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Wirbel um Anti-Demokratie-Pamphlet"Fast wie Gas"

Die Feuilletons von "FAS" und "SZ" huldigen dem französischen Manifest "Der kommende Aufstand". Vor lauter Hipness ignorieren sie, dass es eine antimoderne Hetzschrift ist.

Limousin: In dieser beschaulichen Landschaft soll das Manifest mit spitzem Federkiel auf Büttenpapier entstanden sein.... Bild: imago
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In Frankreich führte das anonym veröffentlichte Pamphlet "Der kommende Aufstand" zur staatlichen Verfolgung seiner mutmaßlichen Autoren. Ausgehend von den Theorien des Nazijuristen Carl Schmitt, wird darin zur politischen Gewalt aufgerufen, gegen Demokratie und Rechtsstaat gewettert.

Nachdem das Buch in Frankreich und den USA für viel Wirbel sorgte, ist es im Zuge seiner deutschen Übersetzung nun auch in der heimischen Diskussion angelangt. FAS und SZ haben es überraschend wohlwollend rezensiert. In den Fokus der bürgerlichen Presse rückte der radikale Text erst, weil er eine wichtige Rolle in einem Justizskandal spielt. Er ist der Hauptgrund der Überwachung einer Kommune in dem französischen Dorf Tarnac, die Anfang 2008 begann. Man verdächtigte die Gruppe, Hakenkrallenanschläge auf TGV-Linien verübt zu haben. Daraufhin waren einige ihrer Mitglieder mehrere Monate in Haft, darunter der Privatgelehrte Julien Coupat, Kopf des Kollektivs. Die Anschuldigungen erwiesen sich als haltlos. Dennoch lehnte ein französisches Berufungsgericht am 22. Oktober 2010 den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens ab. Begründung: Die mutmaßlichen Verfasser des "Kommenden Aufstands" seien weiterhin verdächtig, in Zukunft terroristische Anschläge zu verüben.

Schon ein kurzer Blick in das Buch zeigt, dass das Vorgehen der französischen Behörden zwar verfahrensmäßig skandalös, aber inhaltlich nicht ganz unberechtigt ist. In dem Pamphlet wird explizit zu politischen Gewalttaten aufgerufen - zur "Offensive zur Befreiung des Territoriums von seiner polizeilichen Besetzung". Der Demokratie sind die Autoren spinnefeind. Die Nachkriegszeit bezeichnen sie knapp als "sechzig Jahre Befriedung, sechzig Jahre demokratische Anästhesie". Wer auf dem "demokratischen Charakter des Entscheidungsprozesses" beharre, sei "Fanatiker der Prozedur". In den "bürgerlichen Parlamenten" gebe es bloß zielloses "Palaver" - schnell denkt man da an die Weimarer Zeit, in der rechte und linke Extremisten den Reichstag als "Schwatzbude" bezeichneten.

Die Autoren stützen sich dabei auch auf Carl Schmitt, den Kronjuristen des Reiches, dessen Thesen zum "Ausnahmezustand", zum "Partisanen" und zum Begriff des Politischen sie wiedergegeben. Ein anderer Haupteinfluss ist der Philosoph des nationalsozialistischen Denkdienstes, Martin Heidegger. Insbesondere seine Ressentiments gegen Technik und Moderne haben das Buch inspiriert. Zum Ausdruck kommt das in der Idee der "Vernutzung" sowie in der Klage über den angeblichen Mangel an menschlicher Nähe in der technifizierten Gegenwart.

Bei solchen Quellen werden selbst "Frauenzeitschriften", "Fitnessstudios" und "Smarts" zur Zielscheibe. Noch in der harmlosesten Äußerung der Jetztzeit sehen die Autoren Zeichen eines vorherrschenden "Imperialismus des Relativen". Diesen machen sie in rechtskonservativer Manier für die "Zerstörung sämtlicher Verwurzelungen" verantwortlich. Neu an diesem zusammengeflickten Unsinn ist vor allem, dass sich das Feuilleton dafür begeistert. FAZ und SZ rezensierten die Schrift derart positiv, dass sich ein Berliner Buchladen genötigt sah, ironisch per Rundmail zu kommentieren, große deutsche Tageszeitungen riefen nun zum Terrorismus auf.

In seinem Artikel in der FAZ feiert Nils Minkmar das antidemokratische Manifest als "glänzend geschriebene Zeitdiagnostik" und mutmaßt, es werde bald das "wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit" werden. Dabei ist natürlich vor allem fraglich, ob es sich überhaupt um ein linkes Buch handelt. Besonders angetan ist der FAZ-Autor von den antimodernen Ressentiments darin. Gegen Ende räumt er immerhin ein, dass die "schwarzen Geländewagen", die auf die Zerstörung des Staates folgten, wohl noch schlechter wären als die Gegenwart.

Noch weiter versteigt sich Alex Rühle in der SZ. Weitgehend kritiklos bestaunt der Internetverweigerer den "düsterrevolutionären Zorn" des Buches, seine "Aura der Hellsichtigkeit" und seine "heroische Melancholie". Gerade die darin vertretene "Partizipationsverweigerung" sagt ihm zu. Sein Urteil lautet kurz, es handele sich um "ein Weißbuch des Überlebens in stürmischen Zeiten". Und auch zu weiteren Entgleisungen lässt er sich verleiten: "Das System", schreibt er, "ist überall, fast wie Gas ist es noch in die letzten Ritzen des Privatlebens gedrungen."

Das Merkwürdige an der Gasmetapher ist nun: Sie ist nicht als Zitat gekennzeichnet und stammt auch nicht aus dem Text, weder aus der französischen noch aus der deutschen Ausgabe. Es ist der Rezensent, der hier schreibt - ein deutscher Journalist, der damit den globalen, demokratischen, marktwirtschaftlichen Zusammenhang bezeichnet, gegen den das Buch wettert. Die Gasmetapher ginge sogar für den paranoischen Duktus des Textes selbst zu weit.

Wer sich derart unbedacht mitreißen lässt, übersieht vor allem, dass Thesen im Stil des Buchs "Der kommende Aufstand" in Frankreich etwas anderes bedeuten als in Deutschland. Diesseits des Rheins ist das Ressentiment gegen Internationalismus, Demokratie und Technik fester Bestandteil des Revisionismus der Nachkriegszeit. Der Text ist eine Art Re-Import. Er schuldet vieles nicht - wie Rühle und Minkmar blind einen Frankreichkorrespondenten der NZZ kopieren - Michel Houellebecq, sondern eben den nationalsozialistisch gefärbten Theoretikern Heidegger und Schmitt.

Diese Einflüsse sind auch über ihren eifrigsten Epigonen Giorgio Agamben anwesend, auf dessen Buch "Die kommende Gemeinschaft" explizit Bezug genommen wird. Agamben und die beiden Deutschen werden im Umfeld des kommenden Aufstands kritiklos wie Vaterfiguren verehrt.

In diesem intellektuellen Milieu ist auch die Deutung des - vor allem technischen - Alltags westlicher Demokratien als Totalitarismus üblich, die das Hauptstilmittel des Texts ist und auf die der SZ-Artikel unwissentlich anspielt. Heidegger giftete 1949: "Die motorisierte Ernährungsindustrie ist im Wesen dasselbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern." Noch 1995 schrieb der Heidegger-Schüler Agamben in seinem Hauptwerk, "Homo sacer": "In den modernen Demokratien ist es möglich, öffentlich zu sagen, was die nazistischen Biopolitiker nicht zu sagen wagten." Mithilfe der Schmittschen Theorie des Ausnahmezustands und der von Foucault geborgten Figur der Biopolitik setzte er Menschenrechte und Rassengesetze, Intensivstationen und Konzentrationslager gleich.

Dass "Der kommende Aufstand" zu dieser Denkschule gehört, ist nicht nur wegen Agambens Freundschaft zu dem wahrscheinlichen Verfasser Coupat offensichtlich. Das Buch ist als eine praktische - erschreckend naive - Umsetzung der Thesen Agambens zu erkennen. Gegen eine angebliche "Normalisierung des Lebens" in den modernen Gesellschaften sucht man das vitalistische Heil im "Ausnahmezustand" jenseits von Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft - diese Idee einer besseren Zeit minus aller Koordinaten der Gegenwart hat man Schmitt und Heidegger zu verdanken, ebenso die Suche nach einem versteckten Totalitarismus der Demokratie. Letztere war für die beiden NS-Theoretiker strategisch notwendig, um ihre Kollaboration nachträglich zu relativieren. Dass das "linke" Gedanken sind, kann niemand ernsthaft behaupten. Von sozialer Gerechtigkeit, der Demokratisierung der Technik oder den Menschenrechten ist in dem Buch nie die Rede. Vielmehr folgt man vermeintlich auratischen Philosophenführern in ihrem Hass auf eine Gegenwart, in der sich niemand mehr durch altgriechische Zitate und Denkerposen beeindrucken lässt.

Man muss den Übersetzern des Buchs danken. Wie ein Lackmustest offenbart gerade seine missglückte Rezeption unbequeme Wahrheiten, die man in Zeiten der wieder aufblühenden Sozialgenetik und Deutschtümelei schon ahnte. Spätweimarer Dekadenz ist gesellschaftsfähig. In der deutschen Elite finden Ressentiments gegen Demokratie und Moderne Zuspruch, auch wenn sie mit politischer Gewalt verbunden sind. Gibt es in ihren Reihen zu wenige gefestigte Demokraten mit historischer Bildung?

Doch das Buch ist auch ein Paradebesipiel für die zu unkritische Frankophilie der sogenannten postmodernen Linken. In Bezug auf Re-Importe wie Schmitt und Heidegger ist sie besonders verfehlt - was der Toskana-Fraktion ihr Brunello ist der Deleuze-Fraktion die hohle, revolutionäre Geste, gern auch mit tiefbraunen Zitaten gewürzt.

Diese Art von elitärer Revoluzzerattitüde ist das beste Mittel, um die weitergehenden Kämpfe um die Emanzipation der Bürger von den Eliten zu schwächen. Wer ihnen aber Erfolg wünscht, sollte von antidemokratischen Ressentiments Abstand nehmen und sich zu den stets neu zu verwirklichenden Zielen von 1776 und 1789 bekennen. Die Politische Theologie sollte man besser ihrer angestammten Klientel überlassen, bei der sie offenbar immer noch gut ankommt.

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48 Kommentare

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  • T
    tazitus

    Von Marx zu Minkmarx? Brauchen die "Linken" neue Spinner, die ihnen ein Ziel, einen Aufstand, eine Revolution vorher sagen? Wie wäre es mit selber denken?

     

    und @vic: Geben Sie ihr knappes Geld nicht für einen solchen Schund aus.

  • GD
    Gilles Deleuze

    zur "gas-Metapher", aus dem Postskriptum über die Kontrollgesellschaft, Gilles Deleuze, von 1993:

     

    "Die Fabrik war ein Körper, der seine inneren Kräfte an einen Punkt des Gleichgewichts brachte, mit einem möglichst hohen Niveau für die Produktion, einem möglichst tiefen für die Löhne; in einer Kontrollgesellschaft tritt jedoch an die Stelle der Fabrik das Unternehmen, und dieses ist kein Körper, sondern eine Seele, ein Gas."

  • CB
    Christoph Becker

    Ich habe mich wirklich gefreut über diesen Artikel, ohne das Manifest und die zitierten Rezensionen zu kennen. Thumfart zeigt sich fest beschlagen in der jüngsten Philosophiegeschichte und zeigt, was passiert, wenn weniger Beschlagene sich unbedarft im Magazin der Ideengeschichte bedienen. Da hilft auch keine gekünzteltes Oberintellektualität mancher Kommentatoren. Was Thumfart entlarvt, ist nämlich keine Lapalie sondern ernst zu nehmende Orientierungslosigkeit. Schließlich hat Hitler 1933 das Land mit einer Minderheitsregierung übernommen und konnte seine Gleichschaltung nur durch Tollerierung oder gar Unterstüttzung der intellektuellen Elite erfolgreich durchführen. Die war entsprechend vorher von Leuten wie Heidegger, Spengler, Schmitt oder Jünger ideologisch eingestimmt. Wer Idee also nur als Ideen verharmlost, hat die Lehre aus der Geschichte nicht verstanden. Umso dankbarer sollte die Linke Thurmfart sein, dass er den Finger in die Wunden legt und die theoretischen Rüstung gegen rechte Verirrungen befördert. Und dass Links und Rechts nicht immer leicht zu unterscheiden sind, zeigt allein die Bewegung der Nationalbolschewisten um Niekisch oder Strasser. Kennt die noch jemand?

    Grüße

    Christoph

  • C
    Chemieblogger

    Es ist absolut begrüßenswert, dass Thumfart das subkomplexe konventionelle Rechts-Links-Denken reflektiert und linkes Denken an Menschenrechten, Modernität und Emanzipation ausrichtet.

     

    Aber gerade hierin liegt auch ein Widerspruch des Textes, den bereits einige Kommentator_innen erkannt haben: die Bejahung und Prononcierung des bürgerlichen Status quo, untermauert mit der 'Extremismus'-Vokabel (z. B. im Weimarer Kontext). Was hat die hier zu suchen?

     

    Eine kritische Reflexion dessen, was 'links' sein soll und was als solches gilt, ist unabdingbar. Aber dazu sollte auch ein Hinterfragen von relationalen Kategorien wie 'Extremismus' gehören - vor allem dann, wenn diese wie hier eine Gleichsetzung von linkem und rechtem 'Extrem' expliziert.

  • V
    vic

    Nachdem ich hier (vielen Dank) drauf gestoßen bin, werde ich mir das Buch natürlich kaufen.

  • TD
    Tyler Durden

    @bobine:

    Wie einiges andere Erfreuliche hier im Thread kann ich auch ihren Kommentar nachbvollziehen und den Willen der dahinter steht.

    Was ich nicht nachvollziehen kann ist die Bereitschaft zum Warten auf "Freiheit".

    Das Klammern an Hoffnung hat nur eine Konsequenz, die Zeit verrinnt, man wird älter. Wenn sie sich in der heutigen realen Welt umsehen, wo genau sehen sie denn dann ein Argument das WIRKLICHEN Anlass zu Hoffnung gäbe?

    Wenn sie sich in der Geschichte der Menschheit umsehen, wo genau sehen sie denn dann ein Argument das WIRKLICHEN Anlass zu Hoffnung gäbe?

    Weiter unten steht ein ausgezeichnetes Zitat von Sloterdijk das ihre Lage beschreibt.

    Packen sie winwn einzigen Koffer, drehen sie sich um und gehen sie weg.

    "Etwas Besseres finden wir immer!"

    Wenn sie Masochist sind, und Frustrationen mögen, dann blieben sie einfach wo sie sind....

  • R
    Riin

    Urgh. Ich hab nach wenigen Absätzen aufgehört zu lesen, daher kann ich mich zu der Gesamtangelegenheit nicht äußern, aber Begriffe wie "extrem" als - per se! - abwertend zu benutzen, sollte doch wohl bürgerlichen Hetzblättern vorbehalten bleiben. Egal ob man zustimmt oder nicht, nur weil es "extrem" ist, ist es nicht falsch. Die Letzte, die Gegensätzliches behauptet hat, ist meines Wissens Kirstina Schröder. Wer sich natürlich mit ihr in eine Reihe stellen will...

     

    Zweitens, Heideggers gesamtes Theoriegebäude auf seine Mutation zum Nazi zu reduzieren, spricht in meinen Augen auch nicht grade dafür, dass hier ein Fachmann am Werk war.

     

    Und drittens - seit wann ist "antimodern" ein disqualifizierendes Attribut? Weil vor der Moderne alles furchtbar war und jetzt alles super ist oder was?

  • B
    bobine

    Was die Fauen mit den freiheitsliebenden Revolutionären verbindet, ist der Wunsch, ja die Sehnsucht, nach der Veränderung der Verhältnisse, endlicher Umwälzung, nach einer neuen Form.

    Es käme hierbei darauf an, den Stachel ihres Leidens in Erinnerung zu halten. She had a rock'n roll childhood, heisst: unglücklich, verzweifelt, seine Kraft zusammennehmen und an der Veränderung der Verhältnisse wirken wollen. Rock'n Roll ist kein 'angenehmer beat'. Die besten Rock'n Roller müssen auch die besten braven Bürger werden wollen, sonst können sie sich ihren Rock'n Roll an den Hut stecken. Die Linie trennt den Abenteurer aus Langeweile und Neugier vom verzweifelten Bewohner der Slums.

    Geschichte: Es gibt einen qualitativen Sprung, heute wissen die Leute wenigstens und immerhin von der Möglichkeit einer freieren Welt, der persönlichen Spekulationen wegen, es scheint nur ein kleiner Schritt für die Menschheit...

    Tatsächlich muss unter diesem Gesichtspunkt jede liebgewonnene Tradition neu bewertet werden, was nicht heisst, dass sie alle abgeschafft werden müssten, möglicherweise nicht eine.

    Was mich betrifft, so würde ich manche sprachliche Beleidigung, - eine Tradition -, abschaffen, zum Beispiel 'man' durch 'wesen' ersetzen.

    Und darum ergeben sich verschiedene Geschwindigkeiten der Revolution, je länger sie dauert, desto besser und schöner wird die Welt schliesslich werden. Die Geschwindigkeiten müssen miteinander korreliert werden, der kleinste gemeinsame Nenner bringt Langsamkeit mit sich, denn das wichtigste Merkmal ist das: alle.

    Alle haben mitgewirkt.

  • J
    Julien

    Ich bin echt verärgert und wäre ich nicht schon einige deutschtümeleien der sogenannten anti-deutschen gewöhnt, wäre ich auch echt schockiert über derartig arrogante utopielosigkeit, wie sie der rezensent ausdrückt.

     

    wer bei deleuze, tiqqun und dem "kommenden aufstand" irgendwelche rechten tendenzen sieht, wendet erstens selbst deutsche maßstäbe für (zufällig französische) autoren mit globaler perspektive an und hat zweitens einen dermaßen klaffenden mangel an phantasie, dass er auch seinen anspruch auf linkssein grundsätzlich verspielt bzw. ver-ernstet.

     

    widerstand braucht phantasie und die wird durch den "kommenden aufstand" angeregt - anscheinend ist diese im vernagelten, zugerichteten kopf des herrn thumfart schon derartig vom nationalsozialismus vereinnahmt, dass er nur noch nazis sieht und sich nur noch faschismus als veränderung der unfreien ungerechten verhältnisse vorstellen kann.

     

    damit beweist der rezensent eigentlich genau die brisanz des von ihm verrissenen buches - die kapitalistische totalität ist dermaßen in unsere köpfe - selbst bei einem taz-schreiber - eingedrungen, dass eine positive anarchistische utopie schon so unrealistisch erscheint, dass manche sie noch eher zum faschismus umdrehen als sich auf sie einzulassen.

    ein großer erfolg der maschine. ich hoffe nur sehr darauf, dass sich am ende doch die wahrheit durchsetzt!

     

    in wut und trauer über so eine ignorante rezension!

     

    julien

  • S
    Spielberg

    Aus Peter Sloterdijk, Sphären II, S. 665:

     

    "Die Struktur und der Zufall, die Maschine und das Ereignis, die Hardware und der Code – diese Leitmotive verbinden sich im zeitgenössischen Denken, um die Menschen ihre ekstatische Stellung am Rande von etwas zu lehren, was sie ermöglicht und ihnen entgeht. Nur die Nie-Beirrten und die Verschonten hüten weiter das scheinbar verächtliche Geheimnis, wie man sich gegen die Verwüstungen durch die nackte Tatsächlichkeit immunisiert. Sie bewahren in dürftiger Zeit den Sinn für die Notwendigkeit positiver Sphärenbildung inmitten der universalen Veräußerlichung und Depression. Zu träge zur Verzweiflung, zu harmlos zur Philosophie, vertreten sie als einzige noch das Motiv des klassischen Philosophierens: Dasein in einem selbstschützenden Raum, mit einem kleinen Überschuß der Anteilnahme an Dingen, die etwas außerhalb der Kernprivatheit liegen. Es bleiben bis auf weiteres die Spießer mit gutem Willen, die sich für die Philosophie wie für das profane Leben als Aufhalter des Endes nützlich machen."

     

    Aus Michel Houellebecq, “Elementarteilchen”:

     

    "Zu jener Zeit hatte Michel nur eine ungefähre Vorstellung vom Glück. Im Grunde hatte er nie wirklich darüber nachgedacht. Die Vorstellung, die er sich davon machen konnte, ging auf seine Großmutter zurück, die sie auf direktem Wege ihren Kindern vermittelt hatte. Seine Großmutter war katholisch und wählte de Gaulle; ihre zwei Töchter hatten beide einen Kommunisten geheiratet; das änderte grundsätzlich nicht viel. Diese Generation, die in ihrer Kindheit die Entbehrungen des Krieges kennengelernt hatte und bei der Befreiung zwanzig war, hatte folgende Vorstellungen und wollte ihren Kindern folgende Welt hinterlassen: die Frau bleibt daheim und führt den Haushalt (aber sie wird dabei durch elektrische Haushaltsgeräte sehr entlastet; sie kann ihrer Familie viel Zeit widmen). Der Mann arbeitet außer Haus (aber die Automatisierung hat zur Folge, daß er nicht mehr so lange arbeitet und daß seine Arbeit nicht mehr so schwer ist). Die Ehepaare sind treu und glücklich; sie leben in hübschen Häusern außerhalb der Stadt (in den Vororten). In ihrer Freizeit beschäftigen sie sich mit handwerklichen Dingen, Gartenarbeit, Kunst. Es sei denn, sie ziehen es vor, zu reisen, die Lebensweise und Kultur anderer Gegenden, anderer Länder kennenzulernen."

  • K
    kosta

    vielleicht kommt auch mal jemand auf die idee, dass das schemenhafte links-rechts denken sich überholt hat und das die moderne ja sowieso nicht der weisheit letzter schluss ist. was habe ich von einem akkrodarbeitsplatz am fliessband, der in gleissendes neonlicht getaucht ist.

     

    ausserdem sollte man mal zum beispiel die rezension in der Frankfurter Rundschau über dieses buch lesen:

    http://www.fr-online.de/kultur/debatte/und-was-kommt-dann-/-/1473340/4853666/-/index.html

  • TD
    Tyler Durden

    @von Ralf Honnsen:

    Wie sie in einem anderen Kommentar hier nachlesen können ist der Autor anscheinend Zuarbeiter eines SPD-Abgeordneten.

    Man muss dem Autor also dankbar sein dass er zeigt, wes Geistes Kind diese SPD mit ihrem peinlichen Opportunismus und Populismus bleiben wird.

    Ein wichtiger HInweis für die nächsten Wahlen...

  • C
    Czimmer

    Was mein Thumfart denn eigentlich mit der im "Kommenden Aufstand" vermissten "Demokratisierung der Technik"? - Dass jeder Dödel mit einem Iphone herumlaufen darf, welches von einem Chinesen zusammengeschraubt wurde, dem man per Dienstanweisung verboten hat, sich das Leben zu nehmen?

  • GZ
    Günther Zuhm

    Demokratie bedeutet nicht, daß man irgendwann mal ein halbwegs brauchbares System erdenkt und anwendet, welches nur im besten Fall demokratisch zu nennen ist. Natürlich wäre unsere parlamentarische Demokratie demokratisch, wenn die Politiker sich moralisch an die ihnen aufgetragene Aufgabe halten würden: Die Meinung des Volkes zu vertreten.

    Wie man wohl weiß, beschränken sich die meisten von ihnen darauf, ihre eigene Meinung zu vertreten oder die von ihren Gönnern in der Wirtschaft. Das führte zu einem immer größer werdenden Spalt zwischen Politik und Volk. Wenn nun die Politik die Meinung des Volkes nicht mehr vertritt, ist auch die demokratische Legitimation der parlamentarischen Demokratie zum Teufel.

     

    Sich gegen diese Art der "Demokratie" aufzulehnen ist ein zutiefst demokratischer Akt. Es ist ja nicht so, daß man der Politik keine entsprechenden Hinweise oder Chancen gegeben hätte. Anstatt sich wieder auf die Pfad der Volksvertreter zu machen, hat man lieber den Pfad der totalen Überwachung angestrebt, um diese lästige Demokratie auf keinen Fall zu weit kommen zu lassen. Regelmäßig wird man daher auch eingeschüchtert und bedroht. Ob man nun für Jahre ins Gefängnis kommt, weil man einen Film aus dem Netz geladen hat. Oder nicht mehr auf die Straße gehen sollte, weil da die bösen Terroristen lauern. Nicht zu vergessen die ganzen "Schwarzen Blöcke" auf den Demos, die man deshalb auch nicht besuchen sollte, weil man sonst als Kollateralschaden enden könnte.

     

    Es läuft etwas ganz gewaltig falsch, nicht nur in unserem Land. Und das, was hier läuft hat nur noch die Maske der Demokratie auf und ansonsten nichts mehr damit gemein. Das ist in Frankreich nicht anders, nur ist man da etwas sensibler und weniger träge, weshalb der Funke schneller überspringt. Aber wenn es politisch so weitergeht, habe ich keinen Zweifel daran, daß auch hier Autobarrikaden brennen werden. Wie aber S21 und Castor gezeigt haben, werden dahinter nicht nur sozial schwache Jugendliche stehen, sondern ein breites Bündnis quer durch die Bevölkerung.

     

    Und das kann bei der nächsten Wahl verdammt wehtun. Aber da wir uns nicht wirklich in einer Demokratie befinden, würde es die Politiker auch nicht stören, wenn die Wahlbeteiligung auf 10% sinken würde. Sie fühlten sich dann immer noch ausreichend legitimiert...

     

    GZ

  • RH
    Ralf Honnsen

    Dass der Autor, der derzeit in der taz seinen offensichtlich persönlich inspirierten Feldzug gegen eine vermeintlich "antimoderne" Stimmung führt, weder die Grundzüge der Debatte verstanden hat noch selbst für sich in Anspruch nehmen kann, auf der "linken" Seite zu stehen, macht im Übrigen sein misslungener und in Buchlänge publizierter Versuch deutlich, diese Debatte wieder vollständig rückgängig zu machen: "Ist das Zoon Politikon ein Oxymoron? Zur Dekonstruktion des Begriffs von Biopolitik bei Giorgio Agamben auf der Grundlage einer Wiederlektüre des Aristoteles". Herr Thumfart, konzentrieren sie sich auf ihre Dissertation über den Mönch Francisco de Vitoria, mit dessen Hilfe sie eine "genuin globalpolitische Philosophie" fundieren wollen. Darüber können wir dann sprechen.

  • CD
    Corcharate de La Gouececoyenne

    Verblüffend, wie der Autor geradezu neurotisch jeglichen Verdacht zurückweist, die Schrift könnte auch nur im Ansatz links sein. Die Behauptung, solche Gedanken seien ausschließlich rechts und Technikphobie niemals in der Linken zu finden, ist natürlich Unsinn. Erich Fromm ist ein führender Vertreter des Freudomarxismus und somit selbstverständlich links; wissen Sie, wir er Technikfreundlichkeit in seinem Werk "Anatomie der menschlichen Destruktivität" nennt? Nekrophilie. Es geht ihm nicht um Demokratisierung der Technik oder so, für ihn ist das Interesse an Technik selbst pathologisch. Noch ein paar Worte zu Schmitt und Heidegger: Schmitt war kein Nazi, sondern ein katholischer Reaktionär; es gibt da einen Unterschied. Und Heidegger? Angesichts der Tatsache, dass er eine jüdische Geliebte hatte, kann er wohl dem Wesen des Nationalsozialismus nicht sehr stark verbunden gewesen sein.

  • B
    bel

    zum buch:

    ich habe gelesen, und zwar leider (zuerst) auf deutsch; und die deutsche übersetzung ist grottenschlecht, grottenschlecht und grottenschlecht.

    Soviel zum buch, das im original deutlich besseren stil aufweist als in der übersetzung.

     

    Zum rezensenten:

    ja das missfällt, wenn die grüne politik genauso ihr fett weg bekommt wie die anderen parteien? Da muß man dann doch tief in der verstaubten werkzeugkiste kramen und mit ein paar ollen zangen den nicht gelesenen text biegen?

    Da geht dann völlig unter, daß man dann vor lauter rezensionsrezensionen den eigentlichen text gar nicht mehr rezensiert, wahrscheinlich hat man nur die ersten seiten mal "angelesen" und dann "angedacht" was man darüber ablassen könnte.

     

    Flachflieger eben.

    bel

  • J
    jenli

    Der Textauszug im SPIEGEL macht auf mich einen eigenartig "deutschen" Eindruck. Als habe ein unterbeschäftigter Freelancer des deutschen Feuilletons mal das in manchen (kreativen?) Kreisen übliche Gejammer über die Schlechtigkeit des "globalisierten Kapitalismus" in einem künstlichen Szene-Jargon endlich loswerden wollen.

  • N
    Nachgedacht

    Zu witzig, da plaudert der Autor von Demokratie und Rechtsstaat und hegt dann Verständnis für die unrechtsstaatliche Verfolgung der Tarnac Kommune durch den französischen Staat. Warum? Weil die Kommune mutmaßlich hinter dem Text steht, der nach Ansicht des Autors wohl ein Gedankenverbrechen darstellt.

     

    Wie war das nochmal mit Carl Schmitt und dem Ausnahmezustand? War das nicht kurz gesagt, dass sich der Staat über seine eigenen Gesetze hinwegsetzen darf um seine Gegner zu verfolgen? Nebenbei, auf Carl Schmitt beziehen sich die Autoren an keiner Stelle. Den Text überhaupt gelesen?

     

    Und was hat eigentlich Demokratie und Rechtsstaat mit Marktwirtschaft zu tun? Ach ja ich vergaß, für die Extremisten der Mitte ist das ja die heilige Dreifaltigkeit.

  • B
    Bleedranner

    Schöner Artikel. Da hat mal einer die latente Technologiefeindlichkeit in der "intellektuellen Szene" beim Namen genannt.

    Das erkennt man z.B. gleich mal am Beitrag meiner Vorredner.

  • S
    Spielberg

    "Diesseits des Rheins ist das Ressentiment gegen Internationalismus, Demokratie und Technik fester Bestandteil des Revisionismus der Nachkriegszeit."

     

    Dieser Satz ist kompletter Unsinn.

     

    Zur "Demokratie": Sie wurde am stärksten von den "Marxisten" in Frage gestellt, vor allem von den "Nicht-Revisionisten".

     

    Auch bei Heideggers Technik-Kritik handelte es sich nicht um (nationalsozialistischen) Revisionismus der Nachkriegszeit". Zum Beispiel hat er auch einmal geschrieben: "Marx hat die "Seinsvergessenheit" in Form der "Entfremdung" bisher am weitesten gedacht."

     

    Und über den "nationalsozialistisch gefärbten" Heidegger sollte man vielleicht auch wissen, dass er von nationalsozialistischen Philosophen für verrückt erklärt wurde.

     

    Die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ist bis heute sehr stark von "Internationalismus, Demokratie und Technik" geprägt.

     

    Zur "Demokratie" gibt es allerdings jetzt wieder aktuelle Entwicklungen, die Jürgen Trittin im Jahr 2001 so kritisiert hat:

     

    "Nur weil jemand seinen Hintern auf die Strasse setzt, finden wir das noch nicht richtig."

  • AG
    arne grahm

    na ja, georgio agamben in eine rechte schublade zu packen ist echt ein kleines kunststückchen! man muss nicht alle dessen auffassungen nachvollziehen können, insbesondere seine 'erschütterung' über die diskrepanz zwischen kunswerk und künstler, aber ihm zu unterstellen, er würde "sein heil im ausnahmezustand suchen" - zeugt doch eher von der überforderung des autors, oder von seiner unkenntnis des betreffenden werkes. im gegenteil gelingt es agamben, diese dauerhaften ausnahmezustände innerhalb der globalisierten welt, dem rechtsystem und im alltäglichen leben der 'realexistierenden' demokratien sichtbar zu machen und damit steht er foulcault in der akademischen position bzw. attac in der 'praktischen' weitaus näher, als jener neuen rechten, die sich heutzutage gern einen autonomen anstrich verleiht. selbst die nähe zu positionen von carl schmitt (der unbestritten an der verfassung des dritten reiches mitgewirkt hat), kann diese kühne behauptung nicht stützen. denn dieselben positionen, die schmitt damals bewogen haben, die juristische grundlage für bspw. die gleichsetzung von pazifisten mit äußeren feinden zu schaffen, ist doch heute gegenstand der öffentlichen debatten bezüglich des versammlungsrechts und diverser anderer einschränkungen der grundrechte. die tägliche gesellschaftliche auseinandersetzung wird doch kommunikativ immer mehr und für alle sichtbar als konfrontation zwischen freund/feind geführt. das betrifft hartz IV-dekadenz-diffamierungen genauso wie intergationsverweigerungsdebattenden. gerade heute wird wieder einmal die einbindung der bundeswehr in die inneren sicherheit gefordert, verbunden mit der erneuten forderung nach der vom verfassungsgericht bereits abgeschmetterten vorratsdatenspeicherung. boten schlechter nachrichten zum täter zu stempeln, mag für den jungen carl schmitt sicher zugetroffen haben, aber tut georgio agamben äußerst unrecht.

    das einige redakteure von fas und sz zuweilen vor lauter hippness den wald vor bäumen nicht sehen, will ich natürlich nicht bestreiten…

    so, ich ziehe mich dann mal zurück und beobachte im heimischen kreuzberg weiter wachsam 'verdächtige südländische personen mit seltsamen verhalten'.

    einen schönen tag noch!

  • RD
    Richard Detzer

    Demokratie war mal gut gemeint, aber dann kamen die Leute. Wenn es "Kämpfe um die Emanzipation der Bürger von den Eliten" gibt, ist Demokratie kein geeignetes politisches Mittel im Staat.

    Wenn das politische Mittel sich gewalttätig gegen berechtigte Interessen im Staat organisiert (Polizei, Sündenbock, Urteile), dann muß das eben weg. Jede Diskussion darüber ist dann richtig.

    Ich meine, wir leben weder in einer neuen Klassenkampf Welt noch in einer heuchlerischen Gutmenschen Welt. Wir leben in einer dumm geschissenen Deppenwelt. Aber das ist ein anderes Thema.

  • E
    ebertus

    Zur Ehrenrettung von FAZ und SZ:

     

    In beiden Rezensionen wird primär auf den angenehm zu lesenden, ja beinahe "schönen" Text hingewiesen, der bei aller vermeintlichen Jenseitigkeit ohne diesen sperrigen, hölzernen Sprachstil der "alten Linken" daher kommt.

     

    Es wird weiterhin auf die schon visionäre Sicht abgehoben, da der Ursprung des Textes bereits im Jahre 2005 liegt, gerade vor den Ereignissen die aktuell und beinahe täglich neue Zumutungen für die breite Masse der Menschen bringen.

     

    Inhaltlich macht sich keiner der genannten Rezensenten mit der weiter gedachten Konklusion, gar mit Anarchie gemein, wie das hier im Beitrag zumindest implizit unterstellt wird; eher im Gegenteil. Aber beide haben das Buch - und im Gegensatz zu dem Autor hier - sehr intensiv gelesen und in der Dimension bezogen auf die schon real bereits ablaufenden, zukünftig erwartbaren Entwicklungen verstanden.

     

    Für mich, als Anhänger der Soziologie von Pierre Bourdieu ist dieser Text in weiten Bereichen lediglich eine Fortsetzung dessen, was Bourdieu bereits im letzten Jahrhundert konstatiert und aufgearbeitet hat. Hier und heute mit einem gewissen, morbiden Touch, das sei zugegeben.

  • G
    Gero

    Soso, es handelt sich bei dieser "Gasmetapher" also um eine "antimoderne Hetzschrift".

    Zu kurz gesprungen, Herr Thumfart!

     

    Das Missbehagen in Frankreich an der nun mal eben typisch franzoesischen Variante der Demokratie ist weit verbreitet. Es gibt viele ernstzunehmende Menschen dort und anderswo, denen die uebermaechtige Rolle des Praesidenten aeusserst uebel aufstoesst. Kurz gesagt, kritisiert wird der Mangel an Gewaltenteilung. Und gerade das ist ein Kriterium fuer Demokratie. Daher Ihre Behauptung, dass Kritik an den franzoesischen Verhaeltnissen "antimodern" sein soll, loest eigentlich nur Kopfschuetteln aus.

     

    Dies soll keine Rechtfertigung fuer Terrorismus sein. Ich weiss nicht, was die franzoesische Polizei da an Informationen ueber die Leutchen in Tarnac zusammengetragen hat. Vielleicht stimmt es ja, dass sie an Anschlaegen auf den TGV beteiligt waren. Vielleicht aber auch nicht.

     

    Kurzum: bevor Sie solche Artikel der TAZ zum Abdruck vorlegen, sollten Sie sich auf ein Niveau des Journalismus begeben, dass dem Anspruch der Taz gerecht wird. Und Sie sollten sich auch mal ueber den Gebrauch von Fremdwoertern schlau machen. Ein Metapher war das, was der SZ-Schreiberling da verwendete, keineswegs!

  • S
    silent_marc

    So ist das eben, wenn die Linke in der heutigen Zeit selber keine Antwort auf die dringenden Fragen der Zeit hat. Visionen sehen anders aus.

     

    Und dann nehmen sich eben ein paar Leute, die grundlegend die Schnauze voll haben, diese Zeit und hauen eben so ein Pamphlet raus. Ich habe die ersten 30 Seiten gelesen...und vom Stil finde ich es auch teilweise gut geschrieben...wobei ich einige Aussagen bisher kritisch finde. Aber es löst schon etwas in mehr aus. Das hat zumindest noch nie ein Programm einer Partei geschafft. Ich bin mir sicher, dass es aufgrund seiner Radikalität viele junge Menschen erreichen und ansprechen wird. Das, die vielleicht nicht solches Hintergrundwissen haben, wie der Streber-Autor hier (Ich weiss was oder woher es kommt!) spielt keine Rolle.

     

    Es bewegt. Es regt zum Denken an. Die Initiatoren dieses Pamphlet sind vermutlich jung und gehören zu der Generation an, die eigentlich nur noch reagieren kann, auf das, was ihre Elterngeneration hat treiben lassen. Sie sind ja schon fast zum Zuschauen verdammt, weil viele Würfel schon längst gefallen sind.

    Mir scheint dieses Pamphlet eher als eine Art logische Konsequenz zu dem, was wir tagtäglich ertragen müssen. Ist es nicht daher eher ein Auge um Auge und Zahn um Zahn Ding.

    Beispielhaft: Der Ausstieg aus dem Atomausstieg. Frei nach dem Motto: Okay, wenn ihr das Gesetz brechen könnt, dann können wir, das Volk, schon längst das Gesetz brechen.

     

    Bitte nicht falsch verstehen. Ich unterstütze keine Gewalt oder solche Aufrufe dazu...aber vielleicht sollte man sich vielleicht erstmal fragen, warum so etwas auftaucht, anstatt nur den Inhalt zu sezieren. Aber das scheint bestimmte Jahrgänge nie zu interessieren. Die Motive der jungen Generation. Think about it.

  • M
    moxx

    *lol*

     

    da sind wohl etliche herr- oder frauschaften bei der taz beleidigt, weil auch die "grünen" im aufstand als das ge- und bezeichnet werden, was sie real auch sind.

     

    und um da anklänge an schmitt oder heidegger rauszukonstruieren, muss man(n) wohl von der sog. "repräsentativen demokratie" regelrecht besoffen sein - ein verklausuliertes synonym für einen totalitären, mafiös organisierten kapitalismus, der sich heute nur noch der überall bröckelnden demokratiesimulationen bedient, um seine fratze immer mühsamer zu kaschieren.

     

    und vor diesem hintergrund ist der aufstand überfällig. punkt.

  • L
    Loha

    Nicht zuletzt ist das üble Pamphlet wohl auch beeinflusst von Guy Debords "Gesellschaft des Spektakels" - einem noch abscheulicheren Machwerk, das vernünftige Realpolitik und die Segnungen der modernen Loha-Warenwelt arrogant verhöhnt, und Lobbyismus, PR und andere zeitgemäße Kommunikationsformen in den Dreck zieht. Es werden dort unrealistische Forderungen aufgestellt, die Jugendliche verwirren könnten. Solche Bücher sollten eingezogen werden.

  • V
    vic

    Rezension eines Buchportals, Autor unbekannt:

     

    "Der Aufstand kommt ist ein Buch, das neueste Zeitgeschichte geschrieben hat: Nach Sabotage an einer Eisenbahnstrecke, auf der im November 2008 ein Castortransport mit radioaktivem Material geplant war, wurde es von der französischen Regierung als einziges Beweisstück eines mittlerweile international bekannten »Terrorismusfalls« gehandelt, als ein »Handbuch des Terrorismus« und Vorwand für die skandalöse, z.T. monatelange Inhaftierung von neun Menschen aus dem Dorf Tarnac. Tatsächlich enthält des Buch eine pointierte, situationistisch geprägte Analyse der Reaktionen von Regierungen auf die verschiedenen Unruhen und Volksaufstände in den letzten Jahren. Die brennenden Vorstädte in Frankreich, die Straßengewalt in Griechenland usw. werden von den Regierungen als Gefahr gesehen, die polizeilich und militärisch gebändigt werden müsse, wobei das »Krisenmanagement« die Gesellschaft auch zusammenhalten soll. Für die Autoren dieses Manifests hingegen sind die Revolten revolutionäre Momente, Symptome des Zusammenbruchs der westlichen Demokratien, die sich gegenseitig verstärken und sich ausbreiten. Sie fordern einen Kommunismus, der als »ergebnisoffener« Prozess die Bildung von Kommunen sowie die Restrukturierung der Ökonomie in kleine, lokale Einheiten und plädieren für eine anonyme Position der Unsichtbarkeit."

     

    Ich werd`s wohl selbst lesen müssen, aber so dumm scheint mir das Werk nicht zu sein.

  • K
    KarLoK.

    Das Problem liegt wohl darin:

    Demokratisch denkende Menschen sehen sich durch undemokratisch agierende Politiker in Europa nicht vertreten.

     

    Die Flucht in die Radikalität scheint ihnen als einzige Alternative zu dem, was sie als "demokratische Lügenbolde im Schafspelz" empfinden.

     

    Schuld? Wenn man schon nach einer Schuld fragen muß: Wer ist daran Schuld?

    Die Wahrheitsdehner, die Radikalkapitalisten, die Erfüllungsgehilfen der Banken und Konzerne, die sich "Volksvertreter" nennen?

    Oder doch eher die Verführten, die sich nicht länger verführen lassen möchten und nun aufbegehren?

    Aufbegehren gegen etwas, was sie selbst schon lange nicht mehr als Demokratie empfinden... auch wenn es sich (noch) so schimpft?

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    (Für die Frühschicht: Verbesserte, korrigierte Fassung):

    Nun sind die französischen Postmodernisten mit der ewig gültigen Affektenlehre Spinozas gegen Medienprovokationen einigermassen gewappnet.

    Der Heidgger Importeur war SARTRE, der auch gerne wieder reimportiert wurde.

    Der Klassenkampf wurde von Marx herausgearbeitet und selbst Carl Schmitt und Heidegger kamen nicht daran vorbei, ihn irgendwie zur Kenntnis zu nehmen und einzubauen.

    Es wird im Artikel so getan, als wäre Poltik nicht durch den Klassenakmpf definiert, durch Herrschaftsstrukturen, sondern eine Art Interessensfinanzmathematik.

    Geld regiert die Welt, auch die Staatenwelt.

    Nun, als Finanzmathematikundiger schreibe ich ihnen wieder: Dieser chaotische stochstsiche Prozess, die Brownsche Bewegung des Finanzmarktes,

    ist etwas ganz anders, als die schönen Wurzeln aus qudaratsichen Gleichungen, die sie so höchstens zweideutig ziehen (nach dem Vietaschen Wurzelsatz aus Spinozas Zeiten).

    Leider sorgt das Klassenkampfsetting mittels Finanzmarkt für noch mehr Katastrophen, als es bei Kämpfen immer schon der Fall war. Das ist aus der Weimarer Republik so wohlbekannt (Hyperinflation Börsenkrach, hohes soziales Elend) wie nur was.

    Mit der KPD wäre man trotz alledem besser gefahren, als mit den Nazis, die Kommunisten sind nämlich von denen 28 millionenfach zusammgeschossen worden.

     

    Für das Gleichsetzen sind also die algebraischen Voraussetzungen keineswegs gegeben.

    Die existentiellen Dimesionen, Spezialgebiet Heideggers und Sartres, werden schon als reaktionär "von Haus aus" im Artikel "gebrandmarkt.

     

    Der "stumpf dumpfe instruemnetelle Zustand" der Technik ist eben eine Folge von beidem - der Weglassen der esxistenzilen Dimnensionen und des Klassenkampfes. Die Franzsoen haben da als Gegenbeispiel gerne Proust vor Augen.

    Die werden im Artikel also ausgehackt.

     

    Die Weimarer Republik ist bekanntlich "von oben"

    kaputtgemacht worden.

    Die TAZ in der Geschichtsfälschwerkstatt "Regierungsprecherjournalismus" mit GRÜNENbeteiligung angekommen?

  • E
    Egal

    Zu witzig, da plaudert der Autor von Demokratie und Rechtsstaat und hegt dann Verständnis für die unrechtsstaatliche Verfolgung der Tarnac Kommune durch den französischen Staat. Warum? Weil die Kommune mutmaßlich hinter dem Text steht, der nach Ansicht des Autors wohl ein Gedankenverbrechen darstellt. Wie war das nochmal mit Carl Schmitt und dem Ausnahmezustand? War das nicht kurz gesagt, dass sich der Staat über seine eigenen Gesetze hinwegsetzen darf um seine Gegner zu verfolgen?

    Und was hat eigentlich Demokratie und Rechtsstaat mit Marktwirtschaft zu tun? Ach ja ich vergaß, für die Extremisten der Mitte ist das ja die heilige Dreifaltigkeit.

  • L
    Letterman

    Das haben Sie gut gemacht!

     

    Ich hatte von der Positionierung in FAZ und SZ noch nicht gehört und bin ehrlich gesagt geschockt.

     

    Wenn es der Zorn allein wäre, könnte man ja noch Verständnis zeigen (aber nicht zustimmen).

     

    Das wirklich Schlimme sind die antimodernen Ressentiments, die das Ganze antreiben und ohne die man bei der FAZ wahrscheinlich keine Gnade gekannt hätte.

     

    Die ganze Geschichte zeigt, wo das intellektuelle Europa unter dem Einfluss der französischen Postmoderne inzwischen gelandet ist.

     

    Wenigstens hält jemand in der taz dagegen. Respekt!

  • T
    Thea

    Den "Kommenden Aufstand" eines französischen Autorenkollektivs mag man kritisieren, weil hier die mangelnde analytische Klarheit bei der Beschreibung der gesellschaftlichen Gegebenheiten häufig durch "revolutionäre Poetik" und der offensichtlichen Freude an einer gelungenen Formulierung verdeckt wird.

    Diese Kritik kann aber durchaus nicht von einem Rezensenten geleistet werden, dessen Vorstellung von individueller und gesellschaftlicher Emanzipation im Kapitalismus sich wahrscheinlich in der Berufsperspektive als persönlicher Referent eines sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten materialisiert: Diese Rezension ist ein Bewerbungsschreiben.

    Jede Wette: Johannes Thumfarth hat die kritisierte Schrift nicht gelesen. Sonst würde er die Autoren nicht denunziatorisch mit dem faschistischen Großtheoretiker Carl Schmitt in Verbindung bringen. Für Carl Schmitt war der STAAT Weltgeist und gesellschaftliche Unterwerfungsagentur in Einem: Und das war gut so! Für die anarchistischen Autoren des Pamphlets war und ist der STAAT Zentrum und Ausdruck der Herrschaft der MONSTER - seine Existenz konstituiert alltäglich und massenhaft gesellschaftliches Elend; seine Abschaffung ist überfällig.

    So sehen es die Autoren - und werden wahrscheinlich im Traum nicht daran gedacht haben, von einem Rezensenten der TAZ als Nachfolger faschistischer Staatsfantasien apostrophiert zu werden.

  • WM
    Wolfgang Michal

    Ist das nicht ein Missverständnis?

    Zum Vergleich: Assheuer in der ZEIT über Agamben

    http://www.zeit.de/2004/28/st-Agamben?page=1

  • ST
    Sebastian Thürrschmidt

    So ist das im Internetzeitalter: Wenn einem sonst nix mehr einfällt, pullt man einfach einen Godwin. Was mag davon zu halten sein, daß dieser Artikel gleich ein gutes Dutzend dieser schwersten, aber auch sehr schwerfälligen und wenig zielgenauen Geschütze auffährt?

     

    "L'insurrection qui vient" hätte eine ernsthafte Auseinandersetzung jenseits von Haudrauf-Polemik durchaus verdient. Als wildromantische Literatur gelesen, bereitet es weit mehr Lust an so einem Novemberabend als die mit Verbraucherinformationen durchsetzte Terrorpanikpropaganda in der Glotze (oder auch der taz). Man braucht sich die Thesen des Manifest ja nicht gleich allesamt zu eigen machen, ein bißchen anregtes Nachdenken genügt auch schon. Das jedoch scheint dieses Rezensenten Sache nicht zu sein.

  • C
    Celsus

    Ein Buch, das gegen Rechtsstaat und Demokratie gerichtet ist, findet positive Besprechungen in großen überörtlichen Zeitungen und findet den Weg zu Bestellungen oder in den Buchhandel? Das finde ich bemerkenswert.

     

    Das müsste für die Beiteiligten in Deutschland eine scharfe öffentliche Reaktion und einen Boykott nach sich ziehen. Lautstarke Proteste in potentiellen Buchhandlungen bieten sich an. Die Gerichte haben dann das Widerstandsrecht zu beachten, dass jedeR geltend machen kann, die / der Demokratie und Rechtsstatt in Deutschland verteidigt.

  • E
    Elbe

    Es gibt keine EINDEUTIGE Wahrheit. Die gesamte Geschichte der Menschheit ist ein Beweis dafür. Und nun müssen viele von uns (nicht zuletzt dank Internet und Informationsflut) diese Tatsache erst begreifen und sich von einfachen Weltanschauungen verabschieden. Das geht nicht immer leicht und so wird der Aufschrei nach EINDEUTIGER Wahrheit immer stärker, aber wer schreit denn am lautesten? Richtig, der nicht hören will.

  • E
    ebertus

    Zur Ehrenrettung von FAZ und SZ:

     

    In beiden Rezensionen wird primär auf den angenehm zu lesenden, ja beinahe "schönen" Text hingewiesen, der bei aller vermeintlichen Jenseitigkeit ohne diesen sperrigen, hölzernen Sprachstil der "alten Linken" auskommt.

     

    Es wird weiterhin auf die schon visionäre Sicht abgehoben, da der Ursprung des Textes bereits im Jahre 2005 liegt, gerade vor den Ereignissen die aktuell und beinahe täglich neue Zumutungen für die breite Masse der Menschen bringen.

     

    Inhaltlich macht sich keiner der genannten Rezensenten mit der weiter gedachten Konklusion, gar mit Anarchie gemein, wie das hier im Beitrag zumindest implizit unterstellt wird; eher im Gegenteil. Aber beide haben das Buch - und im Gegensatz zu dem Autor hier - sehr intensiv gelesen und in der Dimension bezogen auf die schon real sich entwickelnden, zukünftig erwartbaren Entwicklungen verstanden.

     

    Für mich, als Anhänger der Soziologie von Pierre Bourdieu ist dieser Text in weiten Bereichen lediglich eine Fortsetzung dessen, was Bourdieu bereits im letzten Jahrhundert konstatiert und aufgearbeitet hat. Mit einem gewissen, morbiden Touch, das sei zugegeben.

  • A
    Alexander

    Danke! Normalerweise gehe ich auf taz.de, rege mich angesichts des journalistischen Niveaus der Texte unglaublich auf und beschäftige mich so gleich wieder mit relevanten Dingen. In dieser Erwartung sah ich diesem Text entgegen und freue mich nun einen hervorragenden Artikel gelesen zu haben.

    Endlich nimmt mal jemand dieses postmoderne Bla-Bla-Buch auseinander.

    Einen solch dummen Text habe ich selten gelesen. Allerdings scheint sich das Medienecho umgekehrt proportional zu dem Niveau des Textes zu verhalten, umso größerer Blödsinn, umso mehr Aufmerksamkeit.

  • MB
    Marian Bichler

    Ich finde diese Rezension wenig hilfreich. Wer hitzig gegen (anscheinend? Ich kenne den besprochenen Text nicht) Hitziges wettert, trägt kaum zur Aufklärung bei. Gerade bei einem wohl sehr provokanten Werk täte eine Beleuchtung des Ganzen aus verschiedenen Blickwinkeln gut. Gibt es Parallelen zum Bocksgesang von Botho Strauß? Als Leserin bleibe ich ratlos zurück, ich habe Agamben anders verstanden als der Rezensent und halte dennoch viel von demokratischen Verfahren. Das Lesen des Artikels hat mir nicht mehr gebracht als die Information, dass es hier einen umstrittenen Text gibt. Schade.

  • MB
    Marian Bichler

    Ich finde diese Rezension wenig hilfreich. Wer hitzig gegen (anscheinend? Ich kenne den besprochenen Text nicht) Hitziges wettert, trägt kaum zur Aufklärung bei. Gerade bei einem wohl sehr provokanten Werk täte eine Beleuchtung des Ganzen aus verschiedenen Blickwinkeln gut. Gibt es Parallelen zum Bocksgesang von Botho Strauß? Als Leserin bleibe ich ratlos zurück, ich habe Agamben anders verstanden als der Rezensent und halte dennoch viel von demokratischen Verfahren. Das Lesen des Artikels hat mir nicht mehr gebracht als die Information, dass es hier einen umstrittenen Text gibt. Schade.

  • P
    pflasterstrand

    @Johannes, So wichtig eine kritische und nicht nur bewundernde Lesart des Buches "Der kommende Aufstand" ist, so bedeutsam ist es aber auch, Textstellen und einzelne Begriffe nicht aus ihrem Zusammenhang zu trennen. Ich befürchte, genau das ist Dir an ein paar Stellen passiert:

    1. Zum "demokratischen Entscheidungsprozess": Der entsprechende Textabschnitt steht im Zeichen einer Kritik der "Vollversammlung" (assemblée générale). Das natürliche menschliche Bedürfnis, sich zu versammeln, so die These, steht einem selbstzweckgewordenen Entscheidungsfetisch im modernen Parlamentarismus gegenübergestellt. Das Ziel des unbedingten Entscheidenwollen, habe sich sozusagen von seiner sozialen Form abgelöst. Es werde gar nicht mehr hinterfragt. Ja es hat sich sogar verdinglicht, weil in der Versammlung vor lauter Entscheidungswahn nicht mehr "Wünsche, Verbundenheit, Fähigkeiten, Stärken, Traurigkeiten" zum Ausdruck gebracht werden könnten. Wenn es in dem Text heißt, das PROBLEM des »demokratischen Charakters des Entscheidungsprozesses« bestünde "nur für Fanatiker der Prozedur", dann bedeutet das nichts weniger, als dass für Fans der langweiligen Verfahrenslegitimation "Demokratie" immer irgendwie ein lästiges Problem ist, dem man auf dem Weg der ja zu fällenden Entscheidung gerecht werden muss. Der Text macht sich also zum Anwalt der Demokratie. In Weimarer Zeit wurde der Ausdruck "Schwatzbude Parlament" ja vor allem von den Nazis gerade mit dem Gedanken benutzt, auf Entscheidungen zu drängen, auch wenn diese autoritär zustande kommen. Weimar und das Pamphlet aus Frankreich sind also von zwei völlig gegensätzlichen Gedanken geprägt.

    2. Der Begriff des Ausnahmezustandes wird in dem Text kritisch und ganz anders als bei Carl Schmitt gebraucht. So ist vom "angekündigten ökologischen Ausnahmezustand" ("l’état d’exception écologique") die Rede, in dem die Ökologie als das neue Thema der Ökonomie und des Kapitals in einer rein instrumentellen Weise benutzt werden, um aus der angekündigten Ressourcenkatastrophe Kapital zu schlagen. Das ist etwas ganz anderes als Carl Schmitts Überlegungen, wie sich der Ausnahmezustand/die Anomie in einer Rechtsordnung fassen lässt, dass der Souverän qua seiner Entscheidungsgewalt über den Ausnahmezustand wieder zu einem Zustand der Ordnung zurückkehren kann.

  • K
    Kabal

    "Die Autoren stützen sich dabei auch auf Carl Schmitt, den Kronjuristen des Reiches, dessen Thesen zum "Ausnahmezustand", zum "Partisanen" und zum Begriff des Politischen sie wiedergegeben. Ein anderer Haupteinfluss ist der Philosoph des nationalsozialistischen Denkdienstes, Martin Heidegger."

     

    Das Manifest habe ich nicht gelesen. Der oben zitierte Passus aus dem vorliegenden Artikel aber reizt mich, das nachzuholen - steht doch zu vermuten, dass der taz-Schreiber bestenfalls die Hälfte verstanden hat.

    Schmitt, einen der großen Denker des Politischen (und maßgeblichen Beeinflusser der Frankfurter Schule) als "Nazijuristen" abzutun (tatsächlich kam es bereits 1936 zum Bruch zwischen Schmitt und dem Regime) und Heidegger auf sein unrühmliches Verhalten zur Zeit des Dritten Reiches zu reduzieren, zeugt von einem platten Manichäismus, der jeden Vulgär-Schmittismus in den Schatten stellt. Die Freund-Feind-Bestimmung ist getroffen und wenn ein Werk nicht taz-links oder gar, oh Schreck, "reaktionär" (aus Sicht des verspießerten Wohlstands-Linken, versteht sich) daherkommt, kann es ja nur verdammenswert und "nazi" sein. Über Fragen des Stils, der Stringenz, des fruchtbaren Ansatzes muss man da nicht mehr diskutieren.

  • P
    Prometheus

    @ Johannes Thumfahrt:

     

    Gut gebrüllt, Löwe. Vielleicht... jedenfalls.

     

    Was mir von diesem Artikel in Erinnerung bleibt ist ein Wirrwarr aus politisch korrekten 0815-Statements und Zitaten irgendwelcher vermeintllicher Altnazis, Schmitt und Heidegger eben. Oh, ja, und die Erinnerung an die glorreiche "erste" (und vielleicht einzige?) Revolution, das war ja wohl gemeint mit den Jahreszahlen. Oder bezogen die sich doch auf die Illuminaten (kleiner Scherz...)?

     

    Um es auf den Punkt zu bringen: ich hätte in dem Artikel gerne etwas über das betreeffende Buch erfahren, mehr als nur leere Phrasen.

     

    Zugegeben, die anscheinende Nähe zu Nazi Vordenkern ist erschhreckend. Aber ist das schon alles? Was ist mit dem echten Inhalt des Buches? Ich bin sicher, es gibt wirklich vieles zu kritisieren an der modernen "real existierenden" Demokratie und den Ausschweifungen des Kultur-Kapitalismus. Die Argumente dazu hätte ich gerne gehört. Und meinetwegen auch widerlegt gesehen.

     

    Aber doch bitte nicht ein Buch verreißen, nur weil der Autor jemanden kennt, der jemanden mag, der ein Nazi war. Oder so ähnlich.

     

    Nichts für ungut. Und philosphisches Disputieren in allen Ehren. Aber ein informativer Artikel braucht mehr Fakten.

     

    Mit allerbesten Grüßen,

    und es lebe die Revolution im Sinne von 1789,

    und es lebe die Demokratie,

     

    dein Prometheus

  • I
    Ich

    Also ich frage mich, wo dieses Buch antidemokratisch ist? Es geht doch vielmehr um Basisdemokratische Entscheidungsfindungen und darum, dass nicht mehr einige wenige PolitikerInnen und Lobbyisten alles entscheiden. Das ist für mich viel mehr Demokratie, als das was wir jetzt haben. Ich frage mich auch, warum dieses Buch jetzt gerade in die Öffentlichkeit gerät, dass es von der TAZ jetzt in der Luft zerrissen wird kommt mir so vor, als könne man halt nicht etwas gutheißen, was vom Spiegel etc aufgegriffen und evtl gutgeheißen wird. Finde ich schade. Es geht in dem Buch schließlich auch darum, Zustände nicht mehr einfach hinzunehmen, sondern sie subversiv zu verändern. Aktuell gibt es in Deutschland, die Atomfrage, Stuttgard 21 und und und, also passt es sehrwohl auch zu Deutschland und nicht nur zu Frankreich. Es ist wichtig, nicht einfach zu sagen, dieses Buch ist "gut" oder "schlecht", sondern an bestimmten Ansätzen weiter zu denken, darüber zu reden etc.

    Lesen und sich selbst ein Bild machen geht hier:

    http://linksunten.indymedia.org/de/node/22964

  • S
    snes

    Hervorragender Artikel. Darum lese ich die taz, vielen Dank!

  • H
    hto

    Als wenn das ein Wunder wäre, bei dieser Heuchelei von Werteordnung, Menschlichkeit, Menschenwürde, usw. - der Kreislauf des zeitgeistlichen Reformismus sucht in der konfusionierenden Überproduktion von "freiheitlich-demokratischem" Kommunikationsmüll wieder nach der HARTEN Wahrheit, und wieder steht dem Wahnsinn nur der Stumpfsinn entgegen: die gutbürgerlich-gebildete Suppenkaspermentalität auf systemrationaler Sündenbocksuche!?

     

    Eine Welt- und Werteordnung die es im wahrsten Sinne der Worte auch ist, ist absolut möglich, wenn man den mit EINDEUTIGER Wahrheit gestalten wollen würde!?