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Deutsche Radsport-TeamsZurück in die Nische

Mit dem Rückzug des Sponsors Milram verabschiedet sich nun auch das allerletzte deutsche Team aus dem Spitzenradsport.

Anfang des Jahres konnten die Milram-Fahrer noch lachen. Jetzt ist Schluss damit. Bild: dpa

TARBES taz | Traurige Mienen im Gewerbepark von Tarbes. Gegenüber des großen Sportsupermarkts der Kette Leclerc hat Team Milram ein Hotel bezogen. Der Ruhetag am Mittwoch bei der Tour de France ist von der Nachricht geprägt, dass es aus ist mit dem Rennstall mit den blauweißen Trikots. Ihr Räder bringen sie aber nicht gleich rüber zu Leclerc. "Es stehen noch einige Renntage auf dem Programm", sagt Fabian Wegmann, einer der Profis.

Sein Teammanager Gerry van Gerwen hat eben verkündet: "Ich habe keinen neuen Sponsor finden können. Die Fahrer sind jetzt frei, sich um ihre eigene Zukunft zu kümmern." Der bisherige Titelsponsor Nordmilch stellt erwartungsgemäß seine Unterstützung zum Saisonende ein.

Das Unternehmen hat seine Marketingziele erreicht. In einer Pressemitteilung, die parallel aus Bremen verschickt wurde, errechnet die Großmolkerei "Mediagegenwerte zwischen 50 und 60 Mio. Euro" pro Jahr und eine Steigerung des "Bekanntheitsgrad der Marke Milram" in Deutschland auf heute über 90 Prozent. Bei einem Einsatz von ungefähr acht Millionen Euro jährlich klingen diese Werte nicht schlecht.

Die Angestellten des Rennstalls Milram nahmen die Nachricht geschäftsmäßig gefasst auf. "Das hat uns nicht sonderlich überrascht. Diese Entwicklung hat sich ja schon in den letzten Wochen angedeutet", erzählt Sprinter Gerald Ciolek. Er hat seine Zukunft in die Hände einer belgischen Agentur gelegt, die mit mehreren Teams in Kontakt steht. Der Kölner hat keine Sorge um seine weitere Karriere. "Ich werde auch im nächsten Jahr Rennen fahren", sagt er.

Während die Sportler sehr selbstbewusst davon ausgehen, auch für die nächste Saison einen Vertrag zu erhalten, sieht es für das restliche Personal des 60 Mann starken Unternehmens düsterer aus. "Ich bin auf dem Markt, aber ich habe noch nichts. Erst kommen die Fahrer, danach der Rest", beschreibt der sportliche Leiter von Milram, Christian Henn, die Situation. Eine ähnliche Erfahrung hat Henn schon vor zwei Jahren mit Gerolsteiner gemacht. "Damals war es auch so, dass es während der Tour noch einige Kontakte und viel Hoffnung gab. Doch das Ergebnis war das Gleiche", sagt er. Einziger Unterschied: Gerolsteiner war damals erfolgreicher.

Als Hans-Michael Holczer 2008 den Stecker zog, mochten das gelbe Trikot von Stefan Schuhmacher und das gepunktete von Bernhard Kohl unter Insidern zwar einige Zweifel geweckt haben. Die positiven Dopingproben standen jedoch noch aus. "Ob ein Sponsor einsteigt, ist nicht so sehr eine Frage von Erfolg oder Misserfolg", glaubt Henn seitdem.

Es ist eine Frage der Strategie. Deshalb glaubt van Gerwen noch an das große Los: "Ich werde mich bei der UCI um eine neue Lizenz bewerben." Seine Tochter Marlies, die neben ihm sitzt und für die Buchführung verantwortlich ist, nickt entschlossen. "Bis zum 15. August müssen wir die Lizenz beantragen und im Oktober das Personal vorstellen", sagt sie. Für die Lizenz sind 75.000 Euro fällig. Auch die ersten Raten des Antidopingpakets (Gesamthöhe: 120.000 Euro) müssen dann angewiesen werden.

Am 10. Dezember fällt die UCI die Entscheidung. Van Gerwen hält daran fest, weiter einen deutschen Rennstall betreiben zu wollen. Nicht unbedingt mit deutschem Sponsor, aber mit einem, der Interesse am deutschen Markt hat. "Deutschland ist ein Kernland in Europa. Alle Welt macht Geschäfte mit Deutschland", erklärt er. Ironischerweise liegt es jetzt an einem schlauen Holländer, die Plattform für die Präsentation deutscher Talente weiter zu erhalten.

Die Profis selbst glauben nicht daran. "In Deutschland ist der Radsport mit Jan Ullrich erblüht. Tennis wurde durch Boris Becker groß. Wer guckt jetzt noch Tennis?", fragt Wegmann. Seiner Meinung nach wird der Radsport wieder in eine Nische zurückfallen und erst dann daraus erlöst werden, wenn im Gen-Roulette wieder mal ein deutscher Sportler das große Los zieht.

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1 Kommentar

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  • KJ
    Knud Jahnke

    Großes Los im Gen-Roulette? Das ist es wohl eher nicht. Der Text beschreibt doch schön die Dopingvergehen von Schuhmacher & Co, vergisst nur, selbiges bei Jan Ullrich zu erwähnen. Vielleicht ist der Rad-Hype einfach enttäuschtem Realismus gewachsen: Im Profiradfahren gab es schon immer Doping und wird es offensichtlich auch in der Zukuft immer geben. Wer glaubt denn ersthaft an "schwarze Schafe"? Das ist systembedingt und kein Zuschauer möchte gerne bei jedem Sieg einer TdF-Etappe immer mitfragen, ob der Gewinner auch sauber ist. Und bei wievielen Tour de France-Gewinnern der letzten 15 Jahre gab es denn keinen Doping-Verdacht oder spätere Sperre? Wenige.