Interview zu Gentests für Embryos: "Höchstens 300 Fälle pro Jahr"
Droht nach einem Urteil des BGH willkürliche Selektion von Embryonen? Nein, sagt der Vorsitzende der deutschen Reproduktionsmediziner. Auf das Down-Syndrom etwa werde gar nicht getestet.
taz.de: Herr Krüssel, der Bundesgerichtshof hat die Präimplantationsdiagnostik, kurz: PID, in manchen Fällen erlaubt, Kritiker fürchten nun eine willkürliche Selektion von Embryonen. Warum glauben Sie nicht an einen Dammbruch?
Jan-Steffen Krüssel: Das Urteil sagt ja sehr deutlich, dass die PID nur in einem sehr begrenzten Bereich angewendet werden darf, die Geschlechtsbestimmung eines Kindes gehört ganz klar nicht dazu. Die Mutationen sind aber in jedem Einzelfall andere, deshalb gibt es auch keinen Standardtest. Für jedes betroffene Paar muss erst einmal neu herausgefunden werden, wo die Störung liegt.
In welchen Fällen ist eine PID dann angezeigt?
JAN-STEFFEN KRÜSSEL, 44, ist Oberarzt an der Uniklinik Düsseldorf und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin.
Immer dann, wenn es bei vorausgegangenen Schwangerschaften bereits einen schicksalhaften Verlauf gab. Welche Fehlbildungen oder Störungen das in den Einzelfällen genau sind, kann man nicht exakt sagen, das sind ganz unterschiedliche Sachen. Das klassische Down-Syndrom gehört aber sicher nicht dazu.
Warum nicht?
Trisomie 21 ist eine Störung, die zu einem großen Teil von der Mutter kommt, sie wird über das Alter der Eizelle vererbt. Das kann - und konnte auch schon vor dem Urteil - völlig legal durch die Prokörperbiopsie diagnostiziert werden.
Entsteht durch solch ein Urteil nicht ein gesellschaftlicher Druck, alle zur Verfügung stehenden Tests auch zu machen?
Das müsste dann ja heute schon gelten. Es gibt ja bereits die Möglichkeit der Pränataldiagnostik oder der Fruchtwasseruntersuchung. Außerdem kann man gar nicht das ganze Genom untersuchen und damit auch nicht auf alle etwaigen Defekte vorab testen.
Taz: Behinderte fühlen sich dennoch durch dieses Urteil in ihrer Würde verletzt, können Sie das verstehen?
Krüssel: Ich kann das natürlich in gewissem Sinne verstehen, trotzdem sitzt mir im konkreten Fall dann ja ein Paar gegenüber, das ich auch sehr gut verstehen kann. Das ist sicherlich schwierig, das dann in einen gesellschaftlichen Kontext zu kriegen, da gebe ich Ihnen auch recht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen