piwik no script img

Die taz unterwegs im WendlandMein Castor

Aufblasbare Tierchen, fast-tödliche Hirsche, Azteken-Kakao und Schienenblockaden: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der taz über ihr schönstes Castorerlebnis. Oder über ihr hässlichstes.

Seifenblasen in der Straßenblockade zwischen dem Dorf Gorleben und dem Zwischenlager. Abends dann auch mit Rauch. Bild: Alexander Schwanitz

Sonntagmorgen auf den Schienen bei Harlingen. Sitzblockade. Auf den Gleisen sitzt ein Pärchen. Die beiden sind über sechzig und um Deeskalation bemüht. Sie befragen den Polizisten, der vor der Sitzblockade steht. Besonders die Frau gibt sich Mühe. Nach fünf Minuten hat sie herausbekommen, dass der Beamte aus Sachsen kommt und irgendwie ja auch gegen Atomkraft ist, sich aber Sorgen macht, wenn der Castor wegen der Blockade so lange in der Landschaft steht und alles verstrahlt. Er mache eben nur seinen Job.

Die Demonstrantin sagt: "Aber man kann seinen Job so oder so machen, das ist wie als Kassiererin im Supermarkt." Der Polizist schaut zu seinem Kollegen nach rechts. "Man kann freundlich sein und grüßen und danke sagen", sagt die Frau. "Oder die Leute anblaffen." Als sie ihn überreden will, von dem Kitkat, das er gerade ausgepackt hat, auf Fairtrade-Süßigkeiten umzusteigen, sagt der Polizist nichts mehr. LUISE STROTHMANN

Bahnhof Berg. Südblockade am Samstag. 12.30 Uhr. Es ist kalt und nass. Es herrscht Windstärke 12 (gefühlt). Egalité pur: Es frieren die Demonstranten, die Polizisten, die Journalisten. Dann kommt ER und schwingt die Alarmglocke: Der fetteste Bäcker der Südpfalz. Der ein Näschen fürs dicke Geschäft hat. In seinem Van stapeln sich Hörnchen, Brötchen und Brezeln. Hunderte stürzen sich darauf. Gerettet auch ich: Ein Schokostückchen und zwei Brezeln erbeutet. Eine Brezel biete ich einer leer ausgegangenen schönen Polizistin an. Sie blickt mich bitterböse an und beißt mir dann fast in die Hand. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Mit Luftmatratzen und aufblasbaren Tierchen, mit Bauhandschuhen und Schutzbrillen, in Overalls, ausgestopft mit Stroh oder Schaumstoff, ziehen hunderte Atomkraftgegner am Sonntagmorgen durch Wälder und Wiesen. So sehen also Schotterer aus. Am Ziel angekommen, wühlen die einen Steine aus dem Gleisbett, während die Umpolsterten Knüppel einstecken, um die Polizisten fernzuhalten. Stoppen können die Schotterer den Castor nicht. Aber sie zeigen: Protest ist nicht mehr nur Lichterkette. Das ist Wendland 2010: entschlossener Ungehorsam – wütend, friedlich. KONRAD LITSCHKO

Hunderte Castorgegner, von Schlagstöcken und Pfefferspray lädiert, ziehen nach einem Scharmützel zwischen Schotterern und Polizisten über einen Waldweg ab, an dem ein Wasserwerfer parkt. An dessen Windschutzscheibe ist ein Buch platziert: "Unter Linken" vom Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer, eine bitterböse Abrechnung mit dem linken Milieu. Nun beobachteten die Polizisten zufrieden, wie immer Demonstranten irritiert stehen bleiben. Doch, auch Polizisten können kreativ sein. CHRISTIAN JAKOB

Ich konnte dem Tod knapp von der Schippe springen. Schuld an meinem Beinahe-Ableben ist der Castor. Besser gesagt, die Polizei, die sich in den Wäldern um Gorleben einnistete, als wolle sie dort ihr Hauptquartier errichten. Das machte das Wild verrückt. Rehe und Hirsche wussten nicht mehr, wohin sie fliehen sollten. Bis ich kam. Fünfmal rannten mir Hirsche und Rehe vors Auto. Am Ende fuhr ich 20 und war nachts um drei im Quartier. SIMONE SCHMOLLACK

Bahnkilometer 188, westlich von Harlingen, in der Nacht von Sonntag zu Montag. Die Luft ist eisig, auf den Feldern liegt Raureif. Der Weg zum Gleis scheint endlos. In diesem einsamen Wald, bei dieser Kälte sollen 3.000 Menschen auf der Schiene sitzen? Kaum vorstellbar. Aber wahr. Die Menschen sind da. Dicht an dicht sitzen und liegen sie auf und neben dem Gleis, das in einer fünf Meter tiefen Schlucht liegt. Und: keine Spur von Tortur. Stattdessen Decken und Stroh. Suppe, Schokolade und Tee. Lagerfeuer, Gitarrenmusik und Gespräche. Und, anders als beim Campingurlaub, noch das Gefühl, das Richtige zu tun. MALTE KREUTZFELDT

Laase. Letzter Ort vor dem Zwischenlager. Als der Atommüll vorbeikommt und keine Chance mehr bleibt, ihn aufzuhalten, da stehen die Menschen in ihren Feldern und weinen. Und als es vorbei ist, spielen sie ein Lied: "Always look on the bright side of life." Laase, das Synonym einer Demütigung: 17.000 Polizisten tagelang im Einsatz gegen das Gefühl des Einzelnen, etwas ausrichten zu können. Es sind jene letzten Minuten, die mich bedrücken und mir das Gefühl geben: Am Ende gewinnt doch der Stärkere. FELIX DACHSEL

Kalt ist es. Kaum Wind, der Wald schützt. Die mit Rauch gefüllte Riesenseifenblase steigt ruhig in den sternenklaren Himmel. Immer wieder blitzt sie durch die Partyscheinwerfer. Die Menge staunt, klatscht, jubelt. Zu Balkanbeats und Techno hab ich die letzten paar Stunden mit Mitgliedern meiner Bezugsgruppe Linden 22 am Musikwagen getanzt. Als die Party vorbei ist, um 22.30 Uhr, wollen wir noch nicht schlafen.

Doch wer nachts in der Blockade nicht schläft, friert. Nur an den Feuertonnen – fünf Tonnen hat die Polizei auf der Straße zwischen dem Dorf Gorleben und dem Zwischenlager genehmigt – lässt es sich aushalten. Sogar ohne Jacke. Sogar ohne Pulli, als die Flammen kurz aufflackern. Pizza hatten wir schon, Waffeln auch und die Gemüse-Flatrate sowieso. Der kulinarische Höhepunkt dann an der Tonne: "Kakao wie bei den Azteken", sagt einer, was aber nicht stimmt. Die Azteken hatten doch keinen Schoko-Nuss-Harmonie-Kakao aus selbst gemachter Sojamilch. Deswegen: Kakao – noch besser als bei den Azteken. JULIA SEELIGER

Das Beeindruckendste an diesem Wochenende ist, wie müde die Polizei aussieht. Eines muss ja auch mal raus: Auch wenn viele dieser Beamten im Göhrder Wald übel, fies und mopsig gegen rund 3.500 weitgehend friedliche Demonstranten vorgingen und diese mit einigen wenigen Autonomen verwechselten, war das Gros der Polizei völlig überfordert, überstrapaziert und oft schlecht organisiert. Nur bemitleidenswerte Statisten in einem Schauspiel, das andere dirigierten: Da drüben Angela Merkel, hier all diese Widerständler. Das war so traurig, da hilft nur eins, meine Damen und Herren Beamten: sabotieren, demonstrieren, mitmarschieren. Aber auf der richtigen Seite. Und wenn nicht - dann trotzdem mein herzlichstes Beileid. MARTIN KAUL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • N
    Norman

    "Nun beobachteten die Polizisten zufrieden, wie immer Demonstranten irritiert stehen bleiben. Doch, auch Polizisten können kreativ sein."

    ICH DENKE EHER, DIE GENOSSINNEN WAREN ÜBERASCHT, DASS BULLIZISTEN AUCH LESEN KÖNNEN ... :-p

  • JO
    Jörg Olsson

    Harlingen in der Nacht zum Montag zwischen 2 Uhr und 9 Uhr. Es ist bitter kalt, später höre ich von -5 Grad, wir liegen teils ohne decken auf einer überfrorenen Wiese unter freiem Himmel. Schon gefühlte 10 mal habe ich versucht, etwas Schlaf zu finden, doch die Kälte ist schneller, kriecht in mir hoch, schüttelt mich und treibt mir Tränen in die Augen. Ich spüre förmlich, wie mich langsam die Kräfte verlassen. Immer wieder drängen sich Menschen frierend zu Häufchen zusammen, pressen ihre Körper aneinander. Immer wieder gewinnt die Kälte, während langsam der Morgen dämmert.

    Immer wieder aber kommt es auch zu Szenen, die alle zum Lachen bringen und spontane Demonstrationen und Sprechchöre erzeugen.

    Gegen 9 Uhr ist es dann soweit, der Castor rollt in Sichtweite vorbei. Mein Blick fällt auf vier in der Wagenburg verteilte Wasserwerfer, die jetzt ihre Wasserkanonen auf die in der Burg festgesetzten Menschen richten. Einen kurzen Moment durchfährt es mich wie ein elektrischer Schlag, dass dies jetzt wirklich ist, dass wir uns hier wirklich ausserhalb der Gültigkeit demokratischer Gesetze befinden, unserer elementaren Rechte beraubt. Ich fühle, dass mein Leben massiv bedroht wird und bin entsetzt, dass dies in unserem Land möglich ist und möglicherweise sogar noch straffrei bleibt!

     

    Jörg Olsson

  • HB
    Hart Backbord!

    "Auch wenn viele dieser Beamten im Göhrder Wald übel, fies und mopsig gegen rund 3.500 weitgehend friedliche Demonstranten vorgingen und diese mit einigen wenigen Autonomen verwechselten(...)"

     

    Ach so, wenn "einige wenige Autonome" zusammengeschlagen, mit Pfefferspray und Tränengas malträtiert werden, ist das wohl in Ordnung...

     

    Wer da war weiß, dass erstens wesentlich mehr als "einige wenige Autonome" beteiligt waren (wie erkennt man die eigentlich?) und dass die sich zweitens an den Aktionskonsens gehalten haben. Vereinzelte Würfe von morschen Stöckchen sind auf die verständliche Wut über die völlig unverhältnismäßige Polizeigewalt zurückzuführen und kamen bei weitem nicht nur aus den Reihen derer, die hier als "die Autonomen" wahrgenommen werden.

     

    Danke mal wieder, für diese widerlichen Spaltungsversuche.

    Bei den Menschen im Wendland laufen diese aber zum Glück schon immer ins leere.

  • A
    arno_nuehm

    lieber martin kaul,

     

    hier eine kurze stellungnahme zu ihrem zitat

     

    "Auch wenn viele dieser Beamten im Göhrder Wald übel, fies und mopsig gegen rund 3.500 weitgehend friedliche Demonstranten vorgingen und diese mit einigen wenigen Autonomen verwechselten, [...]"

     

    sie finden es also korrekt, dass die polizei "übel, fies und mopsig" gegen autonome vorgeht? sehe ich das so richtig?

    wenn ja, gehe ich auf grund ihrer aussage davon aus, dass sie nicht mit an den gleisen waren und nicht gesehen haben, wie die "autonomen" die schotterer mit ihren körpern schützten, dabei dermaßen dresche und pfefferspray kassierten und eben nicht auslöser der gewaltorgien seitens der polizei waren! ohne diesen selbstlosen einsatz wäre das ganze projekt "castor?schottern!" vollends gescheitert!

    ich bitte sie, in zukunft von aussagen wie diesen abstand zu nehmen, denn ob schwarz und militant oder bunt und friedlich, jede gruppe hat im wendland ihren teil dazu beigetragen, dass der castor mit historischer verspätung im zwischenlager ankam.

    und nebenbei: auch ohne die fiesen, bösen, extremistischen, links-radikalen autonomen (achtung sarkasmus!) hätten die polizist*innen auf die schotterer eingeschlagen. vielleicht sollten sie mal bei der springer-presse anfragen, da sind hetzerische leute wie sie gern gesehen.

     

    unsolidarischer gruß!

  • P
    ProfessorRipinski

    "Als sie ihn überreden will, von dem Kitkat, das er gerade ausgepackt hat, auf Fairtrade-Süßigkeiten umzusteigen, sagt der Polizist nichts mehr."

     

    Wenn es während der gesamten Castor-Aktion mal einen Grund für einen Schlagstock-Einsatz gegeben haben sollte, dann war es dieser Vorfall.

    Es gibt nichts Schlimmeres als Missionare.