nicht mehr verwunderlich.

  • AH
    A. Hopfenschauer

    Man stelle sich doch bitte einmal vor, die Tötung wäre mit vertauschten Personenrollen erfolgt: Ein Mann erschiesst durch das Seitenfenster eines PKW einen einschlägig vorbelasteten Polizisten (oder Richter) und zwei anwesende Kumpel versuchen, ihn vor Gericht zu decken. - Wie hätte das Urteil dan wohl gelautet? Welchen Tenor hätten die Zeitungsartikel gehabt und welchen die zugehörigen Leserkommentare?

  • H
    Horst

    Na da haben wir in der letzten Woche aber etwas Wichtiges über die Berliner Verhältnisse gelernt:

     

    Bist Du Migrant und überfällst ein Pokerturnier: 4 Jahre Haft

     

    Bis Du Polizist und knallst einen jugendlichen Kriminellen ab: Bewährung

  • HL
    Hans Lotus

    Leute, der Kriminelle wollte den Polizisten mit dem Auto umfahren; ein Auto kann eine Waffe sein.

     

    Ich sehe die Notwehr daher als gegeben an, im allerhöchsten Fall eine Notwehr-Überschreitung.

     

    Ich hoffe, daß der Polizist bei der Revision erfolgreich ist und seinen Job behält.

     

    Davon sollte uns auch nicht der jetzt anscheinend "normal" gewordene Mob auf der Straße abhalten. Die Polizei wird von der Politik eh schon immer mehr zum Zusehen verurteilt - und nicht dazu, ihren Job (Schutz der Bürger vor Kriminellen) zu machen.

  • O
    Oli

    Ich denke zwei Jahre sind für unser Land schon eine wirklich saftige Strafe. Die netten Herren von der Rennleitung die den Studenten Tennessee Eisenberg hinrichteten sind meines Wissens nach freigesprochen worden. Acht Pistolen gegen ein Messer, das klingt wirklich nach Notwehr.

    Was mich an dem hier beschriebene Fall aber am meisten stört ist, dass die Kollegen, die nach besten Wissen und Gewissen einen Mörder vor der Justiz geschützt haben, dies auch weiterhin tun können. Hier hätte das Gericht endlich einmal die Möglichkeit gehabt allen Polizisten zu zeigen, das so ein Verhalten nicht tolleriert wird. Wer will denn von diesen beiden Beamten noch geschützt werden? Ich nicht.

  • U
    Ulf

    Berliner Polizisten sind für ihre kriminelle Energie bundesweit bekannt. Denen rutscht gerne mal die Hand aus. Man könnte meinen, es würden nur Radikale in den Berliner Polizeidienst aufgenommen.

  • V
    vic

    Die müssen nicht um ihren Ruf kämpfen. Den nimmt ihnen keiner weg.

  • P
    paul

    also dafür das die polizisten den tatvorgang erfolgreich vertuscht haben werden sie mit einer milden strafe belohnt... oder kann man das auch anders verstehen....mir wird kotzübel....