Island zwei Jahre nach dem Finanzkollaps: Anklage gegen Ex-Ministerpräsidenten
In Island bahnt sich ein Gerichtsverfahren gegen den Ex-Ministerpräsidenten sowie drei MinisterInnen an. Sie sollen den Finanzkollaps des Landes fahrlässig mitverursacht haben.
STOCKHOLM taz | Wegen Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit dem Finanzkollaps, der Island an den Rand des Staatsbankrotts brachte, soll die damalige politische Führung nun vor Gericht gestellt werden. Das schlägt eine parlamentarische Untersuchungskommission vor, die die Rolle der Politik vor dem Zusammenbruch der isländischen Großbanken im Herbst 2008 unter die Lupe genommen hat. Das Fazit der Kommissionsmehrheit: Exregierungschef Geir Haarde und drei MinisterInnen seines Kabinetts treffe ein Mitverschulden. "Eine schwere Anklage", kommentiert die jetzige Ministerpräsidentin Jóhanna Sigurdardóttir.
Stimmt eine Mehrheit des isländischen Parlaments, des Althings, zu - und die Mehrheitsverhältnisse machen das wahrscheinlich -, käme auf Island ein historisches Verfahren zu. Für Anklagen und Verfahren gegen PolitikerInnen wegen Verfehlungen in ihrer Amtsführung wäre der Landsdómur zuständig. Dieser Landesgerichtshof ist eine spezielle Institution, die 1905 geschaffen wurde und seitdem noch nie zusammengerufen worden ist.
In ihrem 274-seitigen Bericht wirft die Kommission dem damaligen Ministerpräsidenten Haarde vor, er habe bereits im Frühjahr 2008 gewusst, dass die isländischen Banken auf der Kippe standen. Weil er trotzdem nicht aktiv geworden sei, habe er gegen seine Amtspflichten verstoßen.
Ex-Außenministerin Ingibjörg Sólrún Gísladóttir wird beschuldigt, als Vorsitzende der Sozialdemokraten über interne Informationen zur Lage der Glitnir-Bank verfügt zu haben, die sie dem damaligen Finanzmarktminister Björgvin G. Sigurdsson vorenthielt. Diesem wiederum wird angekreidet, selbst das, was er wusste, hätte ihn zum Eingreifen veranlassen müssen. Ebenso wie der vierte Beschuldigte, Ex-Finanzminister Árni M. Mathiesen, habe er über Informationen seitens der isländischen Zentralbank verfügt, wonach an der unhaltbaren Situation vor allem der Icesave-Bank kein Zweifel aufkommen konnte.
Eine Kommissionsminderheit scheiterte mit ihrem Vorstoß, der gesamte Prozess, der in den Jahren 2002/03 zur Privatisierung der einst staatlichen Banken geführt hatte, solle unter die Lupe genommen werden. Und eine Mehrheit argumentierte darüber hinaus, auch die Führungen von Zentralbank und Finanzaufsicht hätten sich fahrlässig verhalten. Was allerdings nicht unter die Zuständigkeit des Landsdómur, sondern der normalen Gerichtsbarkeit fallen würde. Die Staatsanwaltschaft hat aber bereits entschieden, keine Anklage zu erheben. Begründung: Die Anklagen seien nicht konkret genug.
Ex-Ministerpräsident Haarde verteidigt sich: Die Untersuchungskommission sage nicht, wie genau er sich in den fraglichen Entscheidungssituationen hätte anders verhalten können oder müssen. Im Übrigen sei er von den Bankmanagern so nach Strich und Faden belogen worden, wie ihm das in seiner langen politischen Laufbahn nie vorher passiert sei.
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