Zukunft der Charite: Alte haben Vorfahrt
Die Charité sortiert sich neu. Das Benjamin-Franklin-Klinikum will sich vor allem um ältere Menschen kümmern.
Der Fall hat Aufsehen erregt: Eine werdende Mutter will ihren Vorsorgetermin im Klinikum Benjamin Franklin wahrnehmen - und steht vor verschlossener Tür. Die Abteilung Geburtshilfe sei einen Monat früher als geplant geschlossen worden, hieß es. Die Frau solle ins Weddinger Virchow-Klinikum fahren. "Skandal", schrie die Opposition, und selbst der ärztliche Direktor der Charité, Ulrich Frei, gesteht, diese Organisation sei ungünstig gewesen. Von der Sache her folgt der Schritt indes genau der Strategie, die Frei jahrelang ausgetüftelt hat: Das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) soll zum Schwerpunkt für "Erkrankungen in der zweiten Lebenshälfte" werden. Eine Geburtshilfe braucht es da nicht.
"Lange gab es zwischen den Charité-Standorten keinerlei Absprachen über die Fächerverteilung", sagt Frei. "Alle haben fröhlich Klinikum für alle gemacht." Für das alte Modell sprach, dass die Berliner eine bequeme und wohnortnahe Versorgung erhielten. Dagegen sprachen die Kosten. Und personelle Gründe: Bis 2015 werden am UKBF etwa 40 Professoren in Ruhestand gehen - sie können angesichts der Finanzlage nicht in der gleichen Zahl wiederbesetzt werden. Ein breites medizinisches Spektrum abzudecken wäre nicht mehr möglich. Zudem ging die Vielfalt zu Lasten der Exzellenz.
Auch wenn Frei nicht darüber sprechen mag: Es ist sicher auch der zunehmende Wettbewerb auf dem Krankenhausmarkt Berlins, der nach einer Neuordnung für die Charité ruft. Die drei bettenführenden Standorte - UKBF in Steglitz, der Campus Mitte und das Virchow in Wedding - müssten jeweils zu einer Marke werden, sagt Frei. "Wir müssen erkennbare Kompetenzzentren bilden."
Im Wedding sollen künftig die Spezialisten für Frauen und Kinder sowie die Herzexperten sitzen, auch Tumore werden vorrangig dort behandelt. Mitte wird zum Schwerpunkt für Immun- und Entzündungswissenschaften, hier sitzt auch das Deutsche Rheumazentrum. Das UKBF will Menschen beim Älterwerden begleiten.
Eine Grundversorgung wie Rettungsstelle und Chirurgie bleibt. Ansonsten richten sich die Ärzte am UKBF auf die Altersgruppe 50 plus ein - passend für den Bezirk, in dem in absehbarer Zeit jeder zweite Bewohner älter als 50 sein wird. Die Gastroenterologie wird gestärkt, Orthopädie und Urologie spielen eine größere Rolle, Fachärzte für Nierenkrankheiten sollen ans UKBF geholt werden. Abteilungen wie Geburtshilfe und Dermatologie hingegen werden gestrichen.
Mit der Konzentration auf ältere Menschen betritt die Charité bundesweit kaum erschlossenes Terrain. Bisher gibt es in vielen Krankenhäusern Geriatrie-Fachabteilungen, die sich auf die Heilung betagter Patienten spezialisieren. Frei aber will die Menschen beim Älterwerden begleiten. Er will beobachten, warum und wie sich manche Krankheiten bei Menschen in der zweiten Lebenshälfte entwickeln.
Der Umbau hat bereits begonnen: Professoren haben gewechselt. Einige sind in Ruhestand gegangen und wurden durch Kollegen mit anderen Schwerpunkten ersetzt. Die Geburtshilfe hat geschlossen. Auch das UKBF muss seinen Teil zum Abbau von 500 Betten an der gesamten Charité beitragen.Von den 1.000 Betten sollen in Steglitz knapp 200 wegfallen. Die Reduzierung werde weitgehend durch die Modernisierung von Zimmern erreicht, sagt Frei. Aus Dreibettzimmern mit außerhalb gelegenem Bad werden Zweibettzimmer mit eigener Nasszelle. Die Modernisierung ist dringend nötig in dem 1968 errichteten Komplex, in dem es vor lauter Investitionsstau in die Operationssäle tropft. Zwei Zimmer lässt das Klinikum zu Spezialzimmern für übergewichtige Patienten umbauen.
Wer künftig im Südwesten Berlins schwanger wird, muss sich einen anderen Ansprechpartner suchen. Ganz in der Nähe liegt das Auguste-Viktoria-Klinikum von Vivantes. Der ärztliche Direktor der Charité sähe es zwar lieber, wenn die werdenden Mütter quer durch die Stadt ins Virchow führen, aber auch er kann nicht abstreiten, dass "bei einem unkompliziertem Schwangerschaftsverlauf" nichts gegen eine Geburt bei Vivantes oder etwa im Zehlendorfer Evangelischen Krankenhaus Waldfriede spreche. Vivantes untersteht zwar auch dem Land Berlin, ist aber zugleich Konkurrent der Charité - ein bizarres Konstrukt, das mit Doppelstrukturen und der allgemeinen Unübersichtlichkeit nach der Wende zu tun hat. Man spreche aber miteinander, versichert Frei. Vor Kurzem sei eine Kollegin von Vivantes bei ihm gewesen, um sich über die Schwerpunktsetzung der Charité zu informieren. "Wir müssen ja Wege finden, uns zu sortieren, ohne zu leiden."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!