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die wahrheitSieg des Mittelmaßes

Coaching für Nachwuchsjournalisten - Erfolgreich Kolumnen verfassen.

Typischer Nachwuchsjournalist mit darwineskem Rauschebart. Bild: dpa

Immer wieder wird Darwins berühmtes Wort vom "Survival of the Fittest" fehlerhaft ins Deutsche übersetzt und falsch verstanden. Es meint eben nicht das "Überleben des Stärkeren", sondern, dass sich in der Evolution stets das Mittelmäßige durchsetzt. Nur wer sich anpasst, hat Erfolg. Das lässt sich bis in den Journalismus verfolgen, der offenbar wie alle Lebensbereiche momentan dringend ein Coaching benötigt. Sterneköche triezen unfähige Praktikanten, Supernannys betreuen vernachlässigte Kinder, Schuldnerberater retten heruntergekommene Pumpgenies - Lebenshilfe auf allen Kanälen. Da dürfen Nachwuchsjournalisten nicht fehlen, denen hier mit sieben Hilfestellungen gezeigt werden soll, wie man in diesem Beruf Karriere macht und das Ziel aller Ziele erreicht: Kolumnist in der Brigitte oder im Readers Digest zu werden. Um erfolgreich zu sein, muss man frühzeitig anfangen, mittelmäßige Kolumnen zu schreiben. Und das geht so:

1. Liebe direkte Anrede

Was die Durchreiche in einer Wohnung der sechziger Jahre für die moderne Hausfrau war, das ist die direkte Anrede als Einstieg für den mittelmäßigen Kolumnisten: "Liebe Leserinnen und Leser …" Das ist der simpelste erste Satz, den es gibt, also genau das Richtige für einen zukunftsorientierten Nachwuchsjournalisten. Nach der direkten Anrede kann als Thema kommen, was will, der Leser oder zumindest der dumme Leser ist dem Schreiber wohlgesonnen, der sich bereits sehr beliebt gemacht hat.

2. Schöner Urlaub

Thema Nummer eins ist der Urlaub. Eine Kolumne ist die natürliche Fortsetzung des Schulaufsatzes "Mein schönstes Urlaubserlebnis". Eine Kolumne ist prinzipiell dafür da, persönliche Erlebnisse oder subjektive Einschätzungen von Ereignissen aufzubereiten. Und der Urlaub ist immer noch das einzige Großereignis, das der Journalist persönlich erlebt. Sonst bewegt er sich nur ungern von seinem Schreibtisch weg. Lieber telefoniert er und tut so, als ob er recherchiert. Dann schreibt er am Ende doch wieder alles nur von Kollegen ab. Da sollte der Nachwuchsjournalist keine Ausnahme sein und schnell lernen.

3. Die Aufhängerfrage

Die Kolumne braucht immer einen Aufhänger. Dabei handelt es sich um eine Frage, die dem Nachwuchsjournalisten nach seinem Urlaub von einem Kollegen gestellt wird. Da Journalisten auch als Kollegen nicht besonders originell sind, kommen ihnen keine intelligenten Fragen in den Sinn wie zum Beispiel: "Warum rauchen alle Postboten?" oder "Warum betreten schöne Frauen nie das Oberdeck eines Doppeldeckerbusses?"; sondern sie fragen: "Wie wars im Urlaub?" Und nun aufgemerkt, Nachwuchsjournalisten! Jetzt kommt der entscheidende Trick der Kolumne. Man erzählt nichts Neues, denn man ist schließlich nur irgendwo hingefahren, um sich selbst zu finden. Und in einem selbst ist … - na, was? Nichts! Deshalb reist man auch nicht in ein weit entferntes oder ein verbotenes Land, man fährt lieber in eine Gegend, die der Leser kennt. Also beschreibt man die ewig gleichen Orte, die wiedererkannt werden können. Denn auch für die mittelmäßige Kolumne gilt, was für die Werbung Grundgesetz ist: Die Repetition der Repetition schafft einen Wiedererkennungswert, der auf den Kolumnenspießer zurückstrahlt.

4. Das gute Dummdeutsch

Kolumnieren, das bedeutet immer noch "Locken auf der Glatze drehen". Die Locken der Kolumne bestehen aus Wörtern und Sätzen. Und deshalb sollte sich der Nachwuchsjournalist keinen Deut kümmern um all die großen Wortmetze mit ihren Anmerkungen zu all den Wortbedeutungen. Um das Schreiben zu lernen, muss man lesen, lesen, lesen. Der Nachwuchsjournalist sollte lieber seinem Sprachgefühl freien Lauf lassen, denn mehr als Gefühl besitzt er eh nicht. Sein Verstand eignet sich allenfalls dazu, Wohlgefallen beim Leser zu erzeugen, und allein das will er ja auch erreichen.

5. Eltern erwähnen

Ganz wichtig ist es, die Eltern in der Kolumne zu erwähnen. Man schickt den Erzeugern sowieso jedes Artikelchen als Beweis dafür, dass man verblüffenderweise doch in einem Beruf Fuß gefasst hat. Eltern sind immer noch die idealtypischen Leser. Aber leider vergisst man dann im Urlaub, ihnen Postkarten zu senden! So kann man das wunderbar nachholen in der Kolumne, in der die Eltern sogar vorkommen, wie man ihnen mit schenkelzwinkerndem Augenklopfen mitteilt, auf dass sie der elterliche Stolz schier wegrafft.

6. Anständig bleiben

Eigentlich müsste eine Urlaubskolumne davon berichten, was man Unglaubliches erlebt hat: Man ist geradezu indisch durchgevögelt worden, hat sich beinahe russisch betrunken oder mexikanisch bedröhnt. Aber das darf man seinen Lesern, vulgo den Eltern, nicht zumuten. Nein, man macht auf Kultur! Kultur ist immer gut! Ein gutes Buch lesen, eine herrliche Ausstellung besuchen, ein historisch wertvolles Monument besichtigen - das macht das Wesen des Kolumnisten aus. Abgründe gehören in abseitige Medien, man selbst bleibt gefälligst anständig und sauber.

7. Richtig bewerben

Jede Kolumne ist für den Nachwuchsjournalisten immer auch ein Bewerbungsschreiben. Man will schließlich vorankommen im Journalismus. Also bloß nicht aus dem Rahmen fallen! Weder sprachlich, noch gedanklich. Bitte keine Idee haben, sondern in jeder Zeile dem Mittelmaß treu bleiben, damit es auch etwas wird mit der Brigitte oder dem Readers Digest - als Sieger der Kolumnenevolution, die das Mittelmaß bis in alle Ewigkeit weiterträgt durch sämtliche Epochen des Journalismus.

Ach ja: Und nicht das Porträtfoto neben der Kolumne vergessen!

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1 Kommentar

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  • N
    Naskolnikov

    Warum ein Foto von Fritz Jott Raddatz und nicht ein solches von Darwin den Aufmacher dieses Artikels ziert, wird wohl Geheimnis der Redaktion bleiben.