Arte-Doku über Ex-US-Präsident Reagan: Kalter Krieger in mildem Licht
Ein junger französischer Filmemacher zeichnet mit "Ronald Reagan, Karriere eines Unterschätzten" ein überraschend wohlwollendes Bild des US-Präsidenten (Mi., 20.15 Uhr, Arte).
Moskau, Juni 1988: Seite an Seite schreiten Michail Gorbatschow und Ronald Reagan über den Roten Platz. Kurz zuvor haben sie einen Vertrag zum vollständigen Abbau aller atomaren Mittelstreckenraketen unterzeichnet. Der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA ist damit faktisch beendet. Die Deutung der Szene war lange Zeit relativ unumstritten: Auf der einen Seite Gorbatschow, der große Reformator, der sein Land aus der wirtschaftlichen und politischen Sackgasse geführt hat. Auf der anderen Seite Reagan, der republikanische Hardliner, ein politisch inkompetenter Exschauspieler und Naivling, den der Lauf der Geschichte unverdient begünstigt hat.
Der französische Filmemacher Antoine Vitkine ("Mein Kampf - Geschichte einer Hetzschrift") stellt in seiner Dokumentation "Ronald Reagan, Karriere eines Unterschätzten" eine völlig konträre These auf: Für ihn ist Reagan der klare Sieger des Kalten Krieges, der den russischen Bären mit dem richtigen Maß an Härte und Verhandlungsgeschick in die Knie gezwungen hat.
Streng chronologisch arbeitet sich Vitkine (33) an Reagans Laufbahn ab, verwendet dabei vor allem Originalmaterial aus Filmen und TV-Mitschnitten. Zu Wort kommen fast nur Personen aus Reagans nächstem Umfeld: Seine langjährigen Berater Richard Allen und Edwin Meese etwa, oder der hochrangige CIA-Beamte Herbert E. Meyer. Angefangen beim betulichen Start in Illinois über Reagans Schauspiel-Karriere in B-Movies (schon damals auf die Rolle des "Guten" abonniert) bis zu seiner Politisierung im Zweiten Weltkrieg.
Reagan war wegen einer Sehschwäche vom Frontdienst befreit, in der Heimat drehte er Dokumentationen über die Befreiung der Konzentrationslager. Die Begegnung mit dem Holocaust wurde für Reagan zum politischen Initiationserlebnis. Als Vorsitzender der Schauspielergewerkschaft vertritt er zunächst eher linke Positionen. Während der von Senator McCarthy betriebenen Kommunistenverfolgung wechselt Reagan die Seiten und verpfeift Kollegen ans FBI.
Obwohl er erst 1962 in die republikanische Partei eintritt, wird er schnell zum Favoriten des rechten Flügels. 1967 ist er bereits Gouverneur von Kalifornien, sorgt mit radikal-liberaler Wirtschaftspolitik für Aufschwung. Bei den internen Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur scheitert er zweimal - 1968 an Richard Nixon und 1976 an Gerald Ford. In den siebziger Jahren gilt er bereits als Mann von gestern - bis 1979 die Sowjets in Afghanistan einmarschieren und der Kalte Krieg eine erneute Zuspitzung erfährt. Mit seiner Schwarz-Weiß-Rhetorik stilisiert sich Reagan als richtiger Mann zum richtigen Zeitpunkt und setzt sich bei den Wahlen 1980 gegen den Demokraten Jimmy Carter durch. Den markigen Worten lässt Reagan schnell Taten folgen: Er forciert die Rüstungsausgaben, lässt Raketen am Eisernen Vorhang stationieren und ein Raketenabwehrsystem im Weltall installieren. Nicht nur in Europa wird Reagans Politik bis heute als Spiel mit dem Feuer gesehen.
Vitkine hält dagegen: Der Rüstungswettlauf sei keine gefährliche Cowboypolitik, sondern ein brillanter strategischer Schachzug gewesen. Die finanziell ruinierte Sowjetunion sei so zu Reformen gezwungen gewesen. Der Weg für Michail Gorbatschow war frei. Vitkines positive Sichtweise wirkt originell, aber aus heutiger Sicht auch ein wenig provozierend. In den vergangenen 20 Jahren beriefen sich vor allem republikanische Politiker auf die Reagan'sche Tradition - und richteten damit von Irak bis Afghanistan unberechenbare Schäden an. Eine ausgewogenere Auswahl der Gesprächspartner hätte dem Film nicht geschadet. So zeigt Vitkine Reagan jedoch vor allem als einen geschickten Tänzer auf dem Drahtseil der Weltdiplomatie. Ob die Politik des George W. Bush mit genügend Abstand wohl einmal eine ähnlich wohlwollende Umdeutung erfahren wird?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal