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Debatte um qualifizierte ZuwandererBrüderle und Merkel uneinig

Der Wirtschaftsminister wirbt um Arbeitskräfte aus dem Ausland. Das hält die Kanzlerin angesichts der Arbeitslosenzahlen für falsch.

Nicht immer einer Meinung: Angela Merkel und Rainer Brüderle. Bild: Reuters

BERLIN taz | Nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es nicht notwendig, gesondert um hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland zu werben. Eine Novellierung des Zuwanderungsgesetzes erscheine derzeit nicht erforderlich, sagte Vizeregierungssprecher Christoph Steegmans.

Vor wenigen Tagen hatte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) verstärkt dafür geworben, gut ausgebildete Spezialisten nach Deutschland zu holen und dafür die politischen und praktischen Hürden zu senken. Seine "Fachkräfteinitiative" sieht unter anderem vor, dass Unternehmen BewerberInnen mit einem "Begrüßungsgeld" locken können sowie die Einkommensschwellen für eine Arbeitserlaubnis zu senken. Derzeit erhalten ZuwanderInnen erst ab einem Bruttojahreseinkommen von mindestens 64.000 Euro eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland.

Achim Dercks, Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), regte zudem ein Punktesystem nach australischem oder kanadischem Modell an. "Für Qualifikation, Berufserfahrung und Sprachkenntnisse sollte es eine bestimmte Punktezahl geben. Danach können die besten Bewerber ausgewählt werden", sagte DIHK-Arbeitsmarktexperte Stefan Hardege zur taz. "Die Erfahrungen in Australien haben gezeigt, dass von einer gezielten Zuwanderung auch Einheimische profitieren."

Genau das glauben Kritiker nicht. Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, sagte: "Wir können es nicht zulassen, dass Menschen in Arbeitslosigkeit sind, nur weil ihre Talente nicht genutzt werden."

Die Grünen, die das Punktesystem grundsätzlich befürworten, halten beides für notwendig: Qualifizierung einheimischer und Zuzug ausländischer Fachkräfte. Memet Kilic, Sprecher für Integrationspolitik, sagte zur taz: "Wir brauchen aber nicht nur IT-Spezialisten, sondern auch Alten- und KrankenpflegerInnen."

Vor zehn Jahren hatte die Ankündigung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, mit einer Green Card 20.000 IT-Spezialisten nach Deutschland zu holen, hohe Wellen geschlagen. Tatsächlich waren 2009 laut Statistischem Bundesamt in Wiesbaden nur 1.782 AusländerInnen registriert, die aufgrund ihrer hohen Qualifikation eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bekamen. 234 Personen waren "temporär zu Forschungszwecken" im Land.

Die Idee mit dem Punktesystem ist auch in Deutschland nicht ganz neu. In ihrem Zuwanderungsbericht 2001 hatte die damalige Vorsitzende der Unabhängigen Kommission "Zuwanderung", Rita Süssmuth (CDU), Pluspunkte für gute Qualifikation, Alter und Deutschkenntnisse vorgeschlagen. "Die Gestaltung von Zuwanderung und Integration" zählte nach Süssmuths damaligen Worten zu den wichtigsten politischen Aufgaben der nächsten Jahrzehnte. CDU und CSU hatten die Süssmuth-Empfehlungen seinerzeit abgelehnt.

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8 Kommentare

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  • S
    Stefan

    Zumindest zur Fachmensch-Interpretation, die hier gerade dem VDI zueigen gemacht wurde, nur so viel:

    ich war während Studien- und Diplomarbeit, beides aufwändige Entwicklungsprojekte neuartiger Messtechnik, nicht unauffällig. Die Arbeit und eine weitere Beurteilung sind direkt an eine Uni-nahe Hightech-Firma gegangen, die den Nachwuchs interessierten Firmen vorstellt. In der anschliessenden Urkundevergabe hat mit der derzeitige Bundesarbeitsminister die Hand gedrückt.

