Kampf um Wissenschaftsfreiheit: Der verhinderte Professor
Ein Biochemiker klagt seit 21 Jahren gegen die Ablehnung seiner Habilitationsschrift. Seine Forschungen zu Schizophrenie treffen anscheinend einen empfindlichen Nerv.
Es ist ein Wissenschaftskrimi. 21 Jahre nachdem er seine Habilitationsschrift eingereicht hat, ist Alfred Fleissner immer noch nicht Professor. Inzwischen steht er zwar schon kurz vor dem Ruhestand, doch immerhin hat jetzt das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass seine Grundrechte verletzt wurden. Zugleich stärkte das Gericht den Schutz von Wissenschaftlern im Habilitationsverfahren.
Alfred Fleissner ist Österreicher und promovierter Chemiker. Und weil er sich auch für Psychiatrie interessiert, arbeitet er seit 1975 am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). In seiner Habilitationsschrift untersuchte der Forscher fünf mögliche biochemische Marker, die in der Wissenschaft als Anzeichen für Schizophrenie gehandelt wurden. Tatsächlich korrelierte kein einziger mit der Krankheit. Dies nahm der Hirnforscher zum Anlass für eine vernichtende Kritik der biochemischen Psychoseforschung.
Fleissner wusste, dass sein Habilitationsprojekt - als Kampfansage an etablierte Wissenschaftsgrößen - riskant war. Und auch als Person war er für viele Professoren ein rotes Tuch, da er sich im Wissenschaftlichen Personalrat des UKE engagierte.
Fleissner war deshalb vorsichtig und reichte die bereits 1981 fertiggestellte Arbeit erst acht Jahre später ein - nachdem er verbeamtet worden war und zumindest seine wirtschaftliche Existenz gesichert hatte. Tatsächlich wurde die Arbeit im UKE-Habilitationsausschuss mit 6 zu 1 Stimmen abgelehnt. Einer der drei Gutachter, ein Psychiater aus Tübingen, hatte die Arbeit für mangelhaft gehalten und sich gegen Fleissners angeblich pauschale Kritik an der Forschung der vergangenen Jahrzehnte verwahrt.
Fleissner klagte vor Gericht gegen die Ablehnung und es begann ein Prozess-Marathon. Unter anderem musste der Tübinger Psychiater ein neues Gutachten schreiben, das aber auch nicht den gerichtlichen Anforderungen genügte. Im Jahr 2001, da waren schon zwölf Jahre vergangen, fädelte dann das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg einen Vergleich ein: Der Göttinger Nobelpreisträger von 1967, Manfred Eigen, ein Biochemiker, sollte ein neues, nun maßgebliches Gutachten erstellen.
Der Vergleich hat sich für Fleissner aber nicht gelohnt. Denn auch Manfred Eigen kam zum Schluss, dass Fleissners Arbeit nicht die Anforderungen an eine Habilitationsschrift erfülle. Sie öffne keine neuen Türen für das Verständnis eines wissenschaftlichen Problems, so der Nobelpreisträger, sondern bleibe bei Beschreibung und Kritik des Bestehenden stehen.
Doch Fleissner gab nicht auf, klagte wieder und verlor erneut vor den Verwaltungsgerichten. Seine letzte Hoffnung war das Bundesverfassungsgerichts - und tatsächlich entschied nun eine Kammer des Karlsruher Gerichts zu seinen Gunsten. Die Hamburger Gerichte hätten ihm keinen ausreichenden Rechtsschutz gegeben. Dabei postulierte Karlsruhe ein "Recht auf sachkundige Leistungsbewertung" im Habilitationsverfahren.
Die Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetzes schütze Forscher vor unangemessenen Entscheidungen. Eine Habilitationsschrift dürfe nicht nur deshalb abgelehnt werden, weil der Habilitationsausschuss anderer Meinung ist. Wichtig seien deshalb die vorbereitenden Voten der Gutachter. Diese müssten so ausgewählt werden, dass alle Teile der Arbeit sachkundig bewertet werden können. Nur so könne der Habilitationsausschuss eine fundierte Entscheidung treffen, die wiederum voll gerichtlich überprüfbar ist. Ähnliche Regeln hatte früher schon das Bundesverwaltungsgericht aufgestellt. Doch jetzt haben sie quasi Verfassungsrang.
Das Gutachten von Nobelpreisträger Manfred Eigen erfüllte diese Anforderungen jedenfalls nicht. So rüffelten die Karlsruher Richter, wie apodiktisch die nur drei Seiten lange Stellungnahme formuliert worden war. "Es reicht nicht aus, dass der Gutachter seine Einschätzungen in Ergebnissätzen zusammenfasst", erklärte Karlsruhe. Und mit Blick auf die Person Manfred Eigens heißt es. "Die Qualitätsanforderungen für fachwissenschaftliche Gutachten gelten unabhängig vom Ansehen des Gutachters."
Entscheidend war aber für die Verfassungsrichter, dass Eigen selbst eingeräumt hatte, er kenne sich mit biochemischer Psychiatrie nicht aus, weshalb er sich auf die wissenschaftstheoretischen Aspekte der Arbeit beschränke. Damit sei aber ein Gutachten für maßgeblich erklärt worden, so die Kritik aus Karlsruhe, das nur eine Teilbewertung der Arbeit umfasst, während die psychiatrischen Aspekte immer noch nicht fundiert begutachtet waren. Das hätten die Fachgerichte beanstanden müssen, so Karlsruhe.
Ist Fleissner nun am Ziel, erhält er jetzt die Lehrbefugnis? Nein, noch lange nicht. Karlsruhe hat das Verfahren zur neuen Entscheidung ans OVG Hamburg zurückverwiesen. Vermutlich muss jetzt ein neuer Gutachter, ein Psychiater, gesucht werden.
Für Fleissner war es also nur ein Etappensieg. Zum Trost erklärte das Verfassungsgericht, dass 21 Jahre Prozessdauer nicht akzeptabel seien. Auch Fleissners Recht auf "effektiven Rechtsschutz" sei verletzt worden. Fleissner, Jahrgang 46, arbeitet immer noch am UKE, als akademischer Oberrat.
Und in der Zwischenzeit war er weiter unbequem. So schrieb er einen viel beachteten Aufsatz über "Korruption im Krankenhaus", in dem er den Machtmissbrauch der leitenden Ärzte anprangerte. Und einen ärztlichen Direktor zeigte er vor zehn Jahren sogar wegen Mordes an, als sich eine junge Ärztin, die sich gemobbt fühlte, das Leben nahm.
Überhaupt ist das Mobbing sein neuer Forschungs-Inhalt geworden. Hierüber schreibt er nun Bücher, gibt viele Interviews und hat in Hamburg den Verein KLIMA (Konflikt-Lösungs-Initiative/Mobbing-Anlaufstelle) gegründet. Eine seiner Grundregeln für Mobbing-Opfer lautet: "Setzen Sie Grenzen. Wer sich nicht wehrt, wird schnell zum Opfer." Als solches sieht sich Fleissner nach wie vor nicht. Eher als ein David, der die Goliaths in Medizin und Wissenschaft herausfordert. Der Tübinger Psychiater musste ein neues Gutachten schreiben, das aber auch nicht den gerichtlichen Anforderungen genügte.
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