piwik no script img

Antikriegskongress in BerlinFriedliches Miteinander

Um die Friedensbewegung zu verjüngen, organisieren Studierende einen Antikriegskongress. Er verläuft harmonisch: Kontroversen sind nicht vorgesehen.

Auch so ein Symptom der Schwäche der Friedensbewegung: Immer weniger Menschen sind auf den Ostermärschen. Bild: ap, Miguel Villagran

Helene Klein läuft durch die Reihen und sammelt Unterschriften - oft vergebens, die meisten haben längst unterzeichnet. Nicht nur im Hörsaal der Technischen Universität (TU), sondern auf sämtlichen Friedenspetitionen der vergangenen 30 Jahre.

Am Wochenende fand unter dem Motto "Frieden gibts nur ohne Krieg" erstmals der "Antikriegskongress" an der TU statt. Zehn Studierende der Humboldt-Universität (HU) sowie der Technischen und Freien Universität (FU) haben das dreitägige Treffen organisiert. Die Idee stammt aus der Zeit des Bildungsstreik der Studierenden vor einem Jahr: Damals kam die Frage auf, weshalb Geld für Krieg ausgegeben wird, aber keines für Bildung.

Auf dem Kongress sprechen renommierte Wissenschaftler und Friedensaktivisten. Insgesamt gibt es vier Podien, 17 Workshops und 22 Referenten. "Viele Leute fühlen sich machtlos, wenn es um Kriege geht. Wir wollen den Menschen konkrete Handlungsstrategien zeigen und den Antimilitarismus alltagstauglich machen", sagt Mitorganisator Justus Langer. Auch ein anderes Problem der Friedensbewegung will der Kongress angehen: "Wir wollen Schüler und Studierende mobilisieren und den Protest verjüngen", sagt Sozialwissenschaftsstudentin Julia Hillebrand aus dem Organisationsteam.

Besonders jung ist das Publikum jedoch nicht. Vor allem die Veteranen der Friedensbewegungen sitzen im Hörsaal. Jeder zweite Besucher ist über 50 Jahre alt. Es sind Damen in Strick mit bunten Schals und ergraute Herren in abgewetzten Lederjacken. Zum dreitägigen Kongress sind ungefähr 120 Menschen gekommen - die Veranstalter waren von maximal 500 Besuchern ausgegangen.

Der Kongress beginnt mit einem Podium zum Afghanistan-Einsatz. In dem schwach beleuchteten Hörsaal wird die große Geopolitik aufgeschlüsselt, auf Wirtschaftsinteressen geschimpft. Manchmal kippt die Diskussion ins Verschwörerische. Ein Mann aus dem Publikum fragt: "Ist es wahr, dass die USA den 11. September inszeniert haben, um in Afghanistan einmarschieren zu können?" Der Referent antwortet: "Sie haben die Türme nicht selbst gesprengt, haben es aber mit Absicht geschehen lassen." Ein wenig später erklärt der Völkerrechtler Gregor Schirmer: "Was in Afghanistan vor sich gegangen ist, halte ich für ein Verbrechen am Völkerrecht!" Es gibt Zwischenapplaus, hier ist man sich einig.

Es gibt überhaupt viel Selbstbestätigung. Auf dem Podium kommen nur kriegskritische Sprecher oder Friedensaktivisten zu Wort. Konfliktforscher und aktive Bundeswehroffiziere haben die Veranstalter nicht eingeladen. Die Friedensfreunde wollen unter sich bleiben. Die Kontroverse habe man mit Absicht vermieden, erklärt Organisator Langer. So könne man sich detaillierter den Informationen und der Aufklärungsarbeit der Kriegsgegner widmen.

Malou und Julia, beide Schülerinnen der Beethoven-Oberschule, sitzen auf den Treppen im Foyer. Nicht weit von ihnen hat das Rote Antiquariat einen Büchertisch aufgebaut, an der Wand hängt ein handgemaltes Transparent "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg". Ihre Mitschüler hätten von dem Kongress nichts mitbekommen, sagt Malou, sie seien nur hier, weil ihr Vater sie darauf aufmerksam gemacht habe. Auch Friedensaktivistin Bianca Percic aus Hamburg ist erstaunt: "Ich dachte, das ist Berlin - wir haben bei unseren Veranstaltungen in Hamburg mehr Leute."

Nur wenige Meter entfernt machen die TU-Studierenden An und Emna gerade eine Kaffeepause. Vom Antikriegskongress hören sie zum ersten Mal. "Ich würde gegen Studiengebühren auf die Straße gehen, davon bin ich unmittelbar betroffen. Vom Krieg in Afghanistan nicht", sagt Emna.

Helene Klein, die während der Veranstaltungspausen immer wieder Unterschriften gegen den Afghanistan-Einsatz sammelt, findet, es seien dennoch recht viele junge Menschen da. Klein trägt eine lila Baskenmütze und einen weißen Wollpullover mit roten Rosen drauf. Sie ist Sprecherin einer Friedensinitiative in Würselen bei Aachen und extra angereist. Zu ihren Friedensveranstaltungen kämen ausschließlich alte Leute, sagt Klein.

Laura von Wimmersperg von der Friedenskoordination, einem Netzwerk der Bewegung, ist hingegen etwas enttäuscht, dass nicht mehr Leute gekommen sind. "Die Mobilisierung junger Leute ist sehr schwer. Der Frieden ist kein Selbstläufer mehr", sagt von Wimmersperg. Die Teilnehmerzahlen der Ostermärsche nehmen kontinuierlich ab. Auch zu den Demos kommen nicht mehr so viele Menschen wie in den 1980er Jahren.

Der drängendste Frage für die Friedensbewegung widmet sich der Kongress erst am letzten Tag: "Wie weiter? Perspektiven für eine stärkere Friedensbewegung". Vor allem junge Teilnehmer fordern einen anderen Protest und mehr Vernetzung mit der erfolgreichen AKW-Bewegung und den Sozialprotesten. "Großdemonstrationen machen keinen Spaß mehr, sie locken niemanden auf die Straße. Vielleicht müssen wir andere Aktionsformen wählen", sagt die politische Aktivistin Hanna Poddig zum Ende des Kongresses. Es gibt zaghaften Applaus. Helene Klein nimmt ihre Unterschriftenkladde wieder auf und sammelt weiter.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

4 Kommentare

 / 
  • D
    DER

    Frieden gibt's nicht ohne Sieg!

  • MB
    Mathias Bartelt

    Mit seinem "taz"-Artikel hat sich Laurence Thio offenbar dafür entschieden, eher die Schwachstellen des Kongresses in den Mittelpunkt zu stellen, diese mithin zu übertreiben und den Kongreß insgesamt in der Wertung herunter zu schreiben. Er hat in nicht überraschender Weise auch sofort und vor Allem die Ausrichtung des Kongresses auf "Antikrieg" als Schwachstelle gewertet. Da die "taz" bekanntermaßen den "Grünen" nahe steht, würde ich mich darüber jedoch nicht all zu sehr wundern. Daß Thio eine bestimmte, beim Kongreß genannte "Verschwörungstheorie" heraus greift, mit dieser Betitelung eher im Sinne des medialen Mainstreams zu interpretieren scheint und dabei fundiertere auf dem Kongreß gefallene Äußerungen nicht nennt, überrascht mich eben so wenig. Da hätte mensch Schlimmeres erwarten können.

     

    Es muß allerdings deutlich gemacht werden: Der hier von Thio zitierte Satz, mit dem Jürgen Rose, der auf dem Podium saß, zitiert wird: "Sie haben die Türme nicht selbst gesprengt, haben es aber mit Absicht geschehen lassen." ist m.E. inhaltlich so nicht gefallen. Jürgen Rose gab eine explizit als solche kenntlich gemachte eigene Meinung wieder und sagte auch direkt zuvor, er selbst(!) glaube nicht an die Theorie, daß die Bush-Regierung die Türme selbst gesprengt habe. Er sei eher Anhänger der Theorie, nach der die US-Regierung dies wissentlich habe geschehen lassen. Wir kennen die Theorie - sie ist allbekannt: Die US-Regierung habe bspw. keine Abfangjäger aufsteigen lassen, um die Flugzeuge herunter zu holen. Die Theorie antwortet nicht zuletzt auf die Frage, wie der US-Luftraumüberwachung diese Flugzeuge durch's Netz gehen konnten. Oder, warum die Behörden lange vorher nichts gemacht haben, obwohl es mindestens viele Hinweise auf die Geschehnisse gegeben habe.

     

    Angesichts des Mangels von Veranstaltungen solcher Art zum Thema Afghanistan-Krieg und Krieg überhaupt ist Laurence Thio unter Anderem vielleicht mit der Erwartung heran gegangen, hier eine Veranstaltung anzutreffen, die das Thema Krieg unter dem Anschein von "Objektivitität" eher umfassend wälzt, um am Ende vielleicht lieber keine zu eindeutige - oder gar politische - Position zum Thema Krieg oder zu den aktuellen Kriegen zu beziehen. Und wenn, dann vielleicht eher eine relativistische. Dafür scheint mir der Artikel um so mehr an anderen Stellen zu werten.

     

    Ich würde es allerdings nicht als gänzlich schlecht betrachten, daß die derzeitigen Schwachstellen der Friedensbewegung in einer Form öffentlicher Selbstkritik der im Artikel zu Wort Kommenden genannt werden - mithin als Einladung zur Verbesserung. Und natürlich: Der Kongreß hätte noch mehr beworben werden können. Es gab verschiedene Schwierigkeiten, die mit dazu geführt haben - unter Anderem die zeitliche Begrenztheit der bei diesem Kongreß engagierten Organisator_innen. Was Thio freilich auch nicht sieht, ist, daß bereits dieser Kongreß eine teilweise Verjüngung und Erneuerung darstellt. Thio entscheidet sich, eher die alten "Veteranen" zu sehen.

     

    Insgesamt finde ich den Artikel nicht so einseitig, wie er vielleicht hätte sein können. Es entscheiden auch die Lesenden, ob sie den impliziten und expliziten Wertungen des Autors folgen. Für Weiteres gibt es dann den hiesigen Kommentar-Teil, der bereits von zwei Personen genutzt wurde, die den Kongreß anders erlebt haben. In Bezug auf das Inhaltliche ("viel Formales, kaum Inhaltliches") stimme ich dem ersten der beiden Lesenden-Kommentare zu.

  • A
    arbor

    Dieser Artikel gibt nicht das wieder, was ich bei dem Kongress erlebt habe. Die Anzahl der Teilnehmer an den drei Tagen würde ich auf 300 schätzen.

    Die Mehrheit der Gäste waren auch nicht über 50, es war ein eher gemischtes Publikum, von der Studentin bis zum Rentner.

    Es gab eigentlich viel gutes zu berichten, der Journalist hat leider die Zeichenanzahl für uninteressante Kleidungsbeschreibungen der älteren Friedensaktivistengeneration genutzt.

    Ein sehr schlechter Artikel!

  • EZ
    Elke Zwinge

    Diese Artikel:Typisch mainstream: viel Formales, kaum Inhaltliches, wovon sehr viel hätte geschrieben werden können. Dafür braucht man keine linke Tageszeitung, oder ist sie es garnicht (mehr)?

    Ich verstehe sehr gut, dass ich zum Jugoslawien-krieg mein damaliges ABO gekündigt hatte...