     

    Und die angeblich _händeringend_ nach Ingenieuren suchenden deutschen Firmen? Nix. Natürlich hätte ich mich bewerben können, aber mal ehrlich: wenn ich händeringend etwas suche, dann finde ich es wenn es so beworben wird wie wir Ing.-Absolventen, im Handumdrehen und ohne Händeringen.

     

    Suchen die vielleicht doch eher nach dem Weg, den gleichen Profit mit weniger Personalkosten zu erzielen? Dann ist der Ruf nach dem sprichwörtlichen Inder natürlich nur verständlich.

  • F
    franziska.qu

    Bezüglich Fachkräfte lügen uns die Politiker dieses Landes seit ca 10 jahren die Hucke voll. Beispiel Pflege, was schreien sie da seit langem rum wegen eines angeblichen Fachkräftemangels. Kurz vor ihrem Ausscheiden aus dem Gesundheitsministerium mußte Ula Schmidt auf Druck der Ärzte zugeben, dass die in den Krankenhäusern fehlenden Krankenschwestern u. -pfleger "eingespart" wurden.

    Ausgebildet werden in der Pflege Fachkräfte genug. Altenpfleger/innen, Krankenschwestern/-pfleger. Eingestellt werden dürfen sie häufig aufgrund gesetzlicher Vorgaben (!!!) allerdings nicht. In der Altenpflege regelt der sogenannte "Pflegepersonalschlüssel" die Anzahl der Fachkräfte und Pflegehilfskräfte in den Altenheimen. Wobei per Gesetz sowieso nur ca 50 % der Pflegemitarbeiter (=die sogenannte Fachkraftquote, geringe Erhöhung auf ca 51-53 % in Ausnahmen)Fachkräfte sein dürfen!!!

    Im Krankenhaus regeln Pflegepersonalbudgets aufgrund einer unverbindlichen Anwendung sogenannter Vergleichszahlen(=Anhaltszahlen über die Höhe des Pflegepersonalstandes)die Anzahl der Fachkräfte (=Krankenschwester/-pfleger).

    So. Ausgebildete Fachkräfte aus der Pflege finden oft in Deutschland, entgegen des Geschreies der Politiker und dessen unrecherchierter Übernahme durch die Medien, KEINE Arbeit. Die 'Fluchtwege' dieser Krankenschwester ohne Arbeitschance in Deutschland heißen z.B. Österreich und Schweiz. Die Bundesagentur unterhält in Ostdeutschland eine Spezielle Agentur zur Vermittlung deutschen Pflegepersonals nach Norwegen.

    Wer deutsche Fachkräfte möchte, fände sie.

     

    Nun darf jeder raten, wieso das Geschrei und die Lügen der Verantwortlichen und des sogenannten Arbeitgeberverbandes Pflege (in dem ausschließlich die privaten Pflegefirmen wie Pro Seniore, Kursana Asklepios usw vertreten sind)zum Fachkräftemangel in der Pflege weiter geht. Die von Ula Schmidt in die Welt gesetzte und zwischenzeitlich wiederrufene Zahl von angeblich 50.000 fehelnden Fachkräften in der Pflege wird von diesen gerne verbreitet. Mit Einsetzen des Mindestlohnes in der Pflege (West: 8,50€ Ost 7,50€) schreien sie nach 50.000 Pflegekräften aus Osteuropa, auch ohne Deutschkenntnisse.

     

    Vermutlich sieht es in den anderen Branchen real ähnlich aus.

     

    Zusammengefasst läßt sich wohl sagen, dass die Interessen der Menschen dieses Landes, die hier leben, arbeiten oder gerne Arbeit hätten, einer Gewinnmaximierung (Entschuldigung, man sagt ja heute: "Ergebniserhöhung".)der in den jeweiligen Branchen tätigen Firmen geopfert werden.

