Museum am Stadtrand: "Nicht alle Museen müssen in Mitte liegen"
Vor 60 Jahren wurde das Georg-Kolbe-Museum eröffnet, seit 32 Jahren ist Ursel Berger seine Direktorin.
taz: Frau Berger, als Sie vor 32 Jahren an das Georg-Kolbe-Museum kamen, haben Sie sich darüber Gedanken gemacht, wie lange sie bleiben?
Ursel Berger: Überhaupt nicht. Als ich mich beworben habe, war das nicht mal so furchtbar ernst gemeint. Ich war Volontärin an den Staatlichen Museen und dachte, na versuch ich es mal. Dass das praktisch mein Leben bestimmen würde, das hat sich erst allmählich herausgestellt.
1948 geboren, studierte ab 1967 Kunstgeschichte in München und wurde 1977 Volontärin bei den Staatlichen Museen in Berlin. Seit 1978 ist sie Leiterin des Georg-Kolbe-Museums.
Georg Kolbe (1877 - 1947) war der erfolgreichste deutsche Bildhauer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Hauptexponent der idealistischen Aktplastik hat er seine Generation geprägt. Die Architekten Ernst Rentsch und Paul Linder bauten ihm 1928/29 im Westend ein stattliches Atelierhaus, dessen Architektur beispielhaft für jene Zeit ist.
Auf der Grundlage seines Testaments wurde in seinem Atelier 1950 das Georg-Kolbe-Museum eröffnet, dessen Sammlung einen Überblick über das bildhauerische und zeichnerische Schaffen des Künstlers gibt. Im einstigen Wohnhaus Kolbes gegenüber ist ein Museumscafé untergebracht.
Seit Juni läuft die Ausstellung "1910 Figur 2010". Sie zeigt Werke aus der frühen Moderne und zeitgenössische Arbeiten. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Adresse: Sensburger Allee 25
Dass eine Frau ein Museum leitet, kam in der damaligen Zeit noch selten vor.
Das war eine Ausnahme, aber ich hatte ein Vorbild: die Leiterin des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen. Außerdem war das Kolbe-Museum immer etwas am Rande positioniert und es ist nach wie vor eine private Institution. Da konnte ich mein eigenes Süppchen kochen, das war einfacher als in so einem großen Betrieb wie der Stiftung Preussischer Kulturbesitz.
Mir fällt auf, dass viele der kulturhistorischen Ausstellungen, die Themen der Kolbe-Zeit aufgriffen, Projekte von jungen Kunsthistorikerinnen waren - etwa die Entwicklung des Ausdruckstanzes in der Moderne, der auch die Bildhauer faszinierte. Ist die Unterstützung von Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen ihr Projekt?
Ich habe mich nicht hingestellt und gesagt: "Ich bin Feministin und alles wird anders." Aber ich habe gerne solche Kolleginnen mit einbezogen und solche Themen aufgegriffen. Volontäre bei uns kommen mit den Hauptaufgaben eines Museums in engsten Kontakt. Ich habe als Volontärin in der Nationalgalerie Fotos geordnet. Hier kann man sich einbringen, und in der Regel steht am Ende eine Ausstellung, "Glamour. Das Girl wird feine Dame" oder "Wilde Welten" über die "Aneignung des Fremden in der Moderne" waren solche Projekte junger Kolleginnen. Bis vor kurzem waren wir ja nur zweit, die Volontärin war die stellvertretende Direktorin.
Das Kolbe Museum feiert in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen. Das Besondere ist, dass in diesem Haus Kolbe gelebt und gearbeitet hat.
Ja, dies hier war sein Esszimmer, mein Büro oben ist im ehemaligen Schlafzimmer. Das Nachbarhaus hat er für die Familie seiner Tochter bauen lassen.
Wenn ich an die Berliner Künstler denke, die ich persönlich kenne, ist niemand dabei, der sich ein eigenes Atelierhaus, gar in einem Villenviertel von Berlin, heute leisten könnte. War Kolbe damit zu seiner Zeit eine Ausnahme?
