: Das Leuchten der Gipfel
REISEMALER Johann Moritz Rugendas, Ferdinand Bellermann, Eduard Hildebrandt malten in Mittel- und Südamerika fast impressionistisch. Eine Ausstellung im Kupferstichkabinett
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Scharf zeichnet sich der Rand des Kraters gegen den morgenhellen Dunst über den Bergen ab. Gelb, fast golden konkurriert das Licht des erwachenden Tages mit der Glut des Feuers im Kessel des Vulkans. Zwei kleine Figuren am Kraterrand genießen das Naturschauspiel: Das könnten der Geologe Eduard Harkort und der Maler Johann Moritz Rugendas sein, die Anfang Februar 1834 als Erste den Vulkan von Colima im Westen Mexikos bestiegen.
Zumindest als Erste, von denen man weiß. Nicht nur, weil Harkort geologische und geognostische Messungen während der Besteigung und auf dem Gipfel durchführte, sondern vor allem, weil Rugendas gar nicht aufhören konnte, die Landschaft zu skizzieren. Das Indianerdorf am Fuße des Vulkans. Blick auf den Gipfel in der Ferne, Blick in den Krater während einer Eruption. Die Vulkanbesteigung gilt als einer von vielen Höhepunkten der Reise von Rugendas durch Mexiko 1831 bis 1834. 1.000 Ölskizzen, Zeichnungen und Aquarelle entstanden vor Ort.
Rezeption im Salon
Man möchte das Staunen über diese durch ihren Pioniergeist ebenso wie durch ihre ästhetische Ausbeute bestechende Reise noch ein bisschen auskosten, bevor man mit Zahlen aus Rugendas’ Leben fortfährt. Denn insgesamt 16 Jahre war er auf seiner zweiten großen Tour unterwegs, durch Mexiko, Chile, Peru, Bolivien und Uruguay. Zuvor war er schon einmal drei Jahre durch Brasilien gereist. Die Ausstellung, die das Kupferstichkabinett jetzt ihm und zwei weiteren Malern der „Neuen Welt“ – Ferdinand Bellermann und Eduard Hildebrandt – widmet, ist gemessen an ihrem Drang ins Unbekannte und den zu Fuß oder auf Reittieren zurückgelegten Entfernungen viel zu klein.
Dennoch passt das Intime des Ausstellungssaals zu einer Ästhetik, die mit ihren kleinen Formaten auf eine Rezeption daheim im Salon, unter königlichen Mäzenen und reichen Bildungsbürgern zielte. Denn nach Mittel- und Südamerika kamen die drei unabhängig voneinander agierenden Künstler, weil es 30 Jahre nach der Aufsehen erregenden Reise des Alexander von Humboldt allmählich einen Markt für schöne Schaustücke aus der Neuen Welt gab.
Humboldt kümmerte sich um Stipendien für die Künstler und sorgte für den Weg der Bilder in königliche Sammlungen in Berlin und München und später in das neugegründete Kupferstichkabinett. Für ihn waren ihre Bilder visuelle Informationen, die weitertransportierten, was auch er gesehen hatte. Leider verebbte mit seinem Tod das Interesse der Museen für diesen Bestand, vieles ging verloren. Erst seit den 1980er-Jahren wurde das Verbliebene als Schatz betrachtet.
Zu dieser Umwertung hat wesentlich auch das Interesse aus den Ländern Lateinamerikas an den drei Künstlern beigetragen. Sie kamen in einer Zeit des Umbruchs, gerade als sich viele Länder aus der Herrschaft Spaniens und Portugals befreit hatten. Deshalb werden ihre Bilder von spektakulären Landschaften, von Wasserfällen und Höhlen, von Urwald und Ebenen, aber auch aus den Städten als historische Dokumente geschätzt. Rugendas malte Drachensteigen in Mexiko-Stadt, Prozessionen und Feste auf dem nächtlichen Zòcalo, Hildebrandt Kirchen und Märkte in Rio de Janeiro. Nicht zuletzt durch ihr Interesse, auch die afrobrasilianische und indigene Bevölkerung in individuellen Porträts darzustellen, eroberten sich die drei deutschen Künstler einen wichtigen Platz im Imaginarium Lateinamerikas.
Dass dies freilich oft durch die europäische Brille geschah, zeigen zwei Porträts Rugendas’, der mexikanische Indios in einem operettenhaften Duktus darstellte. Die Frau, die gedankenversunken eine Blume betrachtet, während ihr Kleid von der Schulter rutscht, könnte auch eine romantische Carmen sein; der Mann, der den vom Hut verschatteten Blick in die Landschaft lenkt, ihr Don José.
Schauder vor der Größe
Der aus Augsburg stammende Rugendas, der nach seiner ersten Brasilienreise für einige Jahre nach Europa zurückgekehrt war, musste sich Vorwürfen stellen, ein indianisches Begräbnis nach dem Muster einer biblischen Szene von Rembrandt gemalt zu haben. In der Landschaft gelang es ihm besser als in den Genreszenen, die Perspektive dem Motiv anzupassen und technisch neue Wege zu gehen. Vermutlich auch deshalb, weil er in Italien die Bilder von William Turner gesehen hatte, der in England die Malerei aus dem Atelier befreit hatte und rausgegangen war, lange bevor andere Künstler diesen Weg beschritten.
Wie viel Weite, wie viel Höhe Rugendas auf kleiner Fläche zu bannen vermochte! Man kann nur schwärmen davon, wie Schneegipfel aus dem Dunkeln über dem Biwak leuchten, Wolken über das Hochgebirge ziehen. Das Verlangen nach der Überwältigung, nach dem Schauder vor der Größe der Natur, das die Künstler der Romantik bewegte, hier schien es auf Schritt und Tritt eingelöst.
Heute besitzt das Kupferstichkabinett, das die Bilder zu seinem ältesten Bestand zählen kann, 156 Ölszkizzen Rugendas’ aus Mexiko, 235 von Bellermanns Reisen in Venezuela, 160 Aquarelle von Hildebrandt in Brasilien. Der Katalog, den die Kuratorin Sigrid Achenbach dazu herausgegeben hat, ist ein schönes und informatives Bilderbuch. Schade nur, dass die Museen so lange gewartet haben, diesen vergessenen Schatz zu heben.
■ Kunst um Humboldt. Reisestudien aus Mittel- und Südamerika im Berliner Kupferstichkabinett. Bis 11. April 2010, Katalog 29,90 Euro
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