     

    Frage,: wieso recherchiert eigentlich kein Journalist/keine Journalistin dieses Landes die Aussagen von Politik und Arbeitgeberverbänden zu einem Fachkräftemangel auf deren Richtigkeit?

  • JS
    Jens Schlegel

    "Brüderle und Merkel uneinig" ist so keine Schlagzeile mehr - oder? Also beim nächsten mal vielleicht schreiben "Brüderle und Merkel einig!" oder "Koalition arbeitet zusammen"

  • E
    end.the.occupation

    wie wäre es, wenn sich einer der Kollegen der taz mal mit der Frage beschäftigte, was denn das Ergebnis gleichartiger, vergangener Aktivitäten ist.

     

    Dementsprechende Programme gibt es doch schon seit Jahren und ich habe dabei auch ein paar Leute kennengelernt - Ukrainer, Russen, Slowenen - aber was sagt denn die Statistik zu solchen Aktionen. Hat es genutzt - und wem hat es genutzt?

  • VR
    Volker Rockel

    Interessant ist, wie unterschiedlich die Begrifflichkeit von "Fachkräften interpretiert wird!- Der VDI versteht darunter "Ingenieure", die gängige Definition spricht von Menschen "mit abgeschlossener Berufsausbildung“;. übrigens ohne Berücksichtigung derer, mit abgeschlossenem Hochschulstudium!

     

    Offensichtlich zieht sich diese missverständliche Interpretation auch durch die politische Diskussion!?- Zumindest habe ich bislang keinen Politiker gehört der mal klar und deutlich gesagt hat, was er denn mit „Fachkraft“ eigentlich meint!

     

     

    Und die Zahlen des VDI (s. HAZ- Online v. 02.08.2010 „Job-Immigration Merkel bremst erleichterten Zuzug ausländischer Fachkräfte“) ?- Die gehörten auch mal hinterfragt! Denn wir haben vermutlich in Deutschland eine nicht unbeachtliche Zahl von Menschen, die nicht „arbeitslos“ sind aber trotz Ingenieurstudiums in anderen Jobs tätig geworden sind oder tätig werden mußten (s. z.B. Mitbürger aus den ostdeutschen Bundesländern!) oder selber abgewandert im Ausland tatig sind und wir haben auch eine beträchtliche Anzahl von Frauen, die ein abgeschlossenes Studium aufweisen aber nicht tätig werden können, weil es z.B. an einer ausreichenden Kinderbetreuungsmöglichkeit fehlt oder Betriebe in der Arbeitszeitgestaltung zu unflexibel sind!

     

     

    D.h., das „Potential“ des Arbeitsmarktes um Stellenbesetzungslücken auszugleichen, ist in Deutschland ohne weiteres vorhanden!- Das Problem was wir in Deutschland haben ist ein anderes;- zum Teil von der Wirtschaft selbst verschuldet aber mit Sicherheit von der Politik mitverschuldet:

     

    Die deutschen Unternehmen verweigern sich zunehmend der Weiterqualifizierung von bestehenden Fachkräften!- Der Grund ist relativ einfach, es ist billiger eine „Fachkraft“ teuer aus dem Arbeitsmarkt "einzukaufen" als eine bestehende Fachkraft kontinuierlich weiterzuentwickeln. Mithin die Wissensbasis angemessen zu erweitern oder up to date zu halten!

     

     

    Daraus resultiert auch ein bestimmtes Vorgehen der Arbeitgeber, sie suchen nicht z.B. den breit angelegten Ingenieur, sondern den Ingenieur der bereits ausreichend spezialisiert dem spezifischen Anforderungsprofil der Stelle oder dem Bedarf des jeweiligen Projekts entspricht.- Überspitzt formuliert,- möglichst unter 30 ist, unverheiratet, mindestens zwei Fremdsprachen beherrscht, moderate Gehaltsvorstellungen hat und exakt dem aktuellen spezifischen Anforderungsprofil der Stelle entspricht!

     

     

    Mithin steht auch das, was das Studium und Ausbildung vom Inhalt her liefern, längst nicht mehr im Einklang zu dem, was die Wirtschaft an spezifischem Know How oder Fertigkeiten abfordern!

     

    Die Wirtschaft will möglichst junge („billige“) Fachkräfte in die sie kein Geld mehr investieren muss und die vom Start weg sich nahtlos in Arbeitsprozesse einpassen lassen und, wo immer möglich, bestehende spezifische Know How- oder Fertigkeitslücken schließen!- Die Wirtschaft will sich quasi aus dem „Regal des Arbeitsmarktes“ jederzeit bedienen können und anforderungsgerecht Fachkräfte aus dem Arbeitsmarkt bekommen können!

     

    Die Konsequenz ist, das mit dem immer spezifischer werdenden Anforderungesprofilen, sich auch das Fachkräfteangebot des Arbeitsmarktes immer weiter verengt!

     

    Oder anders ausgedrückt: In Deutschland wir auf hohem Niveau von der Industrie "gejammert".- Im Übrigen ist der durch die Wirtschaft thematisierte "Fachkräftemangel" ein im wesentlichen spezifisches deutsches Problem!

     

     

    Nur - und das wird geflissentlich von der Politik übersehen(!)- das ist kein „Fachkräftemangel“ der sich an der Verfügbarkeit von „Arbeitskraft“ festmachen läßt!

     

    Und offensichtlich will die Politik auch garnicht so differenziert auf das „eigentliche Problem“ schauen!?- In Deutschland stehen weiterhin Tausende der als fehlend bezeichneten „Fachkräfte“ auf der Strasse oder machen Jobs die immer weniger mit ihrer eigentlichen Ausbildung zu tun haben!

     

    Und hier zeigt sich die ganze Schwäche der Arbeitsmarktpolitik;- es gibt in Deutschland kein Konzept, wie man dieses vorhandene und weiterhin ausbaufähige Fachkräftepotential wieder für den Arbeitsmarkt erschließt und in Einklang mit den (überzogenen!) Anforderungeprofilen der Wirtschaft bringt!

     

     

    Ich stelle fest: Diese Diskussion über den "Fachkräftemangel" wird nicht nur falsch geführt - weil weder durch die Politik klar definiert wird „was man eigentlich meint“, noch wird über die eigentlichen Ursachen qualifiziert diskutiert- sie wird interessensorientiert völlig überzogen geführt und offensichtlich auf einer Abstraktionsebene, die die politischen Diskutanten offenbar selber nicht mehr verstehen!? (aber das scheint in Deutschland inzwischen ja ohnehin die Regel zu sein!)

     

     

     

    Man könnte fast den Eindruck haben, mit dem Thema „Fachkräftemangel“ verhält es sich so, wie mit dem angeblich hohem Eisengehalt bei Spinat!- Generationen von Kindern wurden, wegen des angeblich hohen Eisengehaltes, mit Spinat vollgestopft!- Bis sich herausstellte, das diese Annahme - das Spinat einen hohen Eisengehalt hat - auf einem simplen Irrtum beruhte!

  • V
    vic

    Sie sollten es den ausländischen Arbeitnehmern ersparen, kaum angeworben wieder rausgeschmissen zu werden. Zeitarbeit, Hungerlohn, rechtlose Knechte - darauf läuft das doch hinaus.

  • V
    vic

    mindestens 64.000 als Aufenthaltsgenemigungs-Hürde. Nicht übel.

    Angesichts dieser Messlatte müsste man die meisten Deutschen ausweisen.

  • W
    Wolfgang

    Statt Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften benötigen wir eine Qualifizierung in Schule und Beruf. Deutschlandmuss doch in der Lage sein, seine Leute so zu qualifizieren, dass sie einsetzbar sind. Qualifizierungen müssen natürlich entsprechend der Nachfrage der Arbeitgeber und entsprechend dem Angebot von Schulungsunternehmen erfolgen.