Kolbe war in seiner Generation der erfolgreichste Bildhauer: Damit ist nicht seine kunsthistorische Wertschätzung gemeint, sondern dass er sich in seiner Zeit behaupten konnte mit Aufträgen. Er konnte davon ganz gut leben. Aber man muss auch genau hinschauen: Das Haus, das Ernst Rentsch für ihn 1928/29 baute, ist doch sehr einfach, zumal verglichen mit dem, was sich in den Generationen vor und nach ihm Künstler geleistet haben. Unter Kaiser Wilhelm ließen sich Künstler Schlösser und Burgen bauen, unter Adolf Hitler bekamen Breker und Thorak große Anwesen geschenkt.
Breker und Thorak werden heute überhaupt nicht mehr geschätzt, weil sie sich in ihrer Kunst sehr für die Propaganda der NS-Zeit vereinnahmen ließen. Deren Rezeption heute ist ja auch eines der Themen, die Sie in Ausstellungen bearbeitet haben; eben auch, weil deren Werk rückblickend auch sehr beeinflusst hat, was wir heute von Kolbe halten.
Kolbe hatte Bestellungen, aber es war für ihn wesentlich, dass er nach eigenen Vorstellungen gearbeitet hat. Nicht der Auftrag war zuerst da, nach dem er sich gerichtet hat, sondern er arbeitete beispielsweise an einer Männerfigur, und dann kam der Auftrag eines Bankdirektors, diese Skulptur in Bronze auszufertigen. Was Sie ansprechen, ist ein schwieriges Thema - die Nazizeit, in der Kolbe weiterhin erfolgreich war, wenn auch anders, als er selbst es erwartete. Da ist es in der Tat so, dass man auf die exemplarischen Arbeiten von Breker und Thorak schaut und dann über die Ähnlichkeiten in dem Werk von Kolbe stolpert. Das erklärt sich aber so, dass Kolbe sich - mehr aus privaten Gründen - in den 30er Jahren zu einem heroischen Stil entwickelt hat, den Thorak und Breker aufgenommen und vergröbert und monumentalisiert haben.
Ich war immer erleichtert, dass das Museum keine Kolbe-Gedenkstätte war. Vor Ihnen haben Kolbes Fotografin und seine Enkelin das Haus geleitet. Wie sah das Haus damals aus?
Zuerst so, wie der Künstler es verlassen hat, so hatte Kolbe das auch in seinem Testament bestimmt. Der Atelierraum war vollgestellt mit Gipsmodellen, Werkzeug, das staubte schon ein. Die Enkelin machte einen Schnitt, sie räumte das aus und machte eine Kolbe-Ausstellung. Als ich kam, habe ich dann versucht, die ganze Breite der Zeit mit hineinzunehmen, Zeitgenossen von Kolbe vorzustellen und Kulturgeschichten. Das war auch die Bedingung des Landes Berlin, um das Haus zu unterstützen. Ich hielt es aber auch für notwendig, die Werke Kolbes aus der NS-Zeit, die im Garten stehen, nicht wegzuräumen, das ist Teil seines Werks, die müssen mit diskutiert werden.
Das Museum im Westend liegt weit vom Schuss. Ist es ein Problem, Publikum hierher zu bekommen.
Im riesigen Berlin ist das immer ein Problem. Ich bedaure es etwas, dass man heute meint, Museen müssten alle in Mitte liegen.
Wie machen Sie auf ihr Haus aufmerksam?
Es ist extrem teuer, wenn man im Stadtbild von Berlin auffallen will, mit Plakaten werben können wir nicht. Wir versuchen den Kreis der Interessenten und Freunde stetig zu erweitern, die Besucherzahlen haben sich in den letzten Jahren auch verdreifacht, sie sind von 8.000 im Jahr auf über 20.000 gestiegen, weil die Themen vielfältiger wurden und wir Besucherkreise direkter ansprechen.
Vor zwei Jahren kam Marc Wellmann als Ausstellungsleiter neu an ihr Museum.
Dass das historische Feld inzwischen gut bestellt ist, hat dazu geführt, dass ich jemand für zeitgenössische Kunst dazugewinnen wollte. Das ist sein Schwerpunkt. Und die Resonanz gibt uns da recht.
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