Überwachung: Big Brother im Seniorenheim

Weil ein Teewagen verschwunden ist, sind in einer Wohnanlage 33 Kameras installiert worden. Mieterverein und Datenschützer: Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.

Eine der 33 Videokameras in der Sophie Döhner-Hube Stiftung in Borgfelde. Bild: taz

Das rote Backsteingebäude im Borgfelder Quellenweg - einer ruhigen Einbahnstraße, die in die Sievekingsallee mündet - ist unscheinbar. Es wurde 1955 bis 1957 erbaut und gehört der Sophie-Döhner-Hube-Stiftung. In dem Seniorenstift gibt es 100 Appartments. 30 Quadratmeter mit Küche, Duschbad und Toilette. Auf den Stockwerken sind kleine möblierte Nischen, wo sich die Mieter zum Plauschen treffen können. Doch Rolf Hohnemann fühlt sich nicht mehr wohl.

Seit Juli hängen in den Hausfluren sichtbar Videokameras, eine ist direkt auf seine Haustür im zweiten Stock gerichtet. Rote blinkende Lämpchen signalisieren Aktivitäten. "Ich fühle mich beobachtet, weil Bewegungsprofile erstellt werden können", sagt Hohnemann.

33 Videokameras hat die Hausverwaltung installieren lassen. In der Mitgliederzeitung ist dies damit begründet worden, dass "vor kurzem ein Teewagen" und "ein kleiner Tisch" entwendet worden seien. Das wolle die Stiftung "nicht mehr so einfach hinnehmen" und zur Sicherheit werde man "die gesamten Flure und Treppenhäuser mit Videokameras zur Überwachung" ausstatten.

In zwei Schreiben an die Verwaltung hat Hohnemann die "unverzügliche Entfernung der Videoanlagen" und die "Einstellung der Überwachung der Wohnanlagen" gefordert. Bis heute hat er keine Antwort erhalten. Hohnemann hat die Befürchtung, dass die Kameras alles aufzeichnen - "zu welchem Zeitpunkt ich meine Wohnung verlasse und wieder nach Hause komme und wer mich besucht", sagt er. Ungeklärt sei, wie lange die Filme wo gespeichert würden und wer auf die Bänder zugreifen könne.

Ein gewisser Überwachungsdrang der Stiftung findet sich bereits in den Mietverträgen wieder. "Das Übernachten von Fremden, Verwandten oder sonstigen Angehörigen ist nicht gestattet", heißt es. Ausnahmen könne die Verwaltung in Einzelfällen zulassen, "diese muss aber hiervon vorher in Kenntnis gesetzt werden".

Hohnemann hat inzwischen über die Linkspartei den Datenschutzbeauftragten eingeschaltet. Auf ein Anschreiben bekam die zuständige Sachbearbeiterin, Cornelia Goecke, zur Antwort, dass es sich bei den Kameras ausschließlich um Attrappen handeln würde, die der Abschreckung dienen sollen. Da es keine Anhaltspunkte gebe, dass die Angaben falsch seien, sieht Goecke aus Kapazitätsgründen keine Veranlassung, sofort etwas zu unternehmen. In Kürze werde man aber mit der Stiftung ein Termin für eine Ortsbesichtung vereinbaren. Obwohl die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes nicht anwendbar seien, haben die Datenschützer interveniert. "Wir haben der Sophie-Döhner-Hube-Stiftung nahe gelegt, die Attrappen abzubauen", sagt Goecke. "Auch Attrappen verletzen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Bewohner und Besucher, da die Funktionsunfähigkeit der Kameras nicht erkennbar ist."

"Attrappen ändern an der Sachlage gar nichts", sagt auch Sylvia Sonnemann, Juristin vom Verein Mieter helfen Mietern. Videoüberwachung könne nur mit dem Einverständnis der Bewohner installiert werden, sagt sie. "Wenn nur einer sagt: ,Ich hab keinen Bock darauf', dann geht es nicht." Sonnemann verweist auf die eindeutige Rechtssprechung, die in der Videoüberwachung von Hauseingängen, Treppenhäusern oder Aufzügen einen Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte sieht. Auch Attrappen erzeugten einen "Überwachungsdruck", da nicht erkennbar sei, ob die Kameras arbeiten, so dass sie zu Verhaltensänderungen führen und sich sogar Besucher abgeschreckt fühlen könnten.

"Die Videoüberwachung im Wohnstift ist ein skandalöser und rechtwidriger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte", sagt die Innenpolitikerin der Linkspartei, Christiane Schneider. Sie fordert eine Entschuldigung des Stiftes für die "Grundrechtsverletzung".

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