Wasser: Der gefesselte Wolf
Der Wasserpreis beruht auf einer verfassungswidrigen Formel. Als Oppositionspolitiker hatte Harald Wolf das kritisiert. Als Wirtschaftssenator hat er später eine Regelung gefunden, die auf die alte Formel hinausläuft. Eine Alternative habe es nicht gegeben, sagt Wolf.
Zwei Seelen schlagen in seiner Brust: Harald Wolf war 1999 beim Verkaufs der Wasserbetriebe der schärfste Kritiker. Heute ist der Linkspartei-Politiker nicht nur Wirtschaftssenator, sondern auch Aufsichtsratsvorsitzender der Wasserbetriebe - und an die Klauseln gebunden, die er vor einem Jahrzehnt bekämpft hat. Seit die taz vor einer Woche die geheimen Wasserverträge veröffentlicht hat, muss sich Wolf gegen die Kritik wehren, er sei mitverantwortlich für die hohen Wasserpreise. Besonderes Aufsehen erregte die Höhe der Zinsen, die vom Senat festgelegt werden und die die Wasserbetriebe auf ihre Preise einrechnen können. Die Geheimverträge zeigen: Die Zinsen werden in der Höhe festgelegt, die das Berliner Verfassungsgericht 1999 für unzulässig erklärt hatte. Harald Wolf hat im Gespräch mit der taz jetzt erklärt, wie es dazu kommt - und musste dazu weit in die Vergangenheit ausholen.
In den 90ern verkaufte die damals regierende große Koalition unter Eberhard Diepgen (CDU) reihenweise landeseigene Unternehmen wie die Gasag oder die Bewag. Für die Wasserbetriebe suchte der Senat nach Käufern, die 49,9 Prozent der Anteile übernehmen und dafür mehrere Milliarden Mark zahlen wollen. Um möglichst viel Geld einzunehmen, sicherte der Senat den Käufern eine Gewinngarantie zu.
Die Konstruktion dazu war kompliziert: Die Wasserbetriebe sollten nicht nur ihre realen Kosten auf die Wasserpreise umlegen. Zusätzlich sollte das Unternehmen für das Kapital, das für die Anlagen zur Wasserver- und -entsorgung notwendig ist, fiktive Zinsen berechnen. Die sollten dann den Wasserkunden in Rechnung gestellt werden. Da tatsächlich gar keine Zinskosten in dieser Höhe anfallen, sollte so ein Gewinn übrig bleiben. Und je höher die fiktiven Zinsen, desto höher der Gewinn.
Die entscheidende Frage ist daher, wie hoch der Zinssatz liegt. Die große Koalition bot den Käufern an, dass der Zinssatz nach folgender Formel berechnet wird: durchschnittliche Rendite von langfristigen Bundesanleihen plus 2 Prozentpunkte, von Fachleuten "r+2" genannt. Ende der 90er Jahre ergab diese Formel einen Zinssatz von etwa 8 Prozent.
3,3 Milliarden Mark flossen durch das Geschäft in den Landeshaushalt. Die damalige Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) brüstete sich mit den hohen Einnahmen. Doch der Senat verschwieg, was ihm damals hätte klar sein müssen: Die Einnahmen waren teuer erkauft - mit Klauseln, die zu steigenden Wasserpreisen führten. Die Berliner bekamen die Quittung mit ihrer Nebenkostenabrechnung .
Harald Wolf war 1999 im Parlament als Abgeordneter der oppositionellen PDS. Seine Fraktion klagte zusammen mit den Grünen vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof gegen das Geschäft. Und sie verlor weitgehend. Das Gericht erlaubte den Verkauf. Es erlaubte auch, dass die Kunden fiktive Kosten zahlen müssen und die Wasserbetriebe dadurch einen Gewinn machen, den sie an die Eigentümer ausschütten können. Es genehmigte sogar, dass man sich bei der Höhe des Zinssatzes daran orientiert, was Geldanleger an anderer Stelle erhalten. Nur ein fester Zuschlag von 2 Prozentpunkten sei nicht zu begründen und damit verfassungswidrig.
Die privaten Anteilseigner der Wasserbetriebe hatten sich in den geheimen Verkaufsverträgen allerdings eine Gewinngarantie geben lassen - für den Fall, dass die Wasserbetriebe wegen einer Gerichtsentscheidung die fiktiven Zinsen nicht in der geplanten Höhe über die Wassertarife eintreiben lassen können. In diesem Fall verpflichtete sich das Land Berlin, die entgangenen Einnahmen auszugleichen. Und so kam es auch: Wegen dieser Klausel erhielten die privaten Anteilseigner in den ersten Jahren nach dem Verkauf den größten Teil der Gewinne der Wasserbetriebe. Das Land Berlin musste nehmen, was übrig blieb.
Im August 2002 wird Harald Wolf Wirtschaftssenator in der rot-roten Koalition unter Klaus Wowereit (SPD). Nun ist auch er an die Klauseln gebunden, die er immer bekämpft hatte. "Die Verträge sind leider rechtskräftig geschlossen", sagt er im Gespräch mit der taz. Er hatte nun nur noch folgende Wahl: "Entweder wir zahlen aus dem Haushalt eine Ausgleichszahlung. Damit belastet man aber vor allem diejenigen, die auf öffentlichen Leistungen angewiesen sind, weil man da kürzen muss. Oder wir verteilen das gleichmäßig über alle Wasserkunden - private Haushalte und Unternehmen. Das war die fatale Alternative, vor die wir gestellt wurden durch den Vertrag von 1999."
Der rot-rote Senat entscheidet sich für die zweite Alternative. Dazu muss der Zinssatz wieder steigen, und zwar auf die Höhe von r+2. Zwar hatte das Verfassungsgericht diese Formel verworfen. Der Senat aber findet eine andere Lösung.
Das Verfassungsgericht hatte im Jahr 1999 erlaubt, dass der Zinssatz sich daran orientiert, wie viel Rendite ein Geldanleger an anderer Stelle erhalten kann. Harald Wolf schließt daraus: Diese Orientierung muss nicht unbedingt die vergleichsweise niedrige Rendite von Bundesanleihen sein.
In einer Änderung des Gesetzes über die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe wird daher eine neue Referenz vorgegeben: konservative Vermögensanlage. Die beinhaltet auch gut bewertete Aktien, Investmentpapiere, Genussrechte, Investmentsfonds, Immobilienfonds, Pfandbriefe und Unternehmensanleihen. Die Rendite ist jedenfalls deutlich höher als die Rendite von Bundesanleihen des Staates - und sogar höher als der Zinssatz nach der Formel r+2.
Daher legt das Gesetz fest: Der Senat beschließt jedes Jahr die genaue Höhe des Zinssatzes. Die Rendite von Bundesanleihen ist das untere Ende der Spanne, die Rendite konservativer Vermögensanleihen das obere Ende. Innerhalb dieser Spanne kann der Senat entscheiden. "Der Zinssatz wird vom Senat derzeit in einer Höhe festgelegt, die dem ursprünglichen Zinssatz r+2 entspricht, weil das Land dann keinen Ausgleich an die Privaten zahlen muss", sagt Harald Wolf heute. Auch in einer Änderung der Geheimverträge mit den privaten Anteilseignern erklärt das Land, der Senat werde den Zinssatz bei r+2 festlegen.
Anstelle der für verfassungswidrig erklärten Formel führt der Senat also eine neue ein. Statt eines niedrigen Referenzzinssatzes mit einem verfassungswidrigen Zwei-Prozent-Zuschlag gibt es nun einen höheren Referenzzinssatz ohne Zuschlag. Harald Wolf sieht sich damit auf der sicheren Seite - auch wenn das Ergebnis der Formel identisch ist.
Durch den hohen Zinssatz stiegen die Wasserpreise stark an. Sie liegen nun rund ein Viertel höher als 1999. Sie sind so hoch, wie die große Koalition es 1999 angelegt hatte - als ob es das Urteil des Verfassungsgerichtes nie gegeben hätte.
Harald Wolf hält es nach wie vor für richtig, den Zinssatz und damit die Wasserpreise so hoch anzusetzen. Das sei besser, als eine Ausgleichszahlung an die Privateigentümer RWE und Veolia zu leisten: "Dann zahlt der Steuerzahler die Gewinne der Privaten. Die kommen der Öffentlichkeit nicht zugute. Und der Gewinn, den das Land Berlin von den Wasserbetrieben bekommt, fällt weg. Davon zahlen wir aber Kindertagesstätten, Bildungsausgaben, Sozialleistungen."
Um die Wasserpreise zu senken und den Landeshaushalt weniger zu belasten, setzt Wolf auf ein Kartellrechtsverfahren. "Das ist der Hebel, über den man da rankommt", sagte er der taz. Das Bundeskartellamt überprüft derzeit, ob die Wasserpreise zu hoch sind. Laut Wolf zahlen die Berliner 15 bis 20 Prozent mehr als die Bewohner anderer Großstädte. Das Kartellamt könnte eine Preissenkung anordnen.
Der Clou: Für diesen Fall sehen die Wasserverträge laut Wolf keine Ausgleichspflicht vor. Die Gewinne der Wasserbetriebe würden also sinken, ohne dass das Land den privaten Anteilseignern den Verlust erstatten müsste. Wenn das klappt, hätte Harald Wolf doch noch einen Weg gefunden, die Gewinngarantie auszuhebeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!