Bye Bye, Roland Koch: Ein Feindbild verabschiedet sich
Hessens Ministerpräsident Roland Koch verlässt die Politik - mit militärischen Ehren, Kartoffelsalat und Würstchen. Eine Demonstration schlechten Geschmacks.
Er habe "den Streit als Lebensform kultiviert". Um den heißen Brei herumzureden sei nie sein Ding gewesen. Und an ihm gestört habe sie allenfalls, "dass er sich manchmal mehr als notwendig für die Bundespolitik interessiert hat". Nur Gutes sagt die Kanzlerin am Montagabend auf dem Abschiedsempfang der Hessischen Landesregierung für den scheidenden Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) über ihren Parteifreund Roland Koch. Dabei lächelt Angela Merkel oft verschmitzt. Und alle lächeln mit.
Erst kurz zuvor war der Ehrengast in der Rotunde des während der Regentschaft von Fürst Georg August zu Nassau-Idstein erbauten barocken Prachtschlosses Biebrich angekommen. Dort wartet schon der anachronistische Zug auf ihn: katholische und protestantische Bischöfe, Synodale, hohe Offiziere aller Waffengattungen, Verfassungs- und andere Richter, Oberstaatsanwälte, Wirtschaftskapitäne, Polizeipräsidenten, Professoren, Rektoren, Ordinarien, Politiker aller Farben und Gewichtsklassen.
Nur die Linke boykottierte. Nicht nur, weil sich deren Landtagsabgeordnete da nicht subsumiert sehen wollten - und auch nicht eingereiht in die Warteschlange für das Defilee vorbei an Koch und seiner Frau Anke (das Händeschütteln dauerte gut 90 Minuten). Die Linke missbilligte vor allem die "militärischen Ehrung", die Koch nach der eher akademischen Feier im Schlosshof noch zuteil werden sollte.
Eine kluge Entscheidung. Denn seinem Motto: "Provokation als Programm!" blieb Koch auch am Vorabend seiner endgültigen Demission treu. Statt Lachs und Kaviar lässt der Eschborner von livriertem Personal Kartoffelsalat mit Würstchen auftragen. Das Heeresmusikkorps II der Bundeswehr spielt danach, unterstützt von Musikern der US-Armee, Marschmusik und Lieder von Udo Jürgens: "Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden", respektive ein Leben "mit Sahne". In jeder Beziehung eine nicht zu verzeihende Demonstration schlechten Geschmacks.
Wie auch immer: Seit diesem Dienstag ist Koch weg vom politischen Fenster. Und ein Weg zurück, sagt er, werde sich für ihn auch nicht mehr finden lassen. Die Linke in Deutschland verliert also ihr Feindbild Nummer eins. Scharfmacher und Hetzer wurde er genannt, Demagoge und Populist. Und das oft ganz zu Recht. Schließlich putschte sich Koch 1999 mit der perfiden Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, die fremdenfeindliche Ressentiments schürte, quasi an die Macht. Und dass das von ihm im Landtagswahlkampf 2008 geforderte Wegsperren auch straffällig gewordener Kinder für ihn selbst zum Rohrkrepierer wurde, ist nur dem kollektiven Widerstand einer liberaler und wacher gewordenen Gesellschaft geschuldet.
Richtige Feinde waren Koch allerdings ohnehin lieber als falsche Freunde. Mit dieser Zeitung und ihren Repräsentanten in Hessen jedenfalls ging Koch immer fair um. Und in der Ära Koch wurde in Hessen eine auch nach Auffassung von Einwandererverbänden vorbildliche Integrationspolitik praktiziert. Auch dass er jetzt den Bundesbanker Thilo Sarrazin (SPD) für seine abstrusen Thesen zu Menschen islamischen Glaubens und zu Juden scharf kritisiert hat, ehrt ihn. Dass er viele Wunden geschlagen hat, weiß Koch aber auch. In seiner Abschiedsrede bittet er dafür um Entschuldigung. Und auch für sein Naturell. Er habe eben bis zuletzt "Politik mit Haut und Haaren betrieben". Sein Ziel als Politiker sei es immer gewesen, "Spuren und Furchen zu hinterlassen". Roland Koch tritt von der politischen Bühne ab. Und über Wiesbaden reißt der lange mit Regenwolken bedeckte Himmel plötzlich